Ebenso wie Drogen nicht alles im Leben sein sollten, ist natürlich auch Drogenpolitik nicht der einzige ausschlaggebende Punkt bei einer Wahlentscheidung. Der Wahl-O-Mat liefert einen Überblick über die Positionen der Parteien zu unterschiedlichen Themen. Erkundigt euch bei Interesse auch über kleinere Parteien, wir betrachten hier nur die größeren! Auf abgeordnetenwatch.de könnt ihr euch über die Politiker eures Wahlkreises informieren und ihnen Fragen stellen. Informiert euch und geht wählen! Seid euch bewusst, dass die Möglichkeiten der Bundesländer begrenzt sind. Eine vollständige Legalisierung ist nur auf Bundesebene möglich. Die Bundesländer haben etwas Spielraum bei der “geringen Menge”, beim Führerscheinrecht, bei Modellprojekten und Drug-Checking.
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Was bisher geschah
Der Berliner Senat wird seit 2016 von einer Rot-Rot-Grünen Koalition regiert. Im dazugehörigen Koalitionsvertrag finden sich recht fortschrittliche Vereinbarungen:
Mit Blick auf Kinder von Abhängigkeitserkrankten will die Koalition Fortbildungskonzepte zum Thema „Aufwachsen in einer Suchtfamilie“ aufgreifen. Sie wird die aufsuchende Sozialarbeit auch in Partysettings ausbauen. Die Koalition wird Maßnahmen stärken, welche die Verminderung der Begleitrisiken von Drogenkonsum (Harm Reduction) zum Ziel haben. Darunter fallen der Aufbau von „Drug-Checking“, die Weiterentwicklung von Drogenkonsumräumen, die Vergabe von sauberen Konsummaterialien und die Entsorgung des gebrauchten Materials sowie die Prüfung eines Projektes zur Naloxonanwendung bei Opiatvergiftung. Auch Menschen in Haft will die Koalition wirksame Maßnahmen der Suchthilfe, Therapie und Schadensreduktion zur Verfügung stellen.
Gesundheits- und Präventionspolitisch hat sich die Strafbarkeit des Konsums von Cannabis nicht bewährt. Die Koalition wird die sogenannten Null-Toleranz-Zonen für den Besitz von Cannabis in der Stadt abschaffen. Die Koalition wird ein Konzept für die Durchführung eines wissenschaftlich begleiteten Modellprojekts zur kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene erarbeiten und sich für dessen gesetzliche Absicherung einsetzen. Die Möglichkeiten für Behandlungen mit Cannabis-Produkten insbesondere für Schmerzpatienten sind auszuweiten.
Tatsächlich wurde an den genannten Punkten auch gearbeitet. Die umstrittenen Null-Toleranz-Zonen für Cannabis der CDU-geführten Vorgänger-Regierung wurden abgeschafft. Gegen die Ablehnung des Antrags auf ein Modellprojekt zur Cannabisabgabe hat Berlin wie angekündigt eine Klage eingereicht, über die nun das Verwaltungsgericht Köln zu entscheiden hat. Das hat bisher keine Stadt getan, deren Modellprojekt-Antrag angelehnt wurde.
Eine Initiative zur Ermöglichung des in anderen Ländern längst etablierten rechtssicheren Drugcheckings wurde ebenfalls auf den Weg gebracht. Diese sollte eigentlich schon 2019 realisiert werden, finanzielle Mittel wurden bereitgestellt, doch in der SPD-geführten Gesundheitsverwaltung scheinen notwendige Schritte zu versanden. Jedenfalls hat das Drugchecking in Berlin immer noch nicht begonnen.
Wahlprognose
In den Wahlumfragen der letzten Wochen ist wie auf Bundesebene enorm viel Bewegung zu sehen. In Berlin hat die SPD die Grünen wieder von der Umfragen-Spitze verdrängt. Nach Infratest Dimap vom 25.08. liegen die Grünen nur noch bei 17% und damit sogar hinter der CDU mit 19%. Die SPD kommt auf 23%. Dahinter sind Linke und AfD fast gleichauf bei 12 bzw. 13%, gefolgt von der FDP mit 8%.
Da die SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey wenig Begeisterung für Rot-Rot-Grün zeigt, steht eine Richtungsentscheidung an. Obwohl es wieder für diese linke Mehrheit reichen sollte, könnte die Giffey-SPD auf Rot-Schwarz-Gelb ins sogenannte „bürgerliche Lager“ umschwenken.
Die Berliner Grünen bekennen sich klar zur Legalisierung. Auf Landesebene wollen sie das Modellprojekt zur Cannabisabgabe weiter verfolgen. Sie sprechen sich für die Förderung von mobilen Drug-Checking Teams und für die Ausweitung von Drogenkonsumräumen und Beratungsangeboten aus. Außerdem wollen sie effektivere Aufklärung und Prävention in der Berliner Clubszene betreiben. Die straffreie geringe Menge Cannabis soll weiter angehoben werden und für alle anderen psychoaktiven Substanzen soll eine solche Menge eingeführt werden. Die Rolle der Grünen bei der Drogenpolitik der Berliner Koalition ist schwer einzuschätzen, sie haben aber auch außerhalb des Parlaments fortschrittliche Impulse gesetzt. Für Menschen, die bewussten und aufgeklärten Konsum sowie eine regulierte Abgabe von Cannabis befürworten, kann die Wahl der Grünen empfohlen werden.
Die Berliner CDU gibt sich demonstrativ noch repressiver als die meisten anderen Landesverbände der Partei. Die Inhalte des Wahlprogramms gehen völlig an der Realität vorbei. Bei den Antworten auf die Wahlprüfsteine bedient sie sich ideologisch eingefärbter Vorurteile, die faktisch falsch sind. Die CDU zeigt sich sogar noch reaktionärer und repressiver als die AfD, beispielsweise im Hinblick auf die bestehende Ungleichbehandlung durch Fahrerlaubnisbehörden. Für die Präventionsarbeit werden immerhin zusätzlich zu den stationären Konsumräumen mobile Angebote in Form von Konsum- und Beratungsmobilen geplant. Modellprojekte und Drug-Checking werden abgelehnt. Geringe Besitzmengen sollen weiterhin strafrechtlich verfolgt werden, die Eigenbedarfsmenge herabgesetzt und die repressiven Maßnahmen verschärft werden. Bei ihrer Parlamentarischen Arbeit zeigt die CDU seit vielen Jahren, dass sie das alles nicht nur so meint, sondern auch so macht. Die Berliner CDU hat es ganz offensichtlich nicht auf die Stimmen von Hanffreunden abgesehen und erklärt ihnen den Krieg.
Die SPD bekennt sich zum Modellprojekt für eine regulierte Abgabe von Cannabis und trägt auch den derzeit beschrittenen Klageweg gegen die Ablehnung mit. Eigenanbau will sie nicht erlauben. Einer Angleichung beim Thema Fahrerlaubnis stimmt sie auf Nachfrage zu. Auch eine Zustimmung zur Legalisierung, also einem regulierten Handel mit Cannabis, kommt erst auf Anfrage und dick verpackt in Kulturwandel-Prosa. Drug-Checking wird im Rahmen von Prävention und Jugendschutz als wichtige Maßnahme gesehen und soll weiter verfolgt werden. Zudem sollen Drogenkonsumräume ausgebaut werden. Das Wahlprogramm lässt noch einige Fragen zu drogenpolitischen Themen offen. Damit ist die Berliner SPD drogenpolitisch zwar nicht unbedingt progressiv, aber immerhin liberaler und somit eine bessere Wahloption als die CDU, die einen rein repressiven drogenpolitischen Kurs verfolgt.
Das einzige, was wir bei den Linken vielleicht bemängeln können, ist die unklare Ansage, was man sich unter “nicht profitorientierten Bezugsmöglichkeiten” für illegalisierte Substanzen vorstellen soll; jedenfalls nicht privatwirtschaftliche Cannabis-Fachgeschäfte. Aber das ist ohnehin ein Bundesthema. Für Berlin haben die Linken gute Arbeit geleistet, für die nächsten Jahre ein gutes Programm und gute Vorschläge für weitergehende drogenpolitische Reformen. Das Cannabis-Modellprojekt weiter zu verfolgen, ist da nur der Anfang. Sie fordern Eigenbedarfsgrenzen für alle illegalisierten Substanzen und die konsequente Entkriminalisierung der Konsumenten. Die Linken wollen Drug-Checking vorantreiben und bessere Suchtprävention durch den Ausbau von Behandlungszentren sowie eine stärkere Unterstützung von Sucht- und Drogenhilfe. Die Linken können wir aus drogenpolitischer Perspektive klar zur Berlin-Wahl empfehlen.
Das Programm der FDP liest sich sehr schön. Mit der Forderung nach legaler Abgabe aller Drogen in staatlich kontrollierten Präventionseinrichtungen neben kommerziellem Verkauf von Cannabis geht der Landesverband deutlich über den Bundesverband hinaus. Auch im Detail passt die Haltung der Liberalen, Cannabis-Modellprojekt, Drug-Checking, Entkriminalisierung der Konsumenten inklusive Erhöhung der Geringen Menge Cannabis, Führerscheinregelung… alles dabei. Theoretisch. Schade, dass sich das weder in der bisheringen Arbeit im Parlament, noch in konkreten Plänen auf Landesebene widerspiegelt.
Die AfD hat im Programm nichts zur Drogenpolitik zu bieten und sich auch sonst in keinster Weise tierfergehend mit dem Thema Cannabis auseinandergesetzt. Sie hält an dem repressiven Kurs fest und ist somit keine Wahloption.
R2G in Berlin gehört sicherlich zu den drogenpolitisch fortschrittlichsten Landesregierungen in Deutschland, wenn man in den Koalitionsvertrag schaut. Allerdings sind zwei zentrale Projekte am Ende der Legislaturperiode noch in der Schwebe, weder realisiert, noch beerdigt: Drugchecking und das Cannabis-Modellprojekt, gegen dessen Ablehnung Berlin als erste Stadt klagt. Es ging also vorwärts, aber langsam. Letztlich bleibt Hanffreunden nichts anderes übrig, als dieser Koaliton die Chance einer zweiten Amtszeit zu gewähren, um wirklich zu liefern. Allerdings dürfte es dabei hilfreich sein, weniger SPD und mehr Grüne und Linke in der Koalition zu haben.
Linke und Grüne sind sich programmatisch sehr ähnlich. Sie haben auch beide entsprechende Aktivitäten im Parlament und außerhalb gezeigt, um das Thema voranzubringen. Beide haben eine grundsätzlich liberale drogenpolitische Haltung und wollen die Möglichkeiten auf Landesebene ausschöpfen, um eine menschenfreundlichere Politik durchzusetzen. Das geht weit über das Thema Cannabis hinaus, es gibt viel Expertise und konkrete Vorstellungen in beiden Parteien. Ein Beispiel ist bei beiden der Vorschlag, auch für andere Drogen als Cannabis eine straffreie Geringe Menge festzulegen. Unsere ausführliche Wahlanalyse offenbart Unterschiede bei den beiden Parteien nur im Detail und bei bundespolitischen Themen wie der konkreten Ausgestaltung des legalen Zugangs zu Cannabis. Hanffreunde können davon ausgehen, dass diese beiden Partein die treibenden Kräfte für eine weitere Reform der Cannbispolitik in Berlin bleiben werden. Wir können beide ohne Einschränkungen zur Wahl empfehlen.
Die FDP Berlin erfreut mit einem Programm, das mit der Forderung nicht nur nach Cannabislegalisierung, sondern auch legaler Abgabe aller Drogen und Entkriminalisierung aller Konsumenten weit liberaler ist als das der Bundespartei. Landespolitisch spricht sich die FDP für die Anhebung der strafverfolgungsfreien Geringen Menge Cannabis aus, für Drug-Checking und Cannabis-Modellprojekte. Bei der Frage nach tatsächlichen Parlamentarischen Initiativen verweist sie allerdings auf die Anträge der Bundestagsfraktion. Im Berliner Parlament haben die Liberalen wenig unternommen, um Drogenpolitik auch tatsächlich voranzubringen. Die FDP können wir deshalb nur Menschen zur Wahl empfehlen, die bereit sind, ihr einen großen Vertrauensvorschuss zu geben.
Die Berliner SPD gehörte 2018 zu den ersten Landesverbänden, die die Legalisierung von Cannabis beschlossen hatten. Leider findet sich das im Wahlprogramm nicht wieder, es werden lediglich wie auf Bundesebene Modellproejkte zur Cannabisabgabe befürwortet. Bisher hat Partei wichtige Reformen immerhin mitgetragen, auch wenn für die schleppende Umsetzung das SPD-geführte Gesundheitsressort verantwortlich ist. Unter Spitzenkandidatin Giffey driftet die Partei nach rechts und stellt die Fortführung der linken Reformkoalition in Frage. Das macht die SPD zu einem Risikofaktor für die Fortführung drogenpolitischer Reformen in Berlin, auch wenn sie sich inhaltlich zur Fortführung des Drug-Checking-Projektes, der Klage zum Cannabis-Modellprojekt, Druckräumen etc. bekennt. Wer Rot-Rot-Grün will, sollte Linke oder Grüne wählen.
Dringend abgeraten werden muss vor der Wahl von CDU oder AfD. Beide Parteien wollen eine Fortführung des repressiven Kurses gegen Cannabiskonsumenten. Die Berliner AfD zeigt sich zwar auf Nachfrage offen gegenüber der Herabstufung geringer Cannabismengen zur Ordnungswidrigkeit und die Meldung von Besitzdelikten ohne Verkehrsbezug an die Führerscheinstellen hält sie nicht für sinnvoll. Aber allen anderen drogenpolitischen Reformideen erteilt sie eine Absage und im Parlament hat sie keinerlei positive Initiative gezeigt. Die CDU ist die einzige Partei in unserer Untersuchung, die sowohl eine rechtliche Verschärfung durch Herabstufung der geringen Menge als auch einen höheren Verfolgungsdruck durch die Polizei fordert. Ihre reaktionäre Haltung geht besonders deutlich aus den regelrecht faktenverdrehenden Antworten auf die Wahlprüfsteine hervor.
Sagt den Parteien eure Meinung!
Was auch immer ihr wählt, teilt den Parteien eure Meinung mit!
Deshalb nun der vielleicht wichtigste Hinweis zum Schluss: Jeder, dem Cannabispolitik am Herzen liegt, sollte den Parteien mitteilen, warum er sie gewählt oder nicht gewählt hat. Das erhöht das Gewicht einer einzelnen Stimme enorm! Es reicht ein Einzeiler wie:
LINKE, Grüne, FDP: “Ich habe Ihnen diesmal meine Stimme gegeben, weil Sie sich für die Legalisierung von Cannabis einsetzen und erwarte von Ihnen, dass Sie das Thema die nächsten vier Jahre auch voranbringen!”
SPD: “Ich habe Ihnen diesmal meine Stimme gegeben/ nicht gegeben. Ich wünsche mir eine klarere Haltung der SPD für die Legalisierung von Cannabis.”
CDU, AfD: “Ich hätte mir vorstellen können, Sie dieses Jahr bei der Bürgerschaftswahl zu wählen, habe aber wegen ihrer repressiven Drogenpolitik davon Abstand genommen.”
Hier die passenden E-Mail-Adressen der Parteizentralen: