Nach wie vor haben Patienten, die Cannabis als Medizin nutzen wollen, große Schwierigkeiten, einen behandelnden Arzt zu finden. Finden sie einen, der mit ihnen gemeinsam einen Antrag bei einer gesetzlichen Krankenkasse stellt, stellt sich diese bei der Kostenübernahme für eine Therapie mit Cannabis oftmals quer. Ein weiteres Problem, welches Ärzte beim Einsatz von Cannabis als Medizin abschreckt, wird bereits seit einiger Zeit immer öfter an den Deutschen Hanfverband herangetragen: Die Angst vieler Ärzte vor finanziellen Regressforderungen durch die gesetzlichen Krankenkassen.
Regress – was bedeutet das?
Die Verordnung von Cannabis als Medizin unterliegt einem Genehmigungsvorbehalt von Seiten der gesetzlichen Krankenkassen. Das bedeutet, dass Patienten vor der erstmaligen Verordnung eines Cannabispräparats mit dem Arzt eine Genehmigung zur Kostenübernahme ihrer Krankenkasse einholen müssen. Begründet wird dieser Genehmigungsvorbehalt damit, dass es sich bei der Behandlung mit medizinischem Cannabis nicht um eine allgemein anerkannte Therapie mit zugelassenen Arzneimitteln handelt. Doch auch ein positiver Bescheid der Kassen zur Kostenübernahme kann Ärzte nicht unbedingt in Sicherheit wiegen.
Die GKV, der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, hält dazu fest:
Die Genehmigung der Krankenkasse entbindet den Vertragsarzt nicht von seiner Verpflichtung zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Verordnung im Einzelfall.
Mit anderen Worten: Trotz einer bereits erfolgten Kostenübernahme für Cannabis als Medizin behalten es sich die Krankenkassen vor, Ärzte auf unwirtschaftliches Verhalten nachträglich zu prüfen – und eventuell einen Regress vom Arzt, also einen finanziellen Ausgleich der gezahlten Leistungen durch die Krankenkassen, zu fordern. Regressforderungen bei Ärzten sind somit das Ergebnis einer Wirtschaftlichkeitsprüfung, welche Ärzte im Nachhinein in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten bringen kann. Vor allem, wenn sie mehrere Patienten mit teuren Therapieformen behandeln. Deswegen tendieren immer öfter Ärzte, die bereits Kostenübernahmen bei gesetzlichen Krankenkassen für anderen Patienten beantragt haben, bei Cannabis als Medizin nur noch zur Ausstellung eines Privatrezeptes, mit dem die Patienten ihre Medizin von vornherein vollständig selbst bezahlen müssen. Zu groß ist die Angst unter Medizinern, rückwirkend an den hohen Kosten einer mitunter kostspieligen Cannabistherapie beteiligt zu werden. Diese Haltung mag aus Sicht der Ärzte nachvollziehbar sein. Sie wollen helfen, fürchten aber persönliche finanzielle Konsequenzen. Allerdings erschwert diese Angst der Ärzte einer großen Zahl von Menschen, die sich keine komplett selbst finanzierte Cannabistherapie leisten können, die Suche nach einem Arzt zusätzlich.
Wie denkt die Bundesregierung über die Regress-Ängste der Ärzte?
Genau das wollte Kirsten Kappert-Gonther (GRÜNE) von der Bundesregierung erfahren, weshalb sie folgende Frage stellte:
Wie häufig waren Ärztinnen und Ärzte nach Kenntnis der Bundesregierung jeweils in den Jahren 2017 bis 2020 nach der Verordnung von Cannabis nach SGB V § 31 Abs. 6 Satz 1 von Regressforderungen betroffen, obwohl eine Genehmigung der Krankenkasse nach SGB V § 31 Abs. 6 Satz 2 vorlag, und sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf um Cannabis verordnende Ärztinnen und Ärzte bei Vorliegen der obligatorischen Genehmigung vor Regressforderungen zu schützen?
Aus Sicht der Bundesregierung gibt es aufgrund der ihr bekannten Fallzahlen keinen Handlungsbedarf:
Der Bundesregierung sind in dem Zeitraum von 2017 bis 2019 ca. 30 Fälle bekannt, in denen Prüfanträge/Regressforderungen gestellt wurden. Bei ca. 20 weiteren Prüfanträgen ist unklar, ob eine Genehmigung vorlag. Inwiefern ein tatsächlicher Regress ausgesprochen wurde, ist nicht bekannt. Gesetzlicher Handlungsbedarf wird vor dem Hintergrund dieser sehr geringen Fallzahlen im Vergleich zur Zahl von 34.000 gestellten Anträgen allein im Jahr 2019, wobei Doppelzählungen durch Zweitanträge enthalten sein können, nicht gesehen.
Die bekannten Fallzahlen mögen aus Sicht der Bundesregierung überschaubar sein, auch wenn die Dunkelziffer unklar bleibt. Allerdings reichen schon wenige öffentlich diskutierte Fälle mit teilweise hohen Geldforderungen aus, um Ärzte zu verunsichern – ein definitiv nicht zu unterschätzender Faktor, der sie von vornherein von der Verordnung Abstand nehmen lässt. Horrorgeschichten über Ermittlungen gegen Cannabis verordnende Mediziner oder Drohungen durch Landesärztekammern tragen ebenfalls dazu bei, dass sich auch über drei Jahre nach Einführung des Gesetzes immer noch verhältnismäßig wenige Ärzte an Cannabis als Medizin herantrauen. Wenn die Kostenübernahme durch die Krankenkasse gemäß SGB V § 31 Abs. 6 Satz 2 keine Garantie für den Arzt ist, dass er nicht im Nachhinein auf den Kosten für die Behandlung sitzen bleibt, werden weiterhin viele Ärzte vor einer Verordnung zurückschrecken und maximal Privatrezepte ausstellen. Es ist Aufgabe der Bundesregierung hier nachzubessern, um Patienten den Zugang zu Cannabis als Medizin zu erleichtern und um Ärzte effektiv vor Regressforderungen zu schützen.
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