|

Cannabismedizin beschäftigt Bundestag


Meldung des DHV vom 1. 7. 2008

Obwohl das Bundesverwaltungsgericht Leipzig vor drei Jahren entschied, dass der Zugang zu Cannabismedizin im Interesse der Allgemeinheit liegt, erhielt bisher kaum ein Dutzend Patienten eine Genehmigung für den Umgang mit dem verbotenen Medikament. Zwei Anträge der Oppositionsparteien zwingen den Gesundheitsausschuss des Bundestages nun dazu, sich mit dem Thema Cannabis als Medizin zu beschäftigen.Erstmals sollen auch Vertreter des “Selbsthilfenetzwerks Cannabis Medizin” zu Wort kommen. Um ihr Anliegen, die sofortige Legalisierung von Cannabis als Medikament, zu unterstreichen, hat das SCM eine Online-Petition gestartet und will die so gesammelten Unterschriften im Bundestag vorlegen.

BVerwG: Cannabismedizin dient Gemeinwohl

Sitz des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, Aussenansicht Sitz des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, Foto von Maneke

Seit das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig am 19.05.2005 entschied, dass Anträge für die Verwendung von natürlichem Cannabis als Medizin vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nicht mehr grundsätzlich abgelehnt werden dürfen, ist Bewegung in die Diskussion um eine generelle Legalisierung so genannten Medizinalhanfs gekommen. Im ganzen Land hofften Aids- und Krebspatienten, Multiple-Sklerose-Kranke, Epileptiker und unzählige andere kranke Menschen darauf, schon bald von der billigen, nebenwirkungsarmen und vielseitigen Medizin Cannabis zu profitieren.

Das Gericht hatte festgestellt, dass die Verweigerung einer potentiell Linderung verschaffenden Therapie unzulässig in das Grundrecht der Patienten auf Leben und körperliche Unversehrtheit eingreift.

“Die medizinische Versorgung der Bevölkerung ist kein globaler Akt, der sich auf eine Masse nicht unterscheidbarer Personen bezieht. Sie realisiert sich vielmehr stets durch die Versorgung einzelner Individuen, die ihrer bedürfen.


In das Recht auf körperliche Unversehrtheit kann nicht nur dadurch eingegriffen werden, dass staatliche Organe selbst eine Körperverletzung vornehmen oder durch ihr Handeln Schmerzen zufügen. Der Schutzbereich des Grundrechts ist vielmehr auch berührt, wenn der Staat Maßnahmen ergreift, die verhindern, dass eine Krankheit geheilt oder wenigstens gemildert werden kann und wenn dadurch körperliche Leiden ohne Not fortgesetzt und aufrechterhalten werden. Das gilt insbesondere durch die staatliche Unterbindung des Zugangs zu prinzipiell verfügbaren Therapiemethoden zur nicht unwesentlichen Minderung von Leiden.”BVerwG 3 C 17.04 Randziffer 17 und 18 (Urteil vom 19.05.2005)

Das BVerwG verpflichtete das BfArM, künftig alle Anträge von Patienten im Einzelfall zu prüfen und entsprechende Ausnahmegenehmigungen nach § 3 Abs. 2 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) zu erteilen

§ 3 BtMG Erlaubnis zum Verkehr mit Betäubungsmitteln

(1) Einer Erlaubnis des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte bedarf, wer

  1. Betäubungsmittel anbauen, herstellen, mit ihnen Handel treiben, sie, ohne mit ihnen Handel zu treiben, einführen, ausführen, abgeben, veräußern, sonst in den Verkehr bringen, erwerben oder
  2. ausgenommene Zubereitungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) herstellenwill.

(2) Eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel kann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nur ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen.§ 3 Abs. 2 BtMG

BfArM und Regierung verweigern Genehmigungen für Cannabispatienten

Doch das BfArM dachte nicht daran, das Gerichtsurteil umzusetzen. Patienten, die Anträge stellten wurden stattdessen mit zum Teil absurden Auflagen hingehalten. In dieser Taktik wurde die Behörde von der Bundesregierung unterstützt, die in der Verwendung von Cannabis als Medizin, ja selbst in der Diskussion über dieses Thema, eine Verharmlosung der Risiken des Konsums von Haschisch und Marihuana sah. Außerdem sei die medizinische Wirksamkeit von Cannabis nicht wissenschaftlich belegt.

“Cannabis ist nach wie vor ein nicht verschreibungsfähiges Betäubungsmittel, dessen therapeutischer Nutzen – abgesehen von Dronabinol bei bestimmten Indikationsbereichen – bis heute nicht eindeutig wissenschaftlich nachgewiesen ist.”Sabine Bätzing Drogenbeauftragte der Bundesregierung auf Abgeordnetenwatch.de

Erst im Sommer letzen Jahres hatte das BfArM Hoffnung, einen Weg gefunden zu haben, den Spagat zwischen der Entscheidung des BVerwG und den politischen Vorgaben zu meistern. Es erteilte einer Patientin, die an Multipler Sklerose leidet, die Genehmigung, einen Extrakt aus natürlichem Cannabis zu nutzen.
Zwar durfte auch diese Patientin weiterhin natürliches Cannabis nicht direkt besitzen, immerhin sollte der Cannabisextrakt jedoch alle in Marihuana vorkommenden Cannabinoide enthalten.

Dronabinol ist keine Lösung

Die bisher erhältlichen Präparate auf Cannabisbasis (Marinol und Dronabinol) enthalten ausschließlich den Cannabishauptwirkstoff THC. Es gilt jedoch als medizinisch sicher, dass die Kombination der gut 60 bekannten Cannabinoide therapeutisch wertvoller ist als reines THC. Unzählige Patientenberichte bestätigen dies.

“Again and again patients have testified that they preferred marijuana above dronabinol for its appetite stimulating effect. Therefore, it is hoped that marijuana will stay an option for the medical treatment of wasting syndrome in AIDS patients.”Dr. Robert Gorter, “Management of Anorexia-Cachexia in Advanced HIV Disease,” PAACNOTES, Vol. 3, No. 5, 1992

“Good cannabis substitute, but only a substitute I started using Marinol after years of successfully using cannabis to mitigate the nausea and pain caused by my frequent migraines. Marinol works perhaps 70-80% as well as whole cannabis, but as Marinol is ingested rather than inhaled, relief is slower.”

“Good, but nature is better. Marinol is good, but not as good as whole cannabis.”Meinungen von Marinol-Patienten aus den USA

Dronabinol hilft aber nicht nur weniger Patienten als natürliches Marihuana, es ist mit Therapiekosten von 300-600 Euro pro Monat auch um ein Vielfaches teurer.

Patienten lehnen Cannabisextrakt ab

Leider zeigte sich schnell, dass die mit viel Medienecho begleitete Extraktgenehmigung kaum das Papier wert war, auf dem sie gedruckt wurde. Nur sehr wenige Patienten erhielten überhaupt eine solche Genehmigung und die Versorgung mit dem Cannabisextrakt ist extrem schwierig, weil er kein reguläres Medikament ist und “nach Bedarf” produziert werden muss. Dazu kommt, dass die physikalischen Eigenheiten des auf Sesamöl basierenden Extrakts die Verwendungsmöglichkeiten stark einschränken.
Diese Probleme haben dazu geführt, dass die Mehrheit der für den Extrakt in Frage kommenden Patienten ihn nicht will. Stattdessen drängen die Betroffenen das BfArM, echte Genehmigungen für den Umgang mit medizinischem Cannabis zu erteilen. Sie stellten deshalb Anträge, die es ihnen ermöglichen sollen, sich in Zukunft mit Cannabis aus niederländischen Apotheken zu versorgen oder das benötigte Cannabis selbst anzubauen.

Linke und Grüne wollen Cannabis als Medizin legalisieren

Den Gedanken der straflosen Selbstversorgung der Patienten greift nun auch die Bundestagsfraktion der Partei Die Linke in ihrem Antrag “Cannabis zur medizinischen Behandlung freigeben” auf. Die Linke will das BtMG um einen Paragraphen erweitern, der es Patienten ermöglicht, von ihrem Arzt natürliches Cannabis verschrieben zu bekommen und dieses straffrei zu besitzen. Auch soll der Anbau von Cannabis durch Patienten nicht mehr verfolgt werden, wenn er der Eigenversorgung mit Cannabismedizin dient.

“Der Bundestag wolle beschließen:

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

  1. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der das Verfahren zur Erstellung einer ärztlichen Bescheinugung über eine medizinische Indikation regelt und bei Vorlafe einer solchen ärztlichen Bescheinigung
    a) den Besitz von Cannabis von der Strafverfolgung freistellt und
    b) den Anbau von Cannabis für den medizinischen Eigenbedarf erlaubt,
    …”

Antrag der Bundestagsfraktion Die Linke “Cannabis zur medizinischen Behandlung freigeben

Ähnliche Forderungen beinhaltet auch ein Antrag der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen, den diese bereits im November 2007 einreichte.

“Der Bundestag wolle beschließen:

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

  1. einen Gesetzentwurf folgenden Inhalts vorzulegen:
    a) im Regelfall ist ein betäubungsmittelrechtliches Strafverfahren wegen Gebrauchs von Cannabis einzustellen und die Beschlagnahme sowie Einziehung des Betäubungsmittels ausgeschlossen, wenn die oder der Tatverdächtige Cannabis aufgrund einer ärztlichen Empfehlung verwendet;
    b) es werden die Voraussetzungen sowie das Verfahren geregelt, nach denen eine solche ärztliche Empfehlung anhand einer Liste von Indikationen ausgestellt und nachgewiesen werden kann.
  2. sobald ein zugelassenes Fertigarzneimittel auf Basis eines standardisierten, definierten Cannabisextraktes zur Verfügung steht, dieses durch Umstufung in den Anhang III des BtMG verschreibungsfähig zu machen.”

Antrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen “Medizinische Verwendung von Cannabis als Medizin erleichtern

CSU-Drogenbeauftragte bruskiert Patienten

Offizielle Stellungnahmen der Bundesregierung zu den Anträgen liegen noch nicht vor. Es ist jedoch davon auszugehen, dass SPD und Union nicht von ihrer kompromisslosen Strategie “Cannabis ist gefährlich, seine Wirksamkeit als Medizin ist nicht belegt” abweichen werden. Erst in der vergangenen Woche sorgte die Drogenbeauftragte der CDU/CSU- Bundestagsfraktion für Unruhe, als sie bei einer Rede im Bundestag unter anderem erklärte:

“Untersuchungen weisen auf die “vielen Unbekannten”, die vielen offenen Fragen in diesem Zusammenhang hin und empfehlen weitere wissenschaftliche Untersuchungen im Hinblick auf den Wirkmechanismus der Inhaltsstoffe von Cannabis.
Auch nach Auffassung des Gesundheitsministeriums und des Bundesinstituts für Arzneimittel ist der therapeutische Nutzen der Cannabiseinnahme nicht erwiesen.


Der Cannabiskonsum hat heute eine andere Dimension als noch zu Flower-Power-Zeiten.Tausende junger Menschen sind abhängig von dieser Droge. Ihr therapeutischer Nutzen ist nicht erwiesen, die Risiken der Einnahme hingegen sind längst bekannt.

Vor dem Hintergrund dieser Fakten lehnen wir den Antrag der Linken zur medizinischen Verwendung von Cannabis ab. Stattdessen muss die Präventionsarbeit vor allem an Schulen und in Vereinen ausgebaut werden. Ziel ist es, den Einstieg junger Menschen in die Sucht zu verhindern.”Aus einer Rede von Maria Eichhorn (MdB, CSU) am 26.06.2008 vor dem Deutschen Bundestag

Diese Aussagen wurden nicht nur von betroffenen Patienten mit Entsetzen aufgenommen. Markus Einsle, Sprecher des Selbsthilfenetzwerks Cannabis Medizin wandte sich mit einem offenen Brief an Frau Eichhorn und kritisierte, dass sie das legitime Ziel “den Einstieg junger Menschen in die Sucht zu verhindern” unzulässig damit vermenge “schwerkranken Patienten und Patientinnen eine legale Möglichkeit der Behandlung zu ermöglichen”.

“Weshalb Sie die Themen medizinische Anwendung, Freizeitkonsum und ausgerechnet auch noch das Thema der Abhängigkeit Jugendlicher miteinander vermischen, kann ich in keiner Weise nachvollziehen. Wie Sie wissen, werden u.a. auch Opioide in der Medizin äußerst erfolgreich eingesetzt, und zwar keineswegs “zum Spaß”, sondern aufgrund der schlichten medizinischer Notwendigkeit, ohne dass ein sachlich denkender Mensch sich genötigt fühlen müsste, diesen Einsatzzweck mit einer völlig hinfälligen Diskussion über das Missbrauchspotential der in die Opioid- Kategorie fallenden Droge Heroin schlecht zu reden.”Markus Einsle 2. Sprecher des SCM am 27.06.2008

Gesundheitsausschuss läßt Cannabispatienten sprechen

Cannabispatienten fordern die sofortige Legalisierung von Cannabis als Medikament! Online-Pedition des Selbsthilfenetzwerks Cannabis Medizin

Gesprächsstoff wird also reichlich vorhanden sein, wenn die unterschiedlichen Positionen am 15.10.2008 aufeinander treffen. Dann nämlich will der Gesundheitsausschuss des Bundestages öffentlich über die Anträge von Linken und Grünen beraten. Erstmals wird an diesem Tag auch Betroffenen die Möglichkeit eingeräumt, sich vor dem Ausschuss zu äußern.
Die geladenen Vertreter des SCM wollen die Gelegenheit nutzen und den Skeptikern der Regierungsparteien die breite Unterstützung der Bevölkerung für eine Legalisierung von Cannabis als Medizin vor Augen führen. Dazu haben sie eine Onlinepetition gestartet, die bisher von knapp 300 Personen “unterzeichnet” wurde.

Der Deutsche Hanf Verband unterstützt den Kampf des SCM für eine zügige Legalisierung der Verwendung von Cannabis als Medizin und begrüßt die Anträge von Bündnis 90/ Die Grünen und Die Linke. Er fordert die Bundesregierung auf, das Leid der Patienten nicht unnötig zu verlängern und das BfArM anzuweisen, Anträge für den Besitz und Anbau von Cannabis zur Eigenversorgung im Rahmen einer Cannabistherapie unbürokratisch positiv zu bescheiden, bis eine befriedigende gesetzliche Neuregelung dies unnötig macht!

Mehr zum Thema


Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert