Während die CDU die Jugend mit “Warnschüssen” schützen will und die lokale Gewerkschaft der Polizei mit Führerscheinentzug droht – selbst wenn “derjenige auf der Parkbank einen Joint geraucht hat und das Auto in der Garage stand” – sind die Drogenexperten einig: Die angehobene “geringe Menge” in Rheinland-Pfalz führt nicht zu mehr Problemen. Vielmehr fordern Mediziner, Kriminologen und andere Wissenschaftler endlich eine glaubwürdige Prävention anstelle des Strafrechts. Auch die Politik in Rheinland-Pfalz war schon einmal weiter.
Nach der Ankündigung des Justizministeriums, die “geringe Menge” von 6 auf 10 Gramm anzuheben, hatten bereits JU und CSU vor einer Verharmlosung der Einstiegsdrogen Haschisch und Marihuana und dem Drogenhandel als Schwerpunkt der Organisierten Kriminalität gewarnt. Nun legen die CDU und Gewerkschaft der Polizei in Rheinland-Pfalz nach.
Bernd Becker, stellvertretender Landesvorsitzender der Polizeigewerkschaft GdP, wird mit den Worten: “Mit diesem Signal reißen wir ein Scheunentor auf […] Hier wird Harmlosigkeit vorgegaukelt, die der Polizei die Arbeit erschwert” in der Presse zitiert.
Der stellvertretende CDU-Landesvorsitzende Christian Baldau legt im gleichen Artikel nach und lobt die Repression: “Man muss jungen Leuten früh einen Warnschuss geben. Das hilft ihnen, vom Drogenkonsum wegzukommen.”
Auch die Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans (FDP) spricht sich – wie auch schon in NRW – für Repression aus: “Es darf nicht der falsche Eindruck einer scheinbar geringeren Schädlichkeit von Cannabis erweckt werden”.
Selbst die ehemalige Drogenbeauftragte Sabine Bätzing (SPD) meldet sich zu Wort: “Cannabis bleibt eine Einstiegsdroge […] Wir brauchen in Deutschland eine einheitliche Obergrenze.”
Die Marschrichtung der Grünen stellte Nicole Müller-Orth, drogenpolitische Sprecherin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag Rheinland-Pfalz klar: „Die Anhebung der Eigenbedarfsgrenze für Cannabis ist ein wichtiger Schritt, um das Thema Suchtbekämpfung – vor allem bei Jugendlichen – weg vom Strafrecht hin zu vorbeugenden oder wenn nötig therapeutischen Maßnahmen zu bewegen.
Mit einer Kriminalisierung suchtkranker Jugendlicher ist niemandem geholfen. Strafverfahren können den Effekt haben, eine Abwärtsspirale zu beschleunigen. Nachhaltige Drogenpolitik ist geprägt von Aufklärung, Prävention und Hilfe.
Die so genannte Eigenbedarfsgrenze bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft bei Funden bis zur Höhe der Grenze von einer strafrechtlichen Verfolgung absehen kann. Je mehr Verfahren eingestellt werden können, desto stärker können Polizei und Gerichte entlastet werden. Dies ist vor allem sinnvoll bei Betroffenen, die nach dem Jugendstrafrecht zu behandeln sind. Dessen oberstes Prinzip lautet: Erziehen statt Strafen. Diesem Gedanke entspricht die Anhebung der Eigenbedarfsgrenze.“
Unterstützung kommt vom Fachbereich Suchthilfe der Stadt Mainz, Annette Baum: „Ob es sechs oder zehn Gramm sind, ist relativ wurscht“. Sie betont, dass es wichtig sei, junge Menschen nicht zu kriminalisieren.
Sie vertritt damit eine unter Drogenexperten inzwischen mehrheitsfähige Position. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), der Dachverband aller in der Suchtkrankenhilfe bundesweit tätigen Verbänden und gemeinnützigen Vereine, erwähnt die Repression in seinem aktuellen Positionspapier “Dem Cannabiskonsum wirksam begegnen” in gleich zwei der drei zentralen Forderungen und bezieht eindeutig Stellung:
1. Bislang wird der Cannabiskonsum ordnungspolitisch über- und gesundheitspolitisch unterbewertet. Dieses Missverhältnis äußert sich nicht zuletzt in einer unsachgemäßen Verteilung von Steuermitteln auf einerseits den Bereich der Repression, andererseits die Maßnahmen und Angebote von Prävention und Therapie. Es ist erforderlich, dass die politischen Prioritäten künftig den realen Risiken und Problemen entsprechen.
3. Das gegenwärtige Strafrecht ist den Beweis seiner Konsum begrenzenden Effektivität über Jahrzehnte schuldig geblieben. Vielmehr führt die massive Ahndung von Delikten im Umfeld des reinen Konsums (147.900 polizeilich festgestellte „Konsumentendelikte“ allein im Jahr 2002) zur sozialen Ausgrenzung eines ständig steigenden Anteils junger Menschen in Deutschland insbesondere über den Verlust Führerschein und Arbeitsplatz. Dies widerspricht den Erfordernissen glaubwürdiger Cannabisprävention. Besitz und Anbau von Cannabis ausschließlichen Eigenkonsum dürfen nicht länger Biografien gefährden. Die entsprechenden Urteile des Bundesverfassungsgerichts von 1994 und 2002 sind unverzüglich umzusetzen.
Die lokale Polizeigewerkschaft sollte sich einmal mit den Kollegen aus Nordrhein-Westfalen unterhalten, diese veranstalteten Ende letzten Jahres einen ganzen Kongress zu Alternativen zur Strafverfolgung von Drogenkonsumenten. Die Anhebung der “geringen Menge” in NRW ging den Polizeivertretern entsprechend nicht annähernd weit genug. Sie forderten eine echte Entkriminalisierung, also eine, bei der die Polizei wirklich entlastet und den Konsumenten die Chance auf eine echte Straffreiheit geboten wird.
Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, ist eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes, um den Umgang mit kleineren Mengen Cannabis nur noch als Ordnungswidrigkeit zu verfolgen. Genau so einen Entkriminalisierungsantrag gab es bereits im Bundesrat – gestellt von der SPD in Rheinland-Pfalz im Jahr 1993. Leider fand er damals keine Mehrheit, aber vielleicht sollte die aktuelle rot-grüne Landesregierung ihn nochmal aus dem Archiv holen…
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