Offene Mail an CDU/CSU-Verhandler: Cannabisgesetz rund machen!
Hier dokumentieren wir eine „Offene Mail“, die DHV-Sprecher Georg Wurth heute an das Verhandlungsteam der Union geschickt hat. Er appelliert an die Spitzenpolitiker, gemeinsam an den vielen Detailproblemen des Cannabisgesetzes zu arbeiten, anstatt die Vorteile, die schon erreicht wurden, wieder zu zerstören. Außerdem geht er auf die gängigsten Argumente der Gegner der Cannabisreform ein.
An: Friedrich Merz, Karin Prien, Carsten Linnemann, Michael Kretschmer, Martin Huber, Markus Söder, Thorsten Frei, Dorothee Bär, Alexander Dobrindt
Cannabisgesetz rund machen!
Sehr geehrte Mitglieder der CDU/CSU-Verhandlungsgruppe!
Aufgrund Ihrer Ankündigungen im Wahlkampf und aktueller Aussagen diverser Unionspolitiker nehme ich an, dass Sie weiterhin eine Rücknahme des Cannabisgesetzes (CanG) oder zumindest diverse Verschärfungen fordern.
Ich appelliere an Sie, gemeinsam an den vielen Detailproblemen zu arbeiten, die das Gesetz noch beinhaltet, anstatt die Vorteile, die das Gesetz jetzt schon erreicht hat, wieder zu zerstören!
Mehrheit für Cannabis-Fachgeschäfte und gegen Rücknahme des CanG
Eine Mehrheit der deutschen Wahlberechtigten (59%) ist laut infratest dimap dafür, die Reform nun rund zu machen und mit Cannabis-Fachgeschäften für Erwachsene ausreichend legalen und kontrollierten Zugang zu Cannabis zu schaffen. Eine ähnlich große Mehrheit lehnt die Pläne der Union ab, den Besitz geringer Cannabismengen wieder zur Straftat zu machen oder den Anbau von drei Hanfpflanzen wieder zu verbieten. https://hanfverband.de/infratest-dimap-59-der-deutschen-fuer-echte-legalisierung
Aber damit unterstellen Sie auch infratest dimap, Gefälligkeitsumfragen mit manipulativen Fragestellungen durchzuführen. Wir selbst haben Wert darauf gelegt, in Absprache mit infratest dimap eine neutrale Fragestellung zu entwerfen, die wir nun seit 2014 abgesehen von kleinen redaktionellen Aktualisierungen gleichbleibend stellen. Schauen Sie sich gern die Fragestellung an und sagen Sie mir, was daran nicht neutral sein soll. All die Jahre bis 2023 hatten wir bei dieser Umfrage im Übrigen keine (absolute) Mehrheit für Cannabis-Fachgeschäfte. Das haben Unionspolitiker gern als Argument gegen die Legalisierung angeführt, ohne die Fragestellung anzuzweifeln, darunter auch Angela Merkel und die ehemalige Drogenbeauftragte Marlene Mortler. https://direktzu.de/kanzlerin/messages/cannabis-legalisierung-2015-57917
Die Hauptargumente, die von Unionsseite derzeit immer wieder vorgebracht werden, entbehren jeder faktischen Grundlage. Die einzigen Referenzen, die es für die angebliche Ausweitung des Schwarzmarktes und dadurch zunehmende kriminelle Aktivitäten gibt, sind Behauptungen von Gegnern der Cannabisreform aus den Reihen von Polizei, Justiz und den entsprechenden Ministern auf Landesebene. Sie können das aber nicht mit Zahlen und Daten unterfüttern. Stattdessen heißt es, es sei “davon auszugehen”, dass die (ebenfalls nicht belegte) Ausweitung der Nachfrage nicht von Anbauvereinen und Eigenanbau gedeckt werden könne und deshalb “nahe liegend”, dass die Beschaffung weiterhin zu einem großen Teil auf dem Schwarzmarkt erfolge (Beispiel Innenministerin von Niedersachsen).
Eine wesentliche Ausweitung der Nachfrage ist aber derzeit reine Spekulation, während es starke Hinweise auf eine wesentliche Ausweitung des Eigenaubaus und genaue Zahlen zum gestiegenen Import von medizinischem Cannabis gibt.
Medizinisches Cannabis
Der Import von medizinischem Cannabis ist in 2024 von 32 auf 72 Tonnen gestiegen. Die Differenz von 40 Tonnen zusätzlich importiertem Cannabis macht allein schon ca. 10% des bisherigen Schwarzmarktvolumens aus, auf dem sich bisher viele Menschen bedienen mussten, die Cannabis aus medizinischen Gründen nutzen. Wer im Übrigen darüber spekuliert, dass unter diesen neuen Patienten viele normale Cannabiskonsumenten sein könnten, sollte nicht in der neuen, einfacheren Verschreibungspraxis das Problem sehen, sondern im Fehlen von Fachgeschäften, die den legalen Konsum mit legaler Ware bedienen könnten. Solchen Menschen geht es nicht darum, das System zu missbrauchen, sondern sie sehen darin die einzige für sich gangbare Alternative für eine legale und sichere Versorgung mit geprüften Produkten, z.B. weil sie keinen Platz für Eigenanbau in der Wohnung haben. Je größer der Anteil solcher Konsumenten an den neuen Beziehern von medizinischem Cannabis ist, desto größer ist auch der Anteil, der direkt vom Schwarzmarkt kommt und direkt wieder dort landet, wenn ihnen kein legaler Zugang mehr gewährt wird.
Eigenanbau
Wegen der zwischenzeitlichen Lieferengpässe bei Cannabissamen und Anbauzubehör sowie Berichten aus der Community gehen wir davon aus, dass auch der Eigenanbau dem Schwarzmarkt bereits tonnenweise Cannabis entzieht. Viele Konsumenten berichten, dass sie durch den Eigenanbau dem Schwarzmarkt komplett den Rücken kehren konnten und dass ihre Dealer wieder arbeiten gehen. Wir können den Faktor Eigenanbau nicht mit genauen Zahlen unterfüttern, dafür fehlen noch entsprechende wissenschaftliche Untersuchungen im Rahmen der Evaluation des Gesetzes. Dennoch sind die Hinweise, die wir auf einen gestiegenen Eigenanbau haben, bereits deutlich belastbarer als die Behauptung, der Schwarzmarkt sei größer bzw. nicht kleiner geworden, die sich auf keinerlei konkrete Grundlage stützen.
Anbauvereine
Die Anbauvereine sind bisher sicherlich noch ein kleiner Faktor. Aber die Zahl der Anbauvereine wächst und auch ihr Marktanteil wird immer relevanter werden. Dass es langsamer vorwärts geht als erwartet, hat auch mit der restriktiven Herangehensweise bzw. Totalverweigerung einiger Landesregierungen und ihrer zuständigen Behörden zu tun.
Entlastung der Polizei
Ähnlich stellt sich die Situation bei dem Argument dar, die Polizei sei durch das CanG nicht entlastet worden. Etliche Innenminister, die das als Gegner der Cannabisreform schon immer gesagt haben, behaupten es sogar im Rahmen der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistiken für 2024, die genau das Gegenteil in Zahlen sichtbar machen: Die Zahl der Strafverfahren ist überall massiv gesunken. Das bedeutet ganz offensichtlich eine Entlastung der Polizei.
Beinahe trotzig wird das Narrativ der Polizeigewerkschaften nacherzählt, dass dieser nicht mehr notwendige Massenabfertigung von Cannabisverfahren neue Kontrollaufgaben entgegenstünden. Allerdings sind die Überwachung der Anbauvereine und der Abstandsregeln für den Konsum in der Öffentlichkeit gar nicht Aufgabe der Polizei. Für die Anbauvereine sind spezielle Behörden zuständig und für die Ordnungswidrigkeiten des Konsums am falschen Ort üblicherweise die Ordnungsämter. Und Verkehrskontrollen waren auch vor dem CanG schon regelmäßige Aufgabe der Polizei. Auch hier gilt: Wo es Fakten und Zahlen gibt, belegen sie eine Verringerung der Arbeitsbelastung von Polizei und Justiz. Wo das Gegenteil behauptet wird, muss man ohne Evidenz auskommen.
Umgekehrt gedacht wird es noch klarer: Sollten Sie an Ihren Forderungen festhalten und durchsetzen, den Besitz und den Eigenanbau sowie die Anbauvereine wieder zu verbieten, wird das zu mehr Strafverfahren und damit zu Mehrarbeit bei der Polizei führen. Die Reduzierung der Ernte aus Eigenanbau und Anbauvereinen wird sich als Nachfrage auf dem Schwarzmarkt niederschlagen. Nicht das CanG, sondern das Zurückdrehen des CanG stärkt kriminelle Strukturen!
Konsum durch CanG nicht reduziert?
Ein weiteres regelmäßiges Argument aus den Reihen der CanG-Kritiker: Das Ziel sei nicht erreicht worden, den Konsum zu reduzieren. Aus unserer Sicht war das allerdings gar nicht das Ziel des Gesetzes. In erster Linie geht es darum, dass eine regulierte Situation besser für alle Beteiligten ist als ein unkontrollierbarer Schwarzmarkt – und dass es nicht gerechtfertigt ist, jedes Jahr hunderttausende Cannabiskonsumenten mit Strafverfahren zu überziehen.
Es wäre allerdings ein bedenkenswerter Minuspunkt, wenn die Reform zu einem erheblichen Anstieg des Cannabiskonsums führen würde. Und zwar zu einem größeren Zuwachs als es in den letzten Jahren und Jahrzehnten der zunehmenden Repression der Fall war. Im aktuellsten Bericht Deutschlands an die EU-Drogenagentur von 2024 wird das Scheitern der Verbotspolitik deutlich:
“Bei der Betrachtung der ESA-Daten von 1995 bis 2021 zeigt sich bei der 12-Monats-Prävalenz des Cannabiskonsums der 18- bis 59-Jährigen ein sich in den letzten 10 Jahren beschleunigender Anstieg von 4,4 % (1995) auf 10,0 % (2021) (Abbildung 4).”
Eine Stagnation der Konsumentenzahlen nach Einführung des CanG wäre also ein Erfolg, den die Prohibition trotz ständig wachsendem Verfolgungsdruck nicht erreicht hat. Wenn die Reduzierung der Konsumzahlen das entscheidende Ziel der Cannabispolitik sein soll, wo waren dann die Politiker, die eine Abschaffung des Verbots gefordert haben, weil der Konsum dadurch nicht reduziert wurde?
Selbst wenn die Konsumraten in der gleichen Weise weiter steigen würden wie in den letzten 10 Jahren vor dem CanG, würde das darauf hindeuten, dass hunderttausende Strafverfahren vollkommen wirkungslos verpufft sind, dass es keinen Unterschied macht, ob man sie durchführt oder nicht. Wenn sogar ein Nicht-Sinken der Konsumzahlen als Argument hergenommen wird, dass die alte Politik mit ihren hohen Steigerungsraten weitergeführt werden soll, ist das geradezu absurd.
“Wir brauchen nicht noch ein weiteres riskantes Rauschmittel”
Es werden also nicht immer mehr Rauschmittel konsumiert, es wird nur anders konsumiert. Da Cannabis zwar nicht harmlos, unter dem Strich aber nicht gefährlicher ist als Alkohol, ist ein zunehmender Cannabiskonsum nicht zwingend ein zusätzliches Problem, wenn gleichzeitig weniger Alkohol getrunken wird.
Davon abgesehen ist Cannabis ohnehin längst in Deutschland angekommen. Es geht nicht um die Frage, ob wir ein neues Fass aufmachen wollen, sondern wie wir mit Millionen Konsumenten am sinnvollsten umgehen wollen und wie wir endlich Verbraucherschutz in einem Markt von ca. 4 Milliarden Euro und mit einem Volumen von ca. 400 Tonnen Cannabis pro Jahr durchsetzen können.
Gemeinsam das Cannabisgesetz weiterentwickeln, anstatt den Krieg gegen Konsumenten neu zu beginnen
Ich hatte in den letzten Jahren und Jahrzehnten vielfach die Ehre, als Sachverständiger zur Cannabispolitik angehört zu werden. Auf meine erhebliche Kritik an vielen Details des CanG haben einige von Ihnen hingewiesen, um ihre Ablehnung des CanG zu begründen, darunter auch Thorsten Frei:
Sicherlich war Ihnen dabei bewusst, dass ich das CanG grundsätzlich für einen großen Schritt in die richtige Richtung halte, Herr Frei. Lassen Sie uns doch die Evaluierung des Gesetzes sorgfältig durchführen und gemeinsam an den “schwachsinnigen Vorgaben” und komplizierten Detailregeln des CanG arbeiten, anstatt in die Drogenpolitik des letzten Jahrhunderts zurückzufallen!
Mit freundlichen Grüßen Georg Wurth
P.S.: Um Missverständnisse zu vermeiden: Wir sind ausdrücklich keine Interessenvertretung der Cannabis-Branche, sondern von Privatpersonen, insbesondere von Legalisierungsbefürwortern und Cannabiskonsumenten. Unsere Firmensponsoren unterstützen unsere Arbeit im Bewusstsein dieses Ansatzes und sie tragen weniger als 20% zu unserem Budget bei.
Kommentare
12 Antworten zu „Offene Mail an CDU/CSU-Verhandler: Cannabisgesetz rund machen!“
Leo
Super Georg!
Lieber Hanfverband,
Vielen Dank für eure Arbeit! 🙂
Danke Georg du hast die Sachlage auf den Punkt gebracht. Das war nötig und sollte der Presse zugänglich gemacht werden …. Lass die Connection spielen am besten an die dpa ….
Das entspricht ein bisschen auch den politischen Entwicklungen. In den Nuller Jahren haben etliche Bundesländer die „geringe Menge“ herabgesetzt, bis zu der Strafverfahren eingestellt wurden. In den 10er Jahren hat sich dieser Trend nicht mehr fortgesetzt und dann teilweise auch wieder umgedreht.
Ich schätze aber nicht, dass das die Ursache für das Konsumverhalten war, sondern eher umgekehrt. Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, dass es keinen großen Zusammenhang zwischen Konsumverbreitung und den rechtlichen Rahmenbedingungen gibt, sondern dass es eher gesellschaftlichen Trends folgt, z.B. durch wachsende oder sinkende Beliebtheit bestimmter Musikrichtungen. Die entsprechende gesellschaftliche Stimmung beeinflusst dann sowohl das Konsumverhalten als auch die politischen Entscheidungen.
Was mir noch dazu einfällt: Ab ca. 2004 wurden Streckmittel in Blüten plötzlich zu einem großen Problem, während das vorher eigentlich nur bei Hasch ein Thema war. Das hat vielleicht viele abgeschreckt.
Vielen Dank für die Nachricht. Alles grundlegend richtig – eventuell hätte man noch die wirtschaftliche Bedeutung beim der Besteuerung des Verkaufs in Fachgeschäften gegenüberstellen können. Ebenso den potentiellen Jugend- und Konsumierendenschutz, indem man durch den legalen und sicheren Zugang zu Cannabis die Verfügbarkeit bzw den Zugang zu anderen Drogen erschwert, also den Faktor Einstiegsdroge hervorhebt. Das Risiko, andere Drogen auszuprobieren, wenn man auf dem Schwarzmarkt Cannabis erwirbt, ist relativ hoch.
Man kann nicht alle guten Argumente ausführen, wenn es nicht viel zu lang werden soll. Jeder hat seine eigene Auswahl, abgestimmt auf die Adressaten.
Das hier ist ausdrücklich auch als Inspiration für eigene Nachrichten gemeint. Bei dir scheint das geklappt zu haben. Also nur zu..
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