Eine neue Zeit bricht an für Cannabispatienten und Legalisierungsaktivisten in Deutschland. Am 19. Januar hat der Bundestag das neue Gesetz für Cannabis als Medizin beschlossen. Ein großer Erfolg für alle, die schon seit Jahrzehnten für eine Verbesserung der Situation gekämpft haben. Jetzt können natürliche Cannabisblüten und -extrakte in Deutschland ganz normal medizinisch angewendet werden. Hier eine Zusammenfassung der aktuellen Situation.
Kurz nachdem das Gesetz beschlossen wurde, hatte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bereits erste Informationen dazu auf seiner Website. Auch die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin liefert einige hilfreiche Informationen besonders für betroffene Patienten. Neben dem eigentlichen Gesetz gibt es also durchaus schon einige Informationen, die zur Verfügung stehen. Wie manche Dinge in der Praxis aussehen, wird sich aber erst ab März erweisen. Dann soll das Gesetz in Kraft treten.
Welche Veränderungen gab es vor der letzten Beratung im Bundestag?
Eigentlich gab es in den letzten Wochen aus Sicht des DHV nur Verbesserungen an dem Gesetz. Die Kosten für Cannabis sollen nicht mehr nur bei schwerwiegenden, chronischen Krankheiten übernommen werden können, sondern generell bei schwerwiegenden Krankheiten. Auch Menschen, die weniger als ein Jahr in medizinischer Behandlung sind, qualifizieren sich also dafür. Die Krankenkassen sollen die Kostenübernahme bei Fällen von schwerwiegenden Krankheiten nur noch in Ausnahmefällen ablehnen und Ärzte können Cannabis auch verschreiben, ohne dass die Betroffenen vorher alle denkbaren Medikamente ausprobieren, wenn dies aus ärztlicher Sicht nicht angebracht ist. Diese Veränderungen werden die Zahl der Menschen, die ihr Cannabis wirklich von der Kasse bezahlt bekommen, erhöhen.
Für welche Krankheiten gibt es Cannabis als Medizin?
Grundsätzlich kann Cannabis für jede Krankheit auf Privatrezept verschrieben werden. Es gibt keine gesetzlichen Einschränkungen diesbezüglich, eventuell werden im Rahmen von ärztlichen Leitlinien noch gewisse Vorgaben erarbeitet, die aber für Ärzte nicht verpflichtend sind. (Edit: Unter diesem Artikel findet sich in einem Kommentar von Georg Wurth eine Liste von Krankheiten, für die das BfArM bereits Ausnahmegenehmigungen erteilt hat.) Damit ist für Betroffene weiterhin (wie bisher auch) das entscheidende Problem, einen Arzt zu finden, der dem Thema offen gegenüber steht. Etwas schwieriger wird es wahrscheinlich bei der Kostenübernahme durch die Krankenkasse.
Wann bezahlt die Kasse?
Die Krankenkasse soll bei schwerwiegenden Krankheiten die Kosten für Cannabis übernehmen. Nur in Einzelfällen sollen die Krankenkassen dann die Kosten noch ablehnen können. Grundbedingung dafür wird ein Rezept von einem kassenärztlich zugelassenen Arzt. Auch hier gibt es aktuell keinen festen Katalog von Krankheiten, für den eine Zulassung möglich ist. Leider ist der Begriff “schwerwiegende Erkrankung” nicht klar definiert, so dass viele Streitfälle zwischen Patienten und Krankenkassen zu erwarten sind. Cannabis hilft bei vielen verschiedenen Krankheiten und insofern ist es sehr zu begrüßen, dass den Ärzten an diesem Punkt weitgehende Freiheiten gewährt wurden.
Bei der Frage der Austherapierung gab es leichte Verbesserungen. Die Kosten können auch übernommen werden, wenn der Arzt die Vergabe anderer Medikamente nicht für sinnvoll hält. Wer am Ende eine Übernahme der Kosten erhalten wird und wie lange dies im Einzelfall verzögert wird, darüber kann man momentan nur spekulieren.
Was passiert mit den Ausnahmegenehmigungen?
Die alten Ausnahmegenehmigungen sollen im Lauf von drei Monaten ihre Gültigkeit verlieren. Patienten mit Ausnahmegenehmigung müssen sich dann ein Betäubungsmittelrezept von ihrem behandelnden Arzt ausstellen lassen. Das komplizierte Genehmigungsverfahren beim BfArM entfällt, wodurch es für Ärzte deutlich leichter wird, Therapieversuche mit Cannabis zu starten. Deshalb Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der Ärzte, die mit Cannabis arbeiten, deutlich steigen wird. Es ist ab sofort nicht mehr sinnvoll, einen Antrag auf Ausnahmegenehmigung zu stellen. Neue Anträge werden vermutlich nicht mehr bearbeitet.
Was passiert mit den Anbaugenehmigungen?
Die beiden jüngst durch das BfArM erteilten Anbaugenehmigungen für Patienten werden in dem Moment ihre Gültigkeit verlieren, in dem die Krankenkassen die Zahlung von Cannabis aus der Apotheke übernehmen. Dennoch macht es weiterhin für Patienten Sinn, Anbauanträge an das BfArM zu stellen. Wir gehen davon aus, dass es auch in Zukunft Patienten geben wird, denen Cannabis zwar hilft, die es aber dennoch nicht von der Kasse bezahlt bekommen. Diese Menschen haben weiterhin die Möglichkeiten wie bisher vorzugehen, also einen Antrag auf Eigenanbau zu stellen und / oder im Fall einer Strafanzeige wegen Eigenanbau auf rechtfertigenden Notstand zu plädieren!
Wie findet man einen Arzt?
Nicht jeder Arzt will mit medizinischem Cannabis arbeiten. Das wird auch nach der Gesetzesänderung noch so bleiben. Die Möglichkeit, Cannabisblüten einfach auf ein Rezept zu verschreiben, wird das Verfahren aber für Ärzte viel einfacher machen. Daher wird die Zahl der Ärzte massiv steigen. Wir haben gute Gründe davon auszugehen, dass zum Start des Gesetzes im März noch eine größere Zahl von Ärzten öffentlich bekannt wird.
Wo kommt das Cannabis her?
Aktuell importieren mehrere Firmen Cannabisblüten aus den Niederlanden und Kanada. Nach Einführung des Gesetzes wird eine Cannabisagentur als untergeordnete Behörde zumdes BfArM gegründet, die ein Ausschreibungsverfahren für Lizenzen starten wird. Das BfArM hat bereits entsprechende Stellenausschreibungen veröffentlicht, um sein Personal entsprechend aufzustocken. Wer Interesse an der Arbeit in diesem Bereich hat, sollte sich dort jetzt bewerben!
Unternehmen die sich auf die Ausschreibung zum Anbau bewerben wollen, müssen sich noch etwas gedulden. Dennoch sind viele Unternehmer jetzt schon im Kontakt mit dem BfArM, um sich eine bessere Position zu erarbeiten. Es kann sinnvoll sein, hier jetzt schon Kontakte aufzunehmen.
Wie teuer wird das Cannabis aus der Apotheke?
Dazu gibt es unterschiedliche Theorien. Manche glauben, Medizinalhanf wird in Zukunft teurer werden als die aktuellen 12-20€ pro Gramm, andere gehen von sinkenden Preisen aus. Langfristig dürften die Preise wohl sinken, kurz- und mittelfristig sind aber verschiedene Szenarien denkbar.
Wird der Konsum von Cannabismedizin in der Öffentlichkeit verboten?
Nein. Rauchen von Cannabis ist natürlich genauso wie Tabakrauchen in öffentlichen Gebäuden und Nichtraucherzonen verboten. Davon abgesehen gibt es aber keine speziellen Einschränkungen, wann und wie die Patienten ihre Medizin einzunehmen haben.
Wie soll man sich als Cannabispatient gegenüber Polizisten ausweisen?
Die bisherigen Ausnahmegenehmigungen entfallen, damit bleibt zunächst nur das BTM-Rezept. Eventuell wird das BfArM oder die neue Cannabisagentur auch noch eine Karte einführen, wie sie in vielen anderen Ländern üblich ist, die man zur Legitimierung gegenüber Polizeibeamten nutzen kann.
Darf man als Cannabispatient Auto fahren?
Aktuell gibt es eine große Grauzone. Viele Cannabispatienten mit Ausnahmegenehmigung fahren seit Jahren Auto und werden dabei von Polizei und Führerscheinstelle toleriert. Einige machten auch erfolgreich eine MPU unter Cannabiseinfluss, um ihre Fahrtüchtigkeit zu belegen. Anderen Patienten erging es schlechter, es kam in den vergangenen Jahren immer wieder zu Führerscheinentzügen und MPU-Anordnungen nach Polizeikontrollen.
Anders ist es schon jetzt bei Patienten, die Sativex oder Dronabinol auf Rezept verschrieben bekommen. Sie haben THC im Blut, dürfen aber bei Zustimmung ihres Arztes auch Auto fahren. Hier kam es in der Vergangenheit nur selten zu Problemen. Sobald also Cannabisblüten auf Rezept verschrieben werden, kann der Arzt klarstellen, wie lange nach der Einnahme der Patient kein Auto fahren sollte. Es ist jedenfalls grundsätzlich möglich, mit Cannabis im Blut Auto zu fahren, wenn der Patient in Absprache mit dem Arzt stabil auf das Medikament eingestellt ist. Siehe Infos TÜV Süd.
Wem ist dieser Erfolg zu verdanken?
Dieses Gesetz entstand nicht durch den guten Willen der CDU geführten Regierung. Es wurde nur geschrieben, um die zunehmende Legalisierung des Eigenanbaus für Patienten durch Gerichte zu unterbinden. Das Bundesverwaltungsgericht Leipzig hatte im April 2016 das BfArM verpflichtet, entsprechende Genehmigungen zu erteilen. Aktuell haben zwei Cannabispatienten in Deutschland eine Genehmigung, ihr Cannabis selbst anzubauen. Diese sind befristet, bis zum Erhalt einer Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Dass die Verhinderung des Eigenanbaus eines der Ziele der eigentliche Zweck des Gesetzes ist, wurde durch die Bundesregierung immer wieder klar gesagt.
Auch die steigende Zahl der Ausnahmgenehmigungen zum Erwerb aus der Apotheke sowie viele Gerichtsentscheide zu Patienten, die beim Anbau erwischt wurden und dann wegen rechtfertigendem Notstand freigesprochen bzw. nur zu geringen Strafen verurteilt wurden, erhöhten den Druck auf die Regierung massiv. Schon diese ersten Genehmigungen zum Besitz von Cannabis mussten juristisch erkämpft werden, genauso ging es weiter.
Der Dank für dieses Gesetz gebührt also sicher nicht in erster Linie der Regierung bzw. CDU und SPD, sondern den vielen Patienten, die für ihr Recht gekämpft haben. Michael F., der es bis vor das Bundesverwaltungsgericht schaffte und gewann, aber genauso all den anderen Betroffenen, die entweder als Kläger oder als Beklagte nicht klein beigaben, sondern auf ihrem Standpunkt beharrten.
Entscheidend für den Erfolg der einzelnen Patienten auf diesem Weg war auch die Arbeit von Dr. Franjo Grotenhermen, der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin sowie dem Selbsthilfenetzwerk Cannabis als Medizin. Durch ihre fachliche Unterstützung konnte vielen Betroffenen der Weg zur Ausnahmegenehmigung oder zum Antrag auf Eigenanbau erklärt werden. Politiker und Journalisten finden dort ernstzunehmende Kontakte und Informationen rund um das Thema Cannabismedizin. Ohne diese beiden Organisationen und die persönliche Arbeit von Dr. Grotenhermen wäre dieser Erfolg schwer denkbar gewesen.
Was hat der DHV beigetragen?
Der DHV hat sich seit seiner Gründung auch mit dem Thema Cannabis als Medizin beschäftigt. Seit der Erteilung der ersten Ausnahmegenehmigung zum Cannabisbesitz verfolgen wir die Entwicklung sehr intensiv. Nach der Millionärswahl konnten wir noch deutlich mehr tun. So konzentrierte sich einer unserer Kino-Werbespots voll auf das Thema Cannabismedizin. Auf YouTube wurde dieser Spot zum meistgeklickten Spot unter unseren drei Videos und er wurde hundertausende Male in deutschen Kinos ausgespielt. Die Lindenstraße griff das Thema mehr als ein Jahr später mit teilweise sehr ähnlichen Bildern und Abläufen wieder auf.
Im Jahr 2014 unterstützten wir die Spendenkampagne der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin “Straffreiheit für Patienten” mit 10.000€ und massiven Spendenaufrufen über unsere Kanäle. So konnte viel Geld gesammelt werden, um Strafverfahren von Betroffenen zu unterstützen.
Ein Jahr später unterstützten wir die Petition von Dr. Grotenhermen für Cannabis als Medizin an den Deutschen Bundestag. Viele Aktivisten aus DHV-Ortsgruppen sammelten Unterschriften, Preisgelder für Unterschriften wurden ausgelobt und im Endspurt engagierten wir sogar bezahlte Kräfte zum Unterschriftensammeln. Über 30.000 Unterschriften konnten so dem Bundestag vorgelegt werden. Nicht alle Forderungen aus dieser Petition werden mit dem neuen Gesetz erfüllt, aber viele.
Über unseren Flyer und unsere Broschüre zu Cannabis als Medizin konnten wir zehntausende Menschen aufklären. Unser Mitarbeiter Maximilian Plenert organisiert eine Selbsthilfegruppe von Patienten in Berlin. Bis zum heutigen Tag haben wir außerdem hunderten Patienten im ganzen Bundesgebiet auf dem Weg zur Ausnahmegenehmigung direkt geholfen. Es verging in den letzten Jahren kaum eine Woche, in der wir nicht über unsere Kanäle zum Thema Cannabis als Medizin berichteten und auch bei Gesprächen mit Politikern und Medien wiesen wir stets auf die Dramatik der Situation von Cannabispatienten in Deutschland hin. Die DHV-Mitarbeiter wurden außerdem als Sachverständige im Bundestag zum Thema angehört.
Wie geht es jetzt weiter?
Neben den behördlichen Abläufen bei der neuen Cannabisagentur wird es für uns jetzt vor allem darum gehen, den Eigenanbau von Patienten weiter zu unterstützen. Dazu wird es wahrscheinlich in Zukunft weitere Gerichtsverfahren geben. Ansonsten werden wir unsere politische Lobbyarbeit verstärkt auf die vollständige Legalisierung von Cannabis richten. Nicht nur, aber auch im Sinne der Patienten! Denn solange Cannabis nicht vollständig legal ist, werden auch Patienten immer wieder mit Stigmatisierung und gesellschaftlichen Problemen wegen ihrer Medizin rechnen müssen. Schluss mit Krimi. Cannabis normal!
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