Bereits im April 2011 stellte der Grüne Abgeordnete Thomas Mütze im bayrischen Parlament eine schriftliche Anfrage zu “Hausdurchsuchungen und Erkennungsdienstlichen Behandlungen von Cannabiskonsumenten”. Bisher haben wir nicht darüber berichtet. Anlässlich der anstehenden Landtagswahl in Bayern holen wir dies nun nach.
Leider ist dies die einzige Initiative im bayrischen Landtag zu dem Thema, die uns bekannt ist. Wenn es mehr gab, haben es uns die Grünen nicht mitgeteilt. In ihrer Antwort auf unsere Wahlprüfsteine kopieren die bayrischen Grünen lediglich die Antworten der Bundesebene. Naja, immerhin sind die Grünen damit den anderen Fraktionen um eine sinnvolle Anfrage voraus.
Aber nun erstmal zur Vorgeschichte der Anfrage.
Bayern fällt seit Jahren besonders übel auf, weil dort Hausdurchsuchungen und ED-Behandlungen (Fotos, Fingerabdrücke) besonders häufig auch schon durchgeführt werden, wenn Konsumenten mit sehr geringen Cannabis-Mengen auf der Straße erwischt werden. Diese Praxis ist uns durch zig Erfahrungs- und Medienberichte bekannt. Siehe zum Beispiel “das Allgäu online”, 05.06.2009:
Drogen: Wann darf die Polizei ins Haus?
Durchsuchung – Ermittlungen schon beim kleinsten Fund…
(…) 1,6 Gramm hatte ein 21-Jähriger dabei, der im Zug kontrolliert wurde. Und am Berliner Platz erwischten die Beamten der Schleierfahndung einen 29-Jährigen, der in seiner Hosentasche eine kleine Menge des Rauschmittels versteckte. Die Folge für beide Männer: Ihre Wohnungen wurden – bei dem 21-Jährigen unfreiwillig und bei dem 29-Jährigen freiwillig – durchsucht. Bis auf mehrere Gebrauchsgegenstände für Drogen samt daran haftenden Resten von Marihuana und Kokain bei dem Jüngeren fanden die Beamten nichts.
So viel Aufwand für zwei kleine Fische? «Ja, betont Polizeisprecher Christian Owsinski, «denn man weiß ja vorher nicht, was am Ende dabei herauskommt.» So hätten die Schleierfahnder bei so mancher Hausdurchsuchung bereits kiloweise Drogen gefunden – weil deren Besitzer zuvor mit einem Bruchteil davon erwischt worden war.
Zudem sei der Besitz von Drogen generell eine Straftat, die immer Ermittlungen nach sich ziehe – und in aller Regel eben auch eine Durchsuchung.
Und wie ist das generell? Darf die Polizei jederzeit jede Wohnung durchsuchen? «Einen konkreten Verdacht braucht man natürlich schon», sagt Owsinski. Dann jedoch gebe es nur mehr zwei Möglichkeiten: Entweder, der Verdächtige lasse die Polizei freiwillig ins Haus, oder aber die Polizei hole sich einen Beschluss vom Richter oder der Staatsanwaltschaft, wobei bei den Drogengeschichten meist letzteres der Fall sei. Owsinski: «Da wartet man natürlich nicht, bis alles in der Toilette heruntergespült ist, sondern holt sich telefonisch das Einverständnis vom Staatsanwalt.»
Gerade in Bezug darauf haben wir in unserer Petition zur Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten, die Ende 2010 eingereicht und von über 30.000 Menschen unterschrieben wurde und die immer noch nicht vom Petitionsausschuss des Bundestages abschließend beraten wurde, dieses Thema aufgenommen:
5. Schwere Grundrechtseingriffe wie Hausdurchsuchungen oder erkennungsdienstliche Behandlung, die für den Umgang mit schweren Verbrechen gedacht sind, sollten nicht mehr in Zusammenhang mit kleinen Cannabismengen angewandt werden.
Am 24. Februar 2011 stellte die LINKEN-Fraktion im Bundestag eine kleine Anfrage mit diversen Fragen rund um die Verfolgung von Cannabiskonsumenten. Darunter auch diese:
Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang Hausdurchsuchungen und erkennungsdienstliche Behandlungen sowie stattfindende Gerichtsprozesse und Verurteilungen, jeweils aufgrund des Besitzes geringer Mengen Cannabis?
Am 24.03.2011 berichteten wir über bzw. kommentierten die Antwort der Bundesregierung vom 09.03.2011. Zu obiger Frage antwortete die Bundesregierung:
Aufgrund des bei der Anordnung und Durchführung dieser Ermittlungsmaßnahmen stets zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob die Maßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Straftat und Stärke des Tatverdachtes stehen. Eine Durchsuchung kommt deshalb in der Regel nicht in Betracht, wenn im konkreten Einzelfall lediglich eine geringfügige Strafe zu erwarten ist oder voraussichtlich von einer Bestrafung abgesehen wird. Dass bei bestimmten Straftaten generell eine Durchsuchung unzulässig wäre, ergibt sich daraus indes nicht. Entsprechendes gilt auch für die erkennungsdienstliche Behandlung eines Beschuldigten.
Insgesamt sind die Antworten der Bundesregierung auf die Fragen der Linken natürlich ausgefallen, wie zu erwarten war, aber in diesem Punkt haben wir doch aufgehorcht. Diese Stellungnahme klingt schon nach vorsichtiger Kritik der Bundesregierung am bayrischen Vorgehen.
Und genau diesen Ball hat dann der bayrische Grüne Abgeordnete Thomas Mütze aufgenommen und ebenfalls eine schriftliche Anfrage im bayrischen Landtag gestellt:
1. Inwieweit sind Erkennungsdienstliche Behandlungen und Hausdurchsuchungen in Bayern üblich, ab welcher Menge von Cannabisbesitz werden sie durchgeführt, bzw. welche Voraussetzungen müssen vorliegen um eine Erkennungsdienstliche Behandlung oder eine Hausdurchsuchung durchzuführen?
…
4. Wie viele erkennungsdienstliche Behandlungen und Hausdurchsuchungen wurden in den letzten drei Jahren in Bayern durchgeführt?
Die Landesregierung antwortet auf diese Fragen folgendes:
zu Frage 1:
Die Staatsanwaltschaften sind gemäß dem in §152 Abs.2 StPO verankerten Legalitätsprinzip verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Sie haben, sobald sie von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhalten, zu ihrer Entschließung darüber, ob die öffentliche Klage erhoben wird, den Sachverhalt zu erforschen und für die Erhebung der Beweise Sorge zu tragen, deren Verlust zu besorgen ist (§160 Abs.1 und 2 StPO).Zu diesem Zweck können unter anderem Durchsuchungen und erkennungsdienstliche Behandlungen durchgeführt werden.
Bei dem Verdächtigen einer Straftat ist eine Durchsuchung zulässig, wenn zu vermuten ist, dass sie zur Auffindung von Beweismitteln führen werde (§102 StPO). Eine erkennungsdienstliche Behandlung darf durchgeführt werden, soweit es für Zwecke des Strafverfahrens notwendig ist (§81b 1.Alt. StPO). Darüber hinaus kann die Maßnahme aus polizeipräventiven Gründen zum Zwecke des Erkennungsdienstes vorgenommen werden (§81b 2.Alt. StPO), wenn die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte weitere Straftaten begeht und die Aufklärung dieser künftigen Taten durch die erkennungsdienstlichen Unterlagen erleichtert werden wird. Bei der Anordnung und Durchführung dieser Maßnahmen ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu berücksichtigen.
Diese Voraussetzungen gelten auch bei erkennungsdienstlichen Behandlungen und Hausdurchsuchungen aufgrund des Verdachts von Straftaten in Zusammenhang mit dem unerlaubten Umgang mit Cannabis. Die Entscheidung, ob in diesen Fällen im Rahmen von strafprozessualen Ermittlungen eine Durchsuchung angeordnet wird, obliegt den Gerichten oder bei Gefahr in Verzug den Staatsanwaltschaften sowie den Beamten des Polizeidienstes als deren Ermittlungspersonen. Die Anordnung erkennungsdienstlicher Behandlungen erfolgt durch die Staatsanwaltschaften oder die Beamten des Polizeidienstes. Die Entscheidungen werden unter Berücksichtung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles getroffen. Dabei gibt es bei den Staatsanwaltschaften, den Gerichten und der Polizei weder bezirksübergreifend noch landesweit Richtlinien oder eine “übliche” Anwendungspraxis, wie dies in der Schriftlichen Anfrage unterstellt wird. Die Gerichte wären wegen ihrer sachlichen Unabhängigkeit bei ihren Durchsuchungsanordnungen ohnehin nicht an Richtlinien oder eine bestimmte Anwendungspraxis gebunden.
zu Frage 4:
Es können keine Angaben dazu gemacht werden, wie viele Hausdurchsuchungen wegen Straftaten im Zusammenhang mit dem unerlaubten Umgang mit Cannabis in Bayern in den letzten drei Jahren durchgeführt wurden, da eine statistische Erhebung von Wohnungsdurchsuchungen getrennt nach Durchsuchungsanlässen nicht geführt wird. Eine manuelle Auswertung aller in Betracht kommender Fälle ist wegen des nicht vertretbaren personellen Aufwands und der Kürze der für die Beantwortung der Schriftlichen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.
Erkennungsdienstliche Behandlungen werden hingegen in den polizeilichen Vorgangsverwaltungssystemen dokumentiert. Da sich die Fragestellung ausschließlich auf Cannabiskonsumenten bezieht und diese in den polizeilichen Datenbanken nicht explizit erfasst werden, wurde eine Auswertung anhand der dokumentierten konsumnahen Tathandlungen wie Besitz, Erwerb oder Abgabe von Cannabis unterhalb der nicht geringen Menge ohne entsprechende Erlaubnis, vorgenommen (“Allgemeine Verstöße gegen das BtMG mit Cannabis und Zubereitungen”). Im Jahr 2008 waren 3.846 Fälle mit erkennungsdienstlicher Behandlung zu verzeichnen (27,3% aller Fälle),im Jahr 2009 3.534 Fälle (24,7% aller Fälle) und 2010 2.955 Fälle (21,2% aller Fälle). Der Anteil der erkennungsdienstlichen Maßnahmen bei entsprechenden Verstößen ist somit rückläufig.
Es bleibt also festzuhalten, dass in den genannten Jahren in Bayern bei 21-27 % der Strafverfahren wegen konsumnaher Cannabisdelikte eine erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt wurde!
Das dürfte erheblich mehr sein als in anderen Bundesländern, auch wenn mir dazu leider keine konkreten Zahlen vorliegen.
Diese Anfrage hat natürlich nicht zu einer Änderung der Situation geführt, aber dazu beigetragen, etwas Licht ins Dunkel zu bringen.
Der DHV meint, dass Hausdurchsuchungen und ED-Behandlungen, erst recht in diesem Umfang, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widersprechen. Deshalb haben wir im Juni 2011 in Zusammenarbeit mit dem Rechtsanwalt Honecker eine Kampagne gestartet, mit der wir rechtlich gegen Hausdurchsuchungen und ED-Behandlungen wegen geringer Cannabismengen vorgehen. Einige Datenlöschungen haben wir mittlerweile erreicht, aber noch kein “Grundsatzurteil”. Wir suchen weiterhin Betroffene. Wer diese erniedrigende Behandlung erlebt hat, kann sich gern bei mir melden.
Die kleine Anfrage von Thomas Mütze bezog sich noch auf weitere Themen bzgl. Verfolgung von Cannabiskonsumenten, “Geringe Menge”, Absehen von Strafe und Streckmittel in Cannabis, jeweils auf Bayern bezogen. Die vollständige Anfrage findet ihr hier, die vollständige Antwort hier.
Natürlich behauptet die bayrische Staatsregierung, es sei alles im Lot und man verhalte sich ganz normal. Allerdings stellt Staatsministerin Dr. Beate Merk in ihrem Schlusswort klar:
Ich wende mich weiterhin konsequent gegen einen falsch verstandenen Liberalismus im Umgang mit Suchtmitteln, gegen die Aufweichung von rechtlichen Schutzwällen und Nachgiebigkeit gegenüber modischen, gesellschaftlichen Trends. Diese gilt beispielsweise gegenüber einem abnehmenden Unrechtsbewusstsein beim Konsum von Cannabis und gegenüber vermeintlichen Hilfeangeboten für Betroffene, wenn diesen jeglicher Anreiz für einen eigenverantwortlichen, suchtmittelfreien Lebensstil fehlt. Zur Eindämmung des illegalen Drogenkonsums und Drogenhandels sind auf mehreren Ebenen Anstrengungen notwendig. Neben einer leistungsstarken Prävention, Hilfe durch qualifizierte Beratungs- und Therapieangebote gehört hierzu auch eine wirksame Strafverfolgung.
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