Meldung des DHV vom 31.08.2010
Entgegen der Schlagzeilen der letzten Wochen ist die angekündigte Reform des Betäubungsmittelgesetzes im Bereich “Cannabis als Medizin” keineswegs der große Wurf. Einzig und alleine Cannabis-Fertigarzneimittel wie das Medikament Sativex wird es in Zukunft auf Rezept geben. Medizinische Hanfblüten für alle Menschen, die sie benötigen, wird es nicht geben, ebenso wenig eine Entkriminalisierung von Patienten, die sich auf dem Schwarzmarkt oder per Eigenanbau selbst versorgen.
Am 16. August 2010 erklärte Ulrike Flach, gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, gegenüber der Presse:
Verbesserung der Schmerzmittelversorgung von Schwerstkranken
Die Koalitionsfraktionen haben sich auf eine Änderung des Betäubungsmittelrechts geeinigt. Um cannabishaltige Fertigarzneimittel zulassen und für Patienten verschreiben zu können, erfolgt eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes, die dafür Sorge trägt, dass in Deutschland cannabishaltige Arzneimittel hergestellt und als Therapieoption verschrieben werden können.
Die Änderungen bringen auch eine bessere Versorgung schwerstkranker Menschen in ihrer letzten Lebensphase mit Schmerzmitteln. Zukünftig sollen Heime, Hospize und Palliativ-Care-Teams Notfallvorräte für nicht mehr benötigte, patientenindividuell verschriebene Betäubungsmittel anlegen dürfen.
Damit stehen schwerstkranken Menschen jederzeit schmerzlindernde Mittel zur Verfügung. Die Änderung ermöglicht auch eine freiere Entscheidung zwischen einer Pflege zu Hause, in einem Hospiz oder einer stationären Versorgung im Krankenhaus.
Groß war das Rauschen im Blätterwald: Von nüchtern-sachlich “Schwarz-Gelb gibt grünes Licht für Cannabis-Arzneien”, über bayrisch-schizophren “Schädlich für Gesunde, nützlich für Kranke”, a la Ströbele “Haschisch als Medizin: Schwarz-Gelb gibt das Hanf frei”, verblüffend positiv “Cannabis ohne Risiken und Nebenwirkung”, witzig “SWR3-Gag des Tages – Schwarz Gelb will Cannabis legalisieren”, historisch-aufklärerisch “Regierung legalisiert Cannabis-Medizin – Guter Stoff” von Mathias Bröckers bis international “Germany Legalizing Medical Marijuana”. Wer kritischen Journalismus mag, dem sei der FAZ-Blog “Biopolitik” von Oliver Tolmein empfohlen, in diesem Zusammenhang in Form des Artikels “Für Schmerzpatienten auch weiterhin kein ‘Kiffen auf Rezept’”.
Für Szenekenner kam diese Meldung nicht überraschend, es war eher eine Frage des Wann und nicht des Ob. Zur Historie: Bereits Ende letzten Jahres hatte Gesundheitsminister Rösler in einer nicht-öffentlichen Sitzung des Gesundheitsausschusses vorgeschlagen, den Zugang zu “Hasch als Medizin” zu erleichtern. Anfang Mai folgte dann eine Entscheidung des Sachverständigenausschusses des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), im Newsletter des Deutschen Hanf Verband – Juni 2010 war zu lesen:
Medizinisches Cannabis soll verkehrsfähig werden
Endlich bewegen sich die Behörden in Sachen Cannabis als Medizin. Der Sachverständigenausschuss für Betäubungsmittel (BTM) sprach sich in seiner 35. Sitzung dafür aus, Cannabis-Extrakt als Wirkstoff von Fertigarzneimitteln in die Anlage III des BTM-Gesetzes aufzunehmen und damit verkehrsfähig zu machen. Entsprechende Präparate könnten dann mit einem BTM-Rezept regulär verordnet werden. Nun bedarf es noch der Zustimmung des Bundesgesundheitsministeriums und des Bundesrates, bevor das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) den ersten bereits vorliegenden Zulassungsantrag für ein konkretes Medikamente bearbeiten darf. Es wird vermutet, dass es sich hierbei um das Produkt Sativex des britischen Herstellers GW Pharmaceuticals handelt. Das Oromucosal-Spray ist in Kanada bereits im Einsatz, u.a. bei Tumorschmerzen und neuropathischen Schmerzen bei Multipler Sklerose (MS). GW Pharmaceuticals hat parallel Anträge für eine Zulassung in Großbritannien und Spanien zur Behandlung der Muskelsteifheit bei MS-Patienten gestellt.
Die kleinstmögliche Änderung für eine Zulassung von Sativex
Die genaue Entscheidung des Sachverständigenausschusses lautet:
Änderung der Position Cannabis in den Anlagen I bis III des BtMG:
* Anlage I BtMG: Aufnahme folgender, zusätzlicher Ausnahmeregelung (e) zu der Position Cannabis (Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen):
– ausgenommen e) Cannabis und Zubereitungen von Cannabis zu den in den Anlagen II und III bezeichneten Zwecken.
* Anlage II BtMG: Aufnahme der Position Cannabis (Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen), inkl. folgender Einschränkung:
– sofern sie zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken bestimmt sind.
* Anlage III BtMG: Aufnahme der Position Cannabis-Extrakt (Extrakt, der aus Pflanzen und Pflanzenteilen der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen gewonnen wird), inkl. folgender Einschränkung:
– nur in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind.
Damit wählte der Sachverständigenausschuss die kleinstmögliche Änderung – am Einfachsten wäre eine komplette Umstufung von Cannabis und all seinen Wirkstoffen in die Anlage III des BtMG gewesen. Damit wäre Cannabis auch nur verschreibungs- und verkehrsfähig geworden – das Verbot für Genusskonsumenten wäre in vollem Umfang bestehen geblieben. Allerdings wäre dann auch die Nutzung natürlicher Hanfblüten (Marihuana) für Patienten einfacher gewesen. Die meisten Betroffenen sind mit deren lindernder Wirkung durchaus zufrieden und sie sind in jedem Fall wesentlich preiswerter als die Produkte der Pharmaindustrie. In den USA, wo das Verbot von Marihuana immer besonders drakonisch durchgesetzt wurde, macht “medical marijuana” mittlerweile große Fortschritte. Tausende Patienten dürfen das Hanfkraut legal nutzen, anbauen oder in offiziellen Geschäften kaufen. In Deutschland gab es innerhalb des letzten Jahres auch einige Genehmigungen für medizinische Hanfblüten aus niederländischen Apotheken. Mit diesem natürlichen und preiswerten Weg hat die Bundesregierung aber offensichtlich Schwierigkeiten. Sie setzt traditionell auf die Unterstützung der Pharmabranche.
Die konkrete Motivation für die aktuelle Reform dürfte der Zulassungsantrag für Sativex gewesen sein, also ein Medikament aus Cannabis, das weitere Cannabinoide als nur Dronabinol enthält. Es handelt sich um einen Hanfpflanzenextrakt mit allein Inhaltsstoffen, der auf zwei Werte standardisiert ist:
“Der Extrakt enthält standardisierte Mengen der beiden Drogen Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD), die jedem Drogenkonsumenten bekannt sind. Jede 5,5ml-Phiole Sativex® enthält genau 2,7 mg THC und 2,5 mg CBD.” – Beschreibung von Sativex
Der reine Wirkstoff Dronabinol (THC) ist in Deutschland schon seit mehr als 10 Jahren rezeptierfähig. Dronabinol hat nach Patientenberichten allerdings nur ein eingeschränktes Wirkungsspektrum im Vergleich zu natürlichen Hanfblüten. Ein Beispiel für ein bekanntes und wirksames Cannabinoid ist das Cannabidiol (CBD). Je nachdem in welchem Verhältnis THC und CBD in Cannabis enthalten sind, ist es eher halluzinogen (mehr THC) oder dämpfend und angstlösend (mehr CBD).
Die Arbeitsgemeinschaft „Cannabis als Medizin“ (ACM) beklagt in diesem Zusammenhang, dass Sativex nur als Präparat gegen Multiple Sklerose zugelassen werden soll. Die Politik der Bundesregierung sei eine Irreführung, denn „Patienten mit anderen Erkrankungen (…) haben auch dann keinen Zugang zu entsprechenden Medikamenten.“ Eine umfangreiche Bewertung der aktuellen Reform findet sich in einem Interview von n-tv mit Franjo Grotenhermen, Arzt, Autor und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft “Cannabis als Medizin”.
Wie auf der Seite der Grünen im Bundestag dokumentiert wird, haben Union und FDP noch 2008 einen entsprechenden grünen Antrag zum Thema Cannabis als Medizin abgelehnt.
Eigenanbau? Weiterhin verboten!
Verschreibungsfähig ist heute auch nur Dronabinol (BtmG Anlage III: Dronabinol – (6aR,10aR)- 6,6,9-Trimethyl-3-pentyl-6a,7,8,10a-tetrahydro-6H-benzo(c)chromen-1-ol) und nicht Delta-9-THC (BtmG Anlage II: delta9-Tetrahydro-cannabinol – 6,6,9-Trimethyl-3-pentyl-6a,7,8,10a-tetrahydro-6H-benzo(c)chromen-1-ol), wobei ersteres das wirksamste Isomer von Delta-9-THC darstellt (“Isomere sind chemische Verbindungen, die die gleiche Summenformel besitzen, sich aber in der Verknüpfung und der räumlichen Anordnung der einzelnen Atome unterscheiden. Dies führt teilweise auch zu abweichenden chemischen, physikalischen und biologischen Eigenschaften” – wikipedia).
Dass von Seiten des Bundesgesundheitsministeriums kein Interesse daran besteht, einen Eigenanbau für Patienten zu ermöglichen, zeigt sowohl die fast zeitgleiche Entscheidung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das der Aufsicht des BMG untersteht, einem Multiple-Sklerose-Patienten die Erlaubnis zum Cannabisanbau zu verweigern als auch die bekannten Aussagen der Bundesdrogenbeauftragten Dyckmans (FDP):
“Dies heißt vor allem, wirkungsvolle und qualitätsgesicherte [Cannabis-]Arzneimittel für die Patienten verfügbar zu machen, die nicht die unerwünschte Rauschwirkung hervorrufen.” – abgeordnetenwatch.de, 21.12.2009
“Vor einem Selbstanbau von Cannabis zur Selbsttherapie kann ich nur warnen. Wer Cannabis selbst anbaut, setzt sich dem Risiko einer Strafverfolgung aus.” – abgeordnetenwatch.de, 21.12.2009
“Eine Cannabisintoxikation führt nach anfänglicher Euphorie zu Müdigkeit, motorischen Störungen, beeinträchtigt Konzentration, Reaktionszeit und Gedächtnis, Wahrnehmungsstörungen, Gleichgültigkeit, Panikreaktionen, manchmal auch zu psychotischen Reaktionen, Verwirrtheit, Gedächtnisverlust und Halluzinationen.” – abgeordnetenwatch.de, 13.01.2010
Bevölkerung ist weiter
Die Bevölkerung in Deutschland ist bei der Fragen Cannabis als Medizin sehr aufgeschlossen, die Ärztezeitung vom 13.8.2010 berichtet:
Umfrage: Kaum Vorbehalte gegen Cannabis-Medizin – Die Verwendung von Cannabis zur Behandlung Schwerkranker findet in Deutschland einer Umfrage zufolge breite Zustimmung. Bei einer EMNID-Befragung im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft “Cannabis als Medizin” (ACM) waren mehr als 75 Prozent der angerufenen Bürger dafür, Cannabis-Produkte zur Therapie chronischer Schmerzen oder zur Linderung der Spastiken bei Multipler Sklerose zuzulassen.
Für eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen sprachen sich 65 Prozent der Befragten aus, bei der Antwortmöglichkeit “ich bin sehr dafür” zeigen sich FDP Wählerinnen mit einer Zustimmungsquote von 29% eine überdurchschnittlich positive Einstellung, der Durchschnitt lag bei 21%.
THC aus Bakterien
Parallel meldeten mehrere Zeitungen einen Durchbruch bei der Herstellung von THC durch Wissenschaftler um Prof. Oliver Kayser von der Technischen Universität Dortmund mithilfe von genetisch veränderten Escherichia coli Bakterien. Die Forscher nannten auch Preise: Ein Kilogramm THC koste derzeit 50.000€, mit den Bakterien sollen es in Zukunft nur noch 2.500€ sein.
Wer mehr zum Thema Cannabis als Medizin lesen möchte, dem sei das Magazin des Arbeitskreis Cannabis als Medizin empfohlen.
Schreibe einen Kommentar