Der scheidende Hamburger Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Rainer Thomasius vom Universitätsklinikum Eppendorf ist eine der prominentesten Stimmen gegen die Legalisierung von Cannabis in Deutschland. Aufgrund seines wissenschaftlichen Hintergrundes wird seiner Meinung sowohl in der öffentlichen Debatte als auch in den Medien gehöriges Gewicht geschenkt, obwohl seine Aussagen in Fachkreisen kritisch gesehen werden.
Thomasius äußerte kürzlich im Rahmen einer Tagung anlässlich seines Renteneintritts, über die das Hambuger Abendblatt berichtete, u.a. die These, dass aufgrund der Entkriminalisierung von Cannabis der Schwarzmarkt eingebrochen sei und Dealer nun gratis Heroin an Heranwachsende abgeben würden, um diese als künftige Kunden zu gewinnen. Dies führe seit sechs Monaten zu Zuständen, wie sie Thomasius seit 30 Jahren nicht mehr gesehen habe. Konkrete empirische Belege für diese Thesen lieferte Thomasius jedoch nicht und bemühte stattdessen einen Vergleich mit dem bekannten Roman “Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo”.
Da der Artikel samt der steilen These von Thomasius einige Aufmerksamkeit sowohl medial als auch von Hamburger Politikern erfuhr, gab es verschiedene fachliche Resonanz auf die aktuellen Aussagen von Thomasius.
Die Hamburger Sozialbehörde erklärte ebenfalls gegenüber dem Abendblatt, dass die Zahlen aus der Suchthilfe die These von Thomasius nicht stützen würden: „Die Fallzahl von Minderjährigen, die mit einer Opioid-Thematik in der Suchthilfe behandelt werden, liegt in den vergangenen Jahren stabil zwischen 20 und 22 Fällen. Insofern sind keine signifikanten Steigerungen zu verzeichnen.“ Eine Zunahme von Heroinkonsum unter Jugendlichen könne durch Beratungsstellen nicht bestätigt werden.
Auch aus der Wissenschaft gibt es deutliche Kritik an Thomasius´ Thesen. In einer gemeinsamen Erklärung kritisieren die Wissenschaftler Theo Baumgärtner (Sucht Hamburg), Prof. Dr. Bernd Werse (Uni Frankfurt, ISSF), Dr. Philipp Hiller und Veronika Möller (beide ISD Hamburg) ihren Kollegen für seine empirisch nicht belegten Thesen und vermuten allenfalls “anekdotische Evidenz”. Vielmehr zeigen aktuelle Daten laut Aussage der Wissenschaftler einen rückläufigen Trend des Konsums von Cannabis und illegalen Drogen wie bspw. Ecstasy und auch die Verbreitung von Heroin bleibe bei Jugendlichen im Promillebereich. Die Wissenschaftler äußern daher die Vermutung, dass mit “der Erzählung vom Mythos des Dealers, der zur Kundenakquise kostenloses Heroin an Minderjährige verteilt, öffentlichkeitswirksam das vor gut einem Jahr in Kraft getretene Konsumcannabisgesetz (KCanG) als gescheitert erklärt werden soll, noch bevor die Ergebnisse der wissenschaftlichen Evaluation dieser Gesetzesänderung vorliegen”.
Dass diese Vermutung nicht ganz unbegründet ist, unterstreicht auch die Tatsache, dass Thomasius bereits 2021 in einem Interview in der Sendung NANO deutlich vor einer echten Legalisierung von Cannabis, wie sie die Ampelregierung zu diesem Zeitpunkt noch plante, mit einem ähnlichen Argument warnte.
Thomasius vertrat damals die These, dass nur durch ein Verbot von Cannabis dessen Angebot effektiv reduziert werden könne und im Falle der Schaffung eines regulierten Zugangs zu Cannabis, der Schwarzmarkt sich gezielt Kindern und Jugendlichen hinwenden würde und diese dann folglich “richtig in die Sucht hinein gedrängt werden”.
Bereits 2019 hatte der wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem Sachstand zur Legalisierung von Cannabis jedoch verschiedene internationale Studien zusammengefasst, die u.a. einen erschwerten Zugang zu Cannabis von Minderjährigen nach einer Legalisierung konstatierten und somit bereits damals die Plausibilität von Thomasius These erheblich in Frage stellten.
Insofern erscheint die neuerliche Abwandlung der alten These als ein letzter kläglicher Versuch, kurz vor der Rente doch noch irgendwie Recht zu behalten. Einer empirischen Überprüfung halten die kruden Thesen des Rainer Thomasius jedoch nicht stand.
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