Das Thema der organisierten Kriminalität am Beispiel der “Mocro-Mafia” und ein möglicher Zusammenhang mit der erfolgten Entkriminalisierung von Cannabis wird vor allem von konservativen Kritikern des CanG gern als Argument für eine Rücknahme des Gesetzes verwendet. Eine genaue Betrachtung des Arguments und seines zugrunde liegenden Narrativs entlarvt dessen Haltlosigkeit.
Wie das Narrativ entstand
Die grundlegende These der Kritiker ist folgende: Der Schwarzmarkt wachse, weil der Konsum seit der Entkriminalisierung massiv zugenommen habe. Diese Zunahme wird quasi als logische Folge des Gesetzes und der medialen Berichterstattung darüber angenommen. Für diese steigende Nachfrage existiere jedoch kein legales Angebot und daher wachse der Schwarzmarkt für Cannabis. In diesen expandierenden Schwarzmarkt stößen nun neue Akteure der organisierten Kriminalität wie z.B. die niederländische “Mocro-Mafia” und bringen uns “holländische Verhältnisse”.
Die Herkunft dieser These stützt sich vor allem auf den LKA-Ermittler aus dem Bereich der organisierten Kriminalität Oliver Huth. Huth ist zudem auch Lobbyist in seiner Funktion als NRW-Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) und schon häufig in Ausschüssen und bei Themenabenden der CDU aufgetreten.
Anschließend griff der Bundes- und Fraktionsvorsitzende der CDU Friedrich Merz die These Huths in seiner “Merz Mail” Ausgabe 212 auf, sponn sie zu einer wahrhaft apokalyptischen Erzählung und verband sie mit der politischen Schlussfolgerung, dass man das Cannabis-Gesetz zurückdrehen müsse:
“Sein Fazit [Anm: Oliver Huths] war klar und eindeutig: Das ist erst der Anfang einer weiter zunehmenden Rauschgiftkriminalität in unserem Land, ausgelöst durch die von der Ampelregierung in Berlin beschlossene Legalisierung des Cannabis-Besitzes.
[…]
Mit der im Frühjahr verabschiedeten Cannabis-Legalisierung dürfte dies – hoffentlich – anders sein, denn Deutschland steht vor einer rasant zunehmenden, immer brutaler werdenden Rauschgiftkriminalität – und genau das haben nahezu alle Experten der Bundesregierung vorausgesagt. Aber sie [die Ampel] hat – man muss leider sagen: wie üblich – alle diese Bedenken und eindringlichen Warnungen vom Tisch gewischt und das Gesetz erst einmal verabschiedet. […] Erst kommt Cannabis und dann immer härtere Drogen mit allen Folgen für die Betroffenen und vor allem mit brutalen Bandenkriegen bis hin zur offenen Bedrohung von Repräsentanten unseres Staates. […] Die Ampel sollte daher die Kraft besitzen, den Fehler der Cannabis-Freigabe jetzt schnell zu korrigieren.”
Anschließend wurde die neue Parteilinie vom NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) aufgegriffen, in zahlreichen Interviews wiederholt und ergänzt um die These von Huth, dass die Nachfrage nach Cannabis wachse und legal nicht bedient werden könne.
Zunahme des Konsums seit dem 1.4.?
Die aktuelle Datenlage zur Entwicklung der Konsumprävalenz in Deutschland seit dem 1.4. ist sehr dünn. Bisher gibt es kaum belastbare Zahlen. Einen einzigen faktenbasierten Hinweis liefert die Debra Studie, die Daten zum Rauchverhalten der Bevölkerung ab 14 Jahren in Deutschland erfasst und auch das Rauchen von Cannabis abgefragt. Die Studie liefert Daten im zwei-Monats-Rhythmus und bildet somit auch den Zeitraum seit dem 1.4. mit zwei Datenpunkten ab:
Es zeigt sich keine signifikante Änderung des Rauchverhaltens von Cannabisprodukten in diesem Zeitraum. Eine Zunahme des Konsums seit dem 1.4. aufgrund der erfolgten Entkriminalisierung ist also aktuell nicht faktisch feststellbar.
Auch ein Blick in Länder wie Kanada, die bereits vor längerer Cannabis legalisiert haben, lässt vermuten, dass es nicht zu einem deutlichen Anstieg des Konsums von Cannabis kommen wird.
Was sich jedoch verändert haben könnte, ist der wahrgenommene Konsum in der Öffentlichkeit, wie auch im privaten Umfeld. So gaben kürzlich bei einer Umfrage von YouGov im Auftrag der dpa 31% der Befragten an, dass sie mehr Cannabiskonsum in ihrem Umfeld wahrnehmen würden. Dieser persönlich wahrgenommene Zuwachs lässt jedoch keine Rückschlüsse auf die Entwicklung des generellen Konsums zu und dürfte hauptsächlich durch den Wegfall der Strafverfolgung von Konsumierenden und eine beginnende Entstigmatisierung von Cannabis erklärbar sein. Wer Bestrafung und soziale Ächtung fürchtet, versteckte bisher seinen Konsum.
Auch wenn dies bisher nicht nachweisbar ist, könnte es natürlich sein, dass es einen kleinen Anstieg bei der Nachfrage gegeben hat. Doch nur wenn dieser Anstieg größer wäre als zusätzliche legale Bezugsmöglichkeiten für Cannabis, könnte der Schwarzmarkt unter dem Strich wachsen.
Kein legales Angebot für Cannabis?
Der zweite Teil des Arguments der Gegner der Entkriminalisierung zielt darauf ab, dass es kein legales Angebot für Cannabis gebe. Auch dies ist falsch, auch wenn sich der Umfang des legalen Angebotes schwer quantifizieren lässt.
Privater Eigenanbau
Zunächst wurde am 1.4. der private Eigenanbau ermöglicht. Mit ihm kann sich jeder Erwachsene, sofern er die Möglichkeit dazu hat, eigenständig und legal mit Cannabis versorgen. Der Lebenszyklus einer Cannabis-Pflanze ermöglicht im Idealfall eine Ernte nach ca. drei Monaten, so dass mittlerweile eine erhebliche Menge an selbst angebautem Cannabis vorhanden sein dürfte, die dem Schwarzmarkt entzogen wird. Viele Zahlen zum Umfang des selbst erzeugten Cannabis liegen nicht vor. Laut einer Online-Umfrage (n=1009) eines Anbieters für Medizinalcannabis versorgten sich 15% der Befragten mit Cannabis aus eigener Erzeugung. Zudem berichteten viele Händler von Cannabissamen und Anbauzubehör über Lieferengpässe nach dem 1.4. aufgrund der riesigen Nachfrage. Das selbst angebaute Cannabis darf rein rechtlich nicht weitergegeben werden. In der Praxis geschieht dies allerdings im privaten Rahmen trotzdem und dürfte dafür sorgen, dass insgesamt noch weniger Menschen Cannabis von Akteuren der organisierten Kriminalität beziehen.
Anbauvereinigungen
Neben dem privaten Eigenanbau existiert gesetzlich auch die Möglichkeit des gemeinschaftlichen Eigenanbaus in Anbauvereinigungen. Diese können seit dem 1.7. eine Lizenz beantragen. Die Lizenzierung durch die Landesbehörden lief allerdings sehr schleppend an, so dass bis dato nur eine Anbauvereinigung in Niedersachsen eine erste legale Ernte einfahren konnte. In absehbarer Zukunft dürfte der Anteil der Anbauvereinigungen an der Cannabisversorgung der Konsumenten in Deutschland jedoch steigen, da immer mehr Lizenzen ausgegeben werden.
Privatrezepte für Cannabis und Telemedizinanbieter
Neben diesen beiden im Gesetz angelegten Möglichkeiten, sich mit legalem Genusscannabis zu versorgen, existiert eine weitere legale Möglichkeit an Cannabis zu gelangen.
Durch die Herausnahme von Cannabis aus dem BtMG wurde die Verschreibung von Medizinalcannabis insgesamt deutlich vereinfacht. Im Besonderen gilt dies für alle Verschreibungen per Privatrezept (Selbstzahler). In diese Lücke stießen seit dem 1.4. eine Vielzahl von Telemedizinanbietern, die teilweise eine Ausstellung des Rezeptes und Lieferung des Cannabis innerhalb von einer Stunde in Ballungsräumen wie Hamburg, Berlin oder München anbieten.
Folglich boomen Privatrezepte aktuell und viele Menschen nutzen den niederschwelligen Zugang zu Medizinalcannabis, was in Apotheker- und Medizinerkreisen durchaus zwiespältig gesehen wird. Jedoch bleibt auch hier festzustellen, dass Menschen, die Cannabis aus der Apotheke beziehen, sei es medizinisch gerechtfertigt oder nicht, als Kunden auf dem Schwarzmarkt wegfallen. Schließlich waren bisher auch viele ernsthaft Erkrankte auf den Schwarzmarkt angewiesen, weil sie keinen Arzt gefunden haben, der bereit war, Cannabis zu verschreiben.
Veränderungen auf dem Schwarzmarkt
Auch von Ermittlungsbehörden wurden bisher keine Daten für ein Anwachsen des Schwarzmarktes veröffentlicht. Das Innenministerium in NRW konnte z.B. auf Nachfrage des Ökonomen Justus Haucap keine validen polizeilichen Daten für einen wachsenden Schwarzmarkt und die These ihres Dienstherren Herbert Reul präsentieren.
Auch das BKA sieht keinen Zusammenhang zwischen der Entkriminalisierung von Cannabis und dem Auftreten der “Mocro-Mafia”. Stattdessen rechnet man dort damit, dass der illegale Handel mit Cannabis abnehmen wird, sobald sich Anbauvereinigungen etabliert haben und ihre Mitglieder versorgen.
Eine mögliche Erklärung für die öffentlich wahrgenommene Gewalt in NRW lieferte abermals der Ökonom Justus Haucap. Seine These lautet, dass in einem schrumpfenden, sich verändernden Schwarzmarkt die Akteure um den kleiner werdenden Kuchen kämpfen und versuchen, die Anzahl der Anbieter zu verringern. Die beobachtete Gewalt wäre somit ein Ausdruck des Erfolgs von legalem Cannabis und zudem nur vorübergehender Natur, bis der Schwarzmarkt sich auf ein ökonomisch sinnvolles Maß verkleinert hat.
Cannabis ist kein Kokain
Das Märchen von der “holländischen Verhältnissen„, welches Konservative seit dem Beginn der Legalisierungsdebatte so gern erzählen, hat mit der Realität in Deutschland nichts gemein. Zumal sich der überwiegende Teil der Gewalt in den Niederlanden zwischen Akteuren der organisierten Kriminalität rund um den Kokainhandel mit seinen hohen Gewinnmargen abspielt. Aufgrund des notwendigen Imports von Kokain aus Südamerika ist die Verortung der Konflikte in den Benelux-Staaten stark an die großen Häfen in Rotterdam und Antwerpen gebunden.
Die nächste Sau wird durchs Dorf getrieben
Die mittlerweile häufig kommentierte Absurdität der These von März und Reul hielt den NRW-Innenminister nicht davon ab, mit der nächsten absurden Behauptung hausieren zu gehen. Reuls neueste Vermutung ist, dass die organisierte Kriminalität die Anbauvereinigungen unterwandern könnte. Wieder eine These, die von legalisierungskritischen Lobbyorganisationen der Polizei lanciert wurde und nun Eingang in die Politik findet.
„Wir befürchten, dass Straftäter aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität die Möglichkeit der Anbauvereine dafür nutzen werden, kriminelle Strukturen auszubauen“, sagt der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Alexander Poitz. Augsburger Zeitung, 01.07.2024
Auch das ist wieder eine These, die völlig ohne Fakten und Daten auskommt. Eine Erfindung, die ihre Glaubwürdigkeit lediglich daraus zieht, dass sie von angeblichen Fachleuten kommt. Ein kurzer Blick in das CanG offenbart jedoch, wie absolut unwahrscheinlich diese Behauptung ist. Die Anbauvereinigungen gehören zu den am stärksten regulierten und kontrollierten Organisationen in Deutschland. Neben sehr umfangreichen Background-Checks der Vorstandsmitglieder und aller im Anbau Beschäftigen, müssen die Vereine eine rigorose Buchführung vorweisen über jedes Gramm Cannabis, das sie erzeugen und abgeben. Zudem sollen sie regelmäßig, zum Teil auch unangekündigt, durch Behörden kontrolliert werden und müssen eine Vielzahl an behördlichen Auflagen erfüllen. Zu guter Letzt müssen die Anbauvereinigungen zudem auch noch nicht kommerziell agieren! Warum die organisierte Kriminalität dieses durchbürokratisierte Modell so attraktiv findet, weiß offensichtlich nur Herbert Reul exklusiv. Oder vielleicht auch ein alter Bekannter: Sebastian Fiedler, ehemaliger Vorsitzender des BdK und jetzt Innenpolitiker in der SPD-Fraktion, einer der härtesten Gegner der Cannabisreform, warnte schon im April 2023:
„Wir wissen nämlich von EUROPOL, dass die Organisierte Kriminalität schon plant, in Deutschland groß einzusteigen, wenn legalisiert wird“, so Fiedler.
“EUROPOL”, also anonyme Polizeikreise, darauf kann man sich als Legalisierungsgegner bequem berufen. Es klingt glaubwürdig und ist gleichzeitig noch schlechter zu widerlegen als das Narrativ vom profitierenden Schwarzmarkt.
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