Am Dienstag erhielten wir eine erste inhaltliche Reaktion aus dem Kanzleramt – Eine aus fachlicher und formaler Sicht unterirdische Email. Ein Versehen, wie sich herausstellte. Merkel will doch noch Experten anhören…
Wer keine Lust hat, viel Text durchzulesen, kann sich eine Kurzversion des Folgenden auch in diesem 3-Minuten-Video ansehen:
Hier könnt ihr die Email als Textdokument am Stück lesen. Diese Email entpuppte sich nach kurzer Recherche als Textbaustein, den die Drogenbeauftragte Dyckmans schon im Februar 2010 auf abgeordnetenwatch.de zum besten gab – in leicht gekürzter Fassung. Wir gehen ausführlich auf den Text ein, auch wenn er letztlich nicht Merkels Antwort auf unseren Vorschlag war – wohl aber vermutlich Merkels Antwort an andere Teilnehmer des Zukunftsdialogs, die Vorschläge zur Cannabislegalisierung eingereicht hatten.
Hier die kommentierte Fassung:
Liebe Teilnehmerin, lieber Teilnehmer,
herzlichen Dank für Ihre aktive Mitwirkung am Dialog über Deutschlands Zukunft. Die Bundeskanzlerin hat mich gebeten, Ihnen zu schreiben.
Liebe Teilnehmerin?
Das ist schon eine reichlich unpersönliche Anrede nach einem persönlichen Gespräch mit der Kanzlerin. Das war schon der erste Hinweis für uns, dass da irgend etwas nicht stimmte…
Zu Ihrem Vorschlag ist folgendes auszuführen:
Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass das Verbot des Handels, des Anbaus, der Abgabe und des Erwerbs von Cannabis durch die angestrebten Zwecke gerechtfertigt, also verhältnismäßig, ist. Durch das Verbot soll die Bevölkerung, vor allem Jugendliche, vor den von Cannabis ausgehenden Gesundheitsgefahren sowie vor der Gefahr einer psychischen Abhängigkeit geschützt werden. Diese wichtigen Gemeinschaftsbelange gehen dem individuellen Interesse an einer Freigabe des Umgangs mit der Droge vor.
Dieses Argument mit Bezug auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1994 wird von Politikern immer wieder genannt. Das Cannabisverbot ist richtig, weil es nicht verfassungswidrig ist! Was für ein Argument! Wenn die Politiker alle Gesetze einführen würden, die nicht verfassungswidrig sind, könnten sie eine Menge Schwachsinn beschließen.
Viele Politiker tun so, als sei das Cannabisverbot verfassungsmäßig geboten, eine Legalisierung damit verfassungswidrig. Das ist aber völliger Unsinn. Ganz im Gegenteil, es gibt etliche Juristen, die das Urteil von 1994 kritisieren und sehr wohl der Meinung sind, dass das Verbot verfassungswidrig ist. Siehe Dr. Nicole Krumdieks Dissertation zu dem Thema, für die sie den Studienpreis der Universität Bremen erhalten hat.
Die internationale Gemeinschaft ist sich nach wie vor darin einig, dass dem Cannabiskonsum wirksam begegnet werden muss, und dass dies durch ein Verbot von Cannabis wirkungsvoller erreicht werden kann als durch eine Legalisierung. Daher ist Cannabis auch in den von Cannabisbefürwortern herangezogenen Beispielen Niederlande oder Tschechien nach wie vor grundsätzlich illegal, wenn auch der Gebrauch in geringem Umfang toleriert wird.
Mal ganz abgesehen davon, dass wir in unserem Vorschlag zum Zukunftsdialog gar nicht von den Niederlanden oder Tschechien gesprochen haben und abgesehen davon, dass die die Coffeeshops in den Niederlanden mit dem Verkauf von Cannabis an Erwachsene sicher deutlich darüber hinaus gehen, dass “der Gebrauch in geringem Umfang toleriert wird” – was sagt uns dieser Absatz?:
Wir brauchen gar nicht selbst das Gehirn einzuschalten, die internationale Gemeinschaft ist sich ja einig!
Eine weitgehende Entkriminalisierung der Konsumenten wäre auch im Rahmen der internationalen Verträge möglich, eine Legalisierung nicht. Deshalb müssen diese Verträge geändert werden, was durchaus auch individuell für Deutschland möglich ist. Siehe dazu ebenfalls die oben genannte Dissertation von Dr. Nicole Krumdiek.
Auch in Deutschland besteht die Möglichkeit, von einer Strafverfolgung abzusehen, wenn eine geringe Schuld vorliegt und kein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung besteht. Damit wurde das Übermaßverbot des Grundgesetzes vom Gesetzgeber zusätzlich berücksichtigt und sichergestellt, dass die individuellen Freiheiten der Konsumenten noch besser geschützt werden.
Es kann keine Rede davon sein, dass durch die derzeitigen Regelungen zur “geringen Menge” in Deutschland die “individuellen Freiheiten der Konsumenten geschützt” werden. Dass Cannabiskonsumenten nach wie vor mit Füßen getreten werden, darüber berichtet der DHV regelmäßig. In einigen Regionen kommt es zu Hausdurchsuchungen und erkennungsdienstlichen Behandlungen wegen geringer Cannabismengen, in jedem Fall wird der Vorfall im Polizeicomputer gespeichert, Cannabiskonsumenten verlieren unter Umständen ihre Führerscheine, auch wenn sie nicht berauscht gefahren sind, sie können ihre Wohnungen oder das Sorgerecht für ihre Kinder verlieren, sie werden immer häufiger durch Drogenscreenings bei Einstellungsverfahren vom Jobmarkt ausgeschlossen. Und auch wenn viele Verfahren wegen geringer Mengen tatsächlich eingestellt werden, kommt es doch immer wieder zu erheblichen (Geld-)Strafen. Noch härter wird der Anbau einiger Hanfpflanzen zur Deckung des Eigenbedarfs geahndet, bis hin zur Gefängnisstrafe. Dass die Drogenbeauftragte vom “Schutz der individuellen Freiheiten der Konsumenten” faselt, ist eine traurige Farce.
Es ist problematisch, die Diskussion um die Strafverfolgung einseitig auf Nachteile für Einzelne zu reduzieren und darüber die durch die organisierte Kriminalität verursachten Schäden zu vergessen. Auch die Strafverfolgung des Drogenhandels hat letztlich zum Ziel, die Gesundheit und das Wohlbefinden von Menschen zu schützen.
Auch das ist eine derbe Verdrehung der Tatsachen. Die organisierte Kriminalität wird durch das Verbot von Cannabis gefördert, ihr wird ein Milliardenmarkt exklusiv überlassen und sie wird durch die hohen Gewinnerwartungen des Schwarzmarktes angelockt. Wäre Cannabis legal, hätte die organisierte Kriminalität gar nichts mit dem Cannabishandel zu tun. Alkohol wir ja auch nicht von der Mafia vertrieben; das war allerdings während der Alkoholprohibition in den USA in den 1920er Jahren der Fall, bis das Verbot wieder aufgehoben wurde. Wir haben in unserem Vorschlag zum Zukunftsdialog die organisierte Kriminalität auch nicht “vergessen”. Wir schrieben: “Unsere Sicherheit ist bedroht, weil das Verbot den Hells Angels und der Mafia Milliardenumsätze überlässt.”
Dass das Verbot die Gesundheit und das Wohlbefinden von Menschen schützt, ist ein ebenso schlechter Witz, führt doch das Verbot dazu, dass Cannabis massenhaft und systematisch mit gesundheitsschädlichen Zusätzen gestreckt wird, die eine größere Gefahr für die Gesundheit der Konsumenten sind als der Cannabiskonsum an sich.
Eine Legalisierung von Cannabis kann nicht die Lösung aller mit der Existenz der Drogenkriminalität verbundenen Probleme sein.
Nun, Drogenkriminalität in diesem Sinne gäbe es durch eine Legalisierung nicht mehr, genauso wenig wie es eine Alkoholkriminalität gibt. Dass die Legalisierung alle Probleme löst, die Cannabiskonsum mit sich bringen kann, haben wir nie behauptet.
Genauso wie eine extrem repressive Drogenkontrolle schädliche Auswirkungen haben kann, kann auch die Abwesenheit von Kontrollen negative Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit haben. Die Bundesregierung nimmt für sich eine verantwortungsvolle Drogenpolitik in Anspruch, die beide Aspekte berücksichtigt und versucht, einen Ausgleich zwischen dem Schutz der Rechte des Einzelnen und dem öffentlichen Interesse an einem Schutz vor organisierter Kriminalität zu finden.
Eine “Abwesenheit von Kontrollen” besteht im derzeitigen Zustand. Wir haben es mit einem völlig freien Markt zu tun. Der einzige Einfluss des Staates auf diesen Markt besteht zur Zeit darin, dass hin und wieder ein Dealer verhaftet wird, der sofort ersetzt wird. Legalisierung bedeutet Kontrolle und Regeln. Die Einführung von Jugendschutz, Qualitätskontrollen, lizenzierte Fachgeschäfte, Steuern.. Nicht umsonst ist in den USA statt von Legalisierung eher von “tax and regulate” die Rede, besteuern und regulieren.
Nach diesen fünf inhaltlichen Absätzen folgen sechs Absätze darüber, wie toll der Zukunftsdialog gelaufen ist. Sie enden mit einem herzlichen Dank für unseren “wertvollen Beitrag zum Dialog über Deutschlands Zukunft”. Wer das alles lesen will, kann wie gesagt die Email als Textdokument am Stück lesen.
Am Tag nach Erhalt dieser Email schrieb ich meiner Kontaktperson im Bundeskanzleramt folgende Email:
Sehr geehrter Herr XXX!
Wie Sie sich sicher erinnern können, hat mir Frau Merkel im Gespräch zugesagt, dass sie sich noch einmal mit Experten über das Cannabis-Thema austauschen wolle. Ich zitiere mal Ihre Seite:
“
Georg Wurth vom Deutschen Hanfverband, ist mit seinem Online-Vorschlag erfolgreich gewesen. Er will Cannabis legalisiert sehen, zweifelt aber an der Ernsthaftigkeit des Dialogs. Obwohl die Kanzlerin ihm nichts versprechen kann, macht sie ihm folgendes Angebot: „Ich öffne mich dem Thema insoweit, als dass ich mir dazu noch einmal Expertenmeinungen einholen werde“.
“Gestern bekam ich nun unten angehängte Email und zweifle nun mehr denn je an der Ernsthaftigkeit des Zukunftsdialogs.
Ich wollte Ihnen dieser Tage die Frage stellen, mit welchen Experten sich Frau Merkel zusammensetzen will und sie darum bitten, dass sie nicht die wenigen verbleibenden Experten aussucht, von denen sie annehmen kann, dass deren Antwort im Sinne der Kanzlerin ausfallen werde. Mein Vorschlag wäre, “neutrale” Experten aus den Bereichen Medizin, Kriminologie, Jugendforschung und Prävention einzuladen. Ich selbst möchte ebenfalls darauf verzichten, Wunschkandidaten zu nennen.Aber nun bekomme ich diese ziemlich sinnfreie Email an “Liebe Teilnehmerin, lieber Teilnehmer,” die sich in Allgemeinplätzen verliert, auf Aspekte eingeht, die in unserem Vorschlag gar nicht genannt werden, aber keinerlei Erläuterung zum versprochenen Expertengespräch liefert.
Ich möchte Sie dringend um eine Stellungnahme bitten, ob der Dialog aus Ihrer Sicht mit o.g. Email erledigt ist oder ob es noch zu dem versprochenen Gespräch mit Experten kommen wird.
Ich wage zu behaupten, dass diese Antwort nicht durch einen Dialog mit Experten außerhalb der Bundesregierung entstanden ist.
mit freundlichen Grüßen
Georg Wurth
Kurze Zeit später rief mich der – übrigens durchaus freundliche und korrekte – Ansprechpartner an und erklärte mir, diese Email sei quasi ein Versehen gewesen. Das Team des Zukunftsdialogs sei gerade dabei, allen über 11.000 Einsendern von Vorschlägen eine Antwort zu schicken. Es sei versäumt worden, dem Team mitzuteilen, dass Frau Merkel mir eine spezielle Zusage – Stellungnahmen von Fachleuten einzuholen – gemacht hatte. Mir wurde zugesichert, dass Frau Merkel sich an ihr Wort halten werde und dass ich bis Ende des Jahres mit einem Ergebnis rechnen könne. Welche Experten befragt werden und ob ich ggf. zu einem Gespräch mit diesen Experten eingeladen werde, konnte er mir noch nicht sagen. Das entschärft natürlich einerseits diese Antwort erheblich, die Sache geht weiter und ist noch nicht beerdigt, es könnte noch interessant werden.
Andererseits müssen wir davon ausgehen, dass andere Einsender von Cannabisvorschlägen dieselbe Email erhalten haben und dass für sie die Angelegenheit damit erledigt sein soll. Das wiederum ist alles andere als gut, fachlich versiert und professionell.
Dass Merkels Zukunftsdialog-Team für die Formulierung dieser Antworten einen Text im Büro der Drogenbeauftragten abfragt, ist ja erstmal nahe liegend. Dumm nur, dass da eine betagte Dame sitzt, die dort ihre letzten Jahre vor der Pensionierung absitzt und vom Thema überhaupt keine Ahnung hat.
DHV-Meldung vom 25.07.2012: Pressereaktionen auf Merkels Zukunftsdialog
DHV-Cannabis-Blog, 05.07.2012: Zukunftsdialog: Das Fazit von Georg Wurth via Video
DHV-Meldung vom 21.06.2012: Dialog über Deutschland – Teil 2
DHV-Meldung vom 11.06.12: Dialog über Deutschland – Teil 1
DHV-Meldung vom 17.04.12: Cannabis-Legalisierung auf Platz 2 bei Merkels Zukunftsdialog
DHV-Meldung vom 23.11.11: Hanfverband rockt Merkel auf youtube
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