Meldung des DHV vom 08.11.2010
Der Bundesrat hat einem Gesetzentwurf aus Niedersachsen zugestimmt, der die Abschaffung des Richtervorbehalts bei Blutentnahmen im Straßenverkehr fordert. Mehrere Gerichte hatten zuvor die Praxis, dass Polizisten aufgrund von “Gefahr im Verzug” Blutentnahmen ohne Richter angeordnet hatten, für rechtswidrig erklärt.
Die Anordnung einer Blutprobe nach Paragraf 81 a Strafprozessordnung ist in Deutschland grundsätzlich einem Richter vorbehalten. Ähnlich wie bei Hausdurchsuchungen dürfen Staatsanwaltschaft und Polizei nur agieren, wenn “der Untersuchungserfolg durch Verzögerung gefährdet wird.” In der Praxis verkommt der Richtervorbehalt zu einer reinen Formalität, da die Richter als Entscheidungsgrundlage meist nur die telefonischen Angaben des Polizeibeamten vor Ort erhalten. Daher rührt auch die Zustimmung des Deutschen Richterbundes zu der geplanten Änderung. Dessen Vorsitzender Christoph Frank sah in der Gesetzesänderung eine Stärkung des “Richtervorbehaltes als rechtsstaatliches Kontrollinstrument”. In anderen Fällen hatten Polizisten regelmäßig auf den Anruf beim Richter verzichtet, auch weil kein angemessener Bereitschaftsdienst in der Nacht oder am Wochenende vorhanden war. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2007 hatten mehrere Oberlandesgerichte diese Praxis als rechtswidrig verurteilt, die Beweise wurden damit rechtlich nicht mehr verwertbar. Die Initiative Niedersachsens stellt damit eine kostengünstige Reaktion auf das Urteil dar, anstatt einen richterlichen Bereitschaftsdienst sicherzustellen wird ein Stück Rechtsstaat eingespart.
Nachdem der Bundesrat am Freitag, den 5. November 2010, in seiner 876. Sitzung unter TOP 15 dem “Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung – Neuordnung der Anordnungskompetenz für die Entnahme von Blutproben” seine Zustimmung erteilt hat, geht die Initiative nun an den Bundestag. Der weitere Ausgang des Gesetzgebungsverfahrens kann als noch offen bezeichnet werden.
Die Märkische Allgemeine berichtet von zurückgestellten Bedenken der Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Ebenso zahnlos erscheint der Einwand von Tina Fischer (SPD), Brandenburgs Vertreterin beim Bund. Sie sah in der derzeitigen Regelung „den Vorteil, dass ein Polizist kurz überlegen muss, ob seine Entscheidung auch wirklich vor einem Richter Bestand hat“ und sie befürchtet im Falle einer Gesetzesänderung „dass in einigen Fällen zu schnell Blutproben angeordnet werden“. Trotzdem würde das rot-rot geführte Brandenburg der Verschärfung zustimmen, erklärte Fischer weiter. Die SPD im Hamburg überholt bei diesem Thema die schwarz-grüne Koalition rechts:
„Es kann nicht sein, dass betrunkene Autofahrer ungeschoren davonkommen, weil die Strafverfolgungsbehörden vor unnötige und in der Praxis häufig unüberwindliche Hürden gestellt werden […] Der strenge Richtervorbehalt ist vom Grundgesetz nicht gefordert. […] Hamburg hat schon der Strafschärfung für Gewalt gegen Polizisten nicht zugestimmt. Eine erneute Verweigerung aus Gründen der Koalitionsräson wäre ein weiterer Beleg, dass sich die Koalitionspartner in der Innen- und Rechtspolitik zunehmend gegenseitig blockieren.“ – Andreas Dressel, Innenexperte der SPD-Fraktion
Der Justizministerin Uta-Maria Kuder (CDU) aus Mecklenburg-Vorpommern kann es ebenfalls gar nicht schnell genug gehen:
“Diese Länderinitiative war überfällig! Die Anordnung ärztlicher Blutprobenentnahmen bei Verdacht alkohol- und drogenbedingter Straßenverkehrsdelikte ist mittlerweile so häufig erforderlich, dass unbedingt eine praxistaugliche Lösung gefunden werden musste. […] Deshalb muss jeder alkoholisierte oder unter Betäubungsmitteleinfluss stehende Fahrzeugführer wissen: Solche gemeingefährlichen Straftaten werden in Mecklenburg-Vorpommern auch weiterhin konsequent verfolgt”
Die Ministerin hält den mit der Blutentnahme verbundenen körperlichen Eingriff für vergleichsweise gering. “Dagegen sind Fahrten unter Alkohol- und Betäubungsmitteleinfluss Straftaten mit einem erheblichen Gefährdungspotential,” so die Vertreterin eines Präventivstaates weiter auf mvregio.de.
Die FDP Justizminister in den Ländern sind bei dieser Frage gespaltet. Während der hessische Minister Jörg-Uwe Hahn (FDP) nach Angaben der Stuttgarter Zeitung die Initiative Niedersachsens unterstützt, bedauert sein Kollege Dr. Jürgen Martens aus Sachsen den eingeschlagenen Weg. Im Onlineportal cop2cop wird er zitiert:
„Natürlich brauchen die Polizisten vor Ort klare und eindeutige Regelungen. Nur so können Beweise schnell und gerichtsfest gesichert werden. Das wird jedoch nicht mit der Aufhebung des Richtervorbehalts in § 81a Absatz 2 StPO für bestimmte Straftaten erreicht. Eine Blutentnahme bleibt ein Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte körperliche Unversehrtheit. Das ist ein hohes Rechtsgut. Deshalb hat der Gesetzgeber die Entscheidung über einen derartigen Eingriff bisher grundsätzlich in die Hände der unabhängigen Gerichte gelegt. Es geht dabei nicht um eine bloße Förmelei oder gar um einen Ausdruck von Misstrauen gegenüber Polizeibeamten. Der Richtervorbehalt gibt dem betroffenen beschuldigten Bürger die Sicherheit, dass seine Rechte in dieser Situation gegenüber dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse hinreichend Beachtung finden. Die teilweise Abschaffung des Richtervorbehalts geht auf Kosten der Rechte unserer Bürger.”
Für die “Bürgerrechte auch für Alkoholsünder” spricht sich auch ein Kommentar im Tagesspiegel aus:
“Es ist Zeit, einen Vorbehalt anzumelden. Und zwar gegen die Abschaffung eines Vorbehalts. […] Doch hat das oberste Gericht in Karlsruhe 2007 und 2010 in aller Klarheit deutlich gemacht, dass es den Richtervorbehalt auch im Falle der zwangsweisen Blutentnahme für wesentlich hält, denn es ist nun einmal ein Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Die Richter gingen sogar so weit, die Blutentnahme mit der Wohnungsdurchsuchung gleichzustellen. Auch diese muss ein Richter absegnen, denn im Rechtsstaat soll das exekutive Handeln von Ermittlungsbehörden, soweit es in Grundrechte eingreift, von der kontrollierenden Instanz des Richters abgesegnet werden. Jedenfalls in der Regel. [..]
Es geht um die Klärung von zwei Fragen [durch Bundesregierung und Bundesrat]: Wie geht man mit Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts um, wenn sie einem nicht gefallen? Und was ist ranghöher: Verwaltungspragmatismus oder Prinzipientreue bei Grundrechten? Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war bislang eher für Letzteres bekannt.”
DHV-Sprecher Georg Wurth sieht neben der Frage des Richtervorbehalts ein weiteres Problem bei der Durchführung der Blutproben: In der Regel wird der Betroffene erst nach der Blutentnahme einem Arzt vorgeführt, der begutachtet, ob eine Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit bzw. ein Hinweis auf Drogenkonsum überhaupt vorliegt.
“Dadurch passiert es in der Praxis häufig, dass Polizisten jemanden z.B. wegen seiner Frisur verdächtigen, Cannabis konsumiert zu haben, dann ohne weiteres eine richterliche Genehmigung bekommen und dem Betroffenen die Spritze in den Arm jagen lassen – und erst danach stellt ein verwunderter Arzt fest, dass es gar keinen Hinweis auf Drogenkonsum gibt. Das ist ein schlechter Witz. Also bitte, Richtervorbehalt beibehalten, aber erst die Begutachtung durch den Arzt durchführen und dann ggf. die richterliche Anordnung der Blutprobe einholen! Nur so hat der Richter überhaupt eine sinnvolle Entscheidungsgrundlage”, so Wurth weiter.
- DHV zum Thema: Cannabis im Straßenverkehr – Unfälle durch Drogenkonsum
- Informationen des DHV zu “Verkehrssicherheit und Drogenkonsum
- Info-Broschüre von DHV und VfD “Cannabiskonsum und Führerschein”
- DHV-Protestmailer “Grenzwert für Cannabis am Steuer einführen”
- “Dauerkiffer fahren sicherer als gelegentliche Konsumenten”, Meldung des DHV vom 05.10.2007
- Länder wollen Kompetenzen der Polizei bei Blutentnahmen erweitern, Pressemitteilung des Bundesrates vom 05.11.10
Quellen:
- Blutprobe soll ohne Richteranordnung möglich werden, Ärzte Zeitung, 26.10.2010
- Richtervorbehalt könnte wegfallen, Märkische Allgemeine vom 05.11.2010
- Weiter gute Zeiten für Alkoholsünder? SPD-Fraktion fordert Senat zu positivem Bundesratsvotum auf, Presseerklärung der Hamburger SPD-Fraktion vom 04.11.2010
- Bundesrat beschließt eine veränderte Anordnungskompetenz für die Entnahme von Blutproben (BR-Drs. 615/1/10), MVregio vom 6.11.2010
- Bluttests bald ohne Richter? Stuttgarter Zeitung vom 07.11.2010
- Beibehaltung des Richtervorbehalts bei Blutentnahmen, cop2cop.de, 5.11.2010
- Schnapsidee – Richteranordnung von Blutproben muss bleiben, Tagesspiegel vom 05.11.2010
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