Kurz vor dem dritten Jahrestag des Gesetzes zu Cannabis als Medizin hat die FDP im Rahmen einer Kleinen Anfrage die Bundesregierung nach dem Umsatz von Medizinalcannabis im vergangenen Jahr befragt. Dabei wollte die FDP unter anderem wissen, wie die pro Jahr vorgegebene Anbaumenge von 2,6 t für die weiterhin stetig steigende Zahl von Patienten ausreichend sein soll und welche Medizinalcannabisprodukte konkret an Patienten abgegeben wurden.
Die Antwort der Bundesregierung bezieht sich auf die ersten zehn Monate des vergangenen Jahres und ausschließlich auf die Informationen des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen (GKV). Die Bundesregierung liefert keine Daten zu Anzahl und Umsatz von Privatversicherten und Selbstzahlern. Für den Zeitraum Januar bis Oktober 2019 lässt sich auf dieser Grundlage ein um 50% gestiegener Umsatz bei Medizinalcannabisprodukten feststellen – von 8,23 Millionen Euro im Januar auf 12,44 Millionen Euro im Oktober. Am meisten Umsatz wurde mit der Abgabe von cannabishaltigen Zubereitungen, aber auch mit unverarbeiteten Blüten gemacht: Während der Umsatz bei der Abgabe von Zubereitungen von 2,97 Millionen Euro auf rund 5,2 Millionen Euro anstieg, stieg der Umsatz bei Blüten von Januar bis Oktober 2019 von 3,74 Millionen Euro auf ebenfalls rund 5,2 Millionen Euro. Der GKV Spitzenverband selbst lieferte im Dezember 2019 in diesem Dokument die Zahlen von Janar bis September 2019 inklusive einer übersichtlichen Grafik. Bis September 2019 hatten die gesetzlichen Krankenkassen verschiedene Cannabis-Arzneimittel für insgesamt 86.4 Millionen Euro erstattet. Es ist also sicher, dass der Umsatz mit Cannabismedizin im Gesamtjahr 2019 schon allein bei den gesetzlichen Krankenkassen die Schallmauer von 100 Millionen Euro durchbrochen hat.
Was aus der Antwort der Bundesregierung jedoch nicht hervorgeht und auch nicht von der FDP gefragt wurde, sind aktuelle Patientenzahlen. Schon Anfang März 2019 ging der Deutsche Hanfverband auf Grundlage der Bewilligungszahlen der drei größten gesetzlichen Krankenkassen von insgesamt 50-60.000 Patienten aus, die Cannabis auf Rezept erhalten, davon 40.000 mit Erstattung der gesetzlichen Krankenversicherungen. Aufgrund der Steigerungsraten ist davon auszugehen, dass 2020 die Marke von 100.000 gesetzlich- und privatversicherten Patienten sowie Selbstzahlern in Deutschland überschritten wird.
Versorgungssicherheit der Patienten weiterhin abhängig von Importen
Schon kurz nach der Veröffentlichung der Ausschreibung zum Anbau von Medizinalhanf in Deutschland äußerten Experten, dass die vom BfArM vorgesehene Produktionsmenge angesichts stetig weiter steigender Patientenzahlen nicht ausreichend sein wird. Trotz der offensichtlich viel zu gering angesetzten jährlichen Gesamtmenge und immer wieder auftretender Lieferengpässe geht die Bundesregierung aber davon aus,
dass der Bedarf an Medizinalcannabisblüten in Deutschland durch das derzeitige und nachfolgende Vergabeverfahren der Cannabisagentur beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sowie über Importe, die rechtlich auch weiterhin möglich bleiben, gedeckt werden kann.
Parteiübergreifende Kritik von FDP, LINKE, SPD, GRÜNE
Ein Unding ist diese Annahme der Bundesregierung für den drogenpolitischen Sprecher der FDP, Wieland Schinnenburg, der Deutschland gerne als Exportnation in Sachen Medizinalcannabis sehen würde:
„Bei vielen Menschen zeigt eine Therapie mit Medizinalcannabis eine gute Wirkung. Dennoch tut die Bundesregierung kaum etwas, um die Versorgung mit Medizinalcannabis in Deutschland zu sichern. Trotz dramatisch steigender Nachfrage setzt sie weiter auf Importe. Ich fordere die Bundesregierung auf, die Produktionsmengen für Medizinalcannabis von 2,6 auf 50 Tonnen im Jahr zu erhöhen, um die steigende Nachfrage zu bedienen und Medizinalcannabis Made in Germany zu einem Exportschlager zu machen”,
so Schinnenburg.
Kritik an der weiterhin von Importen abhängigen Versorgung kommt auch von den Grünen:
“Die harte Deckelung des Anbaus von Cannabis in Deutschland war ein Fehler, den die Bundesregierung korrigieren sollte. Die Versorgung der Patient*innen muss sichergestellt werden. Zudem muss es mehr Freiheiten bei der Sortenvielfalt geben, denn je nach THC- und CBD-Gehalt kann das Cannabis für unterschiedliche Beschwerden eingesetzt werden. Kleine und regionale Unternehmen sollten gerechte Chancen bekommen, an dem Anbau partizipieren zu können. Die Patient*innen, die auf Cannabis als Medizin angewiesen sind, haben die gleiche Aufmerksamkeit und Versorgungsqualität verdient wie alle anderen”,
so Kirsten Kappert-Gonther (GRÜNE) auf Anfrage des DHV.
Dirk Heidenblut (SPD) sieht zwar kleinere Fortschritte bei Cannabis als Medizin, äußert aber auch Kritik an der Planung des BfArM:
“Im vergangenen Jahr haben wir gesetzlich nachgeschärft und den Genehmigungsvorbehalt bei der Therapie mit Medizinalcannabis gelockert. Eine einmal genehmigte Cannabis-Therapie kann ohne weitere Genehmigungen angepasst werden. Beispielsweise bei einer Änderung der Dosierung oder der Sorte. Auch wenn das ein Kompromiss der Koalitionsfraktionen war und ich gerne einen viel weitergehenden Abbau des Genehmigungsvorbehaltes hätte, bin ich optimistisch, dass dadurch Cannabis stärker als wichtige Therapiealternative etabliert wird und Patienten entlastet werden. Das hilft aber alles nichts, wenn wir in Deutschland weiterhin von Importen von Medizin-Cannabis abhängig sein werden. Ich fordere schon lange, dass sich mittelfristig Bedarf und genehmigte Anbaumenge in Deutschland angleichen. Ich erwarte, dass sich die nächsten Ausschreibungen des BfArM der Realität im Markt anpassen werden.”
Auch der drogenpolitische Sprecher der LINKE, Niema Movassat, kann die unrealistischen Planungen des BfArM absolut nicht nachvollziehen:
“Nach wie vor verweigert die Bundesregierung es schlicht, den tatsächlichen Bedarf von medizinischem Cannabis anzuerkennen und schreibt viel zu geringe Ausschreibungsvolumina aus, die den Bedarf nicht decken. Das ist verantwortungslos und zum Verzweifeln, besonders für Patient*innen.”
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