Gesundheitsministerin Warken hat einen Referentenentwurf für eine Änderung des MedCanG vorgelegt, mit dem die Verschreibung von Cannabis auf Telemedizin-Plattformen sowie der Online-Versand von medizinischem Cannabis verboten werden sollen.
Den Referentenentwurf hat LTO hier veröffentlicht.
Im Folgenden veröffentlichen wir die Stellungnahme des DHV vom 01.08.2025 in voller Länge:
Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMG vom 18.06.2025 bzgl. Änderung des MedCanG
Der Gesetzentwurf sieht erhebliche Einschränkungen für Telemedizin und ein Verbot des Online-Versands von medizinischen Cannabisblüten vor:
- Keine Online-Verschreibung von Cannabisblüten mehr, Rezepte nur noch von Ärzten vor Ort, bei Folgerezepten alle vier Quartale erneutes Vorsprechen bei Ärzten vor Ort
- Versand von Cannabisblüten nicht mehr möglich, nur noch Abholung vor Ort in einer Apotheke
Rückschritt in vordigitale Zeiten
Die telemedizinische Verschreibung von Cannabismedikamenten und der Online-Versand waren auch schon vor dem MedCanG “in BtMG-Zeiten” möglich. Die geplanten Änderungen würden uns quasi beim Thema Cannabismedizin in vordigitale Zeiten zurückkatapultieren, während die Bundesregierung ansonsten beim erheblichen Rückstand in Sachen Digitalisierung aufholen will. Das fühlt sich nicht nur für Bürger und Patienten in Deutschland anachronistisch an, sondern dürfte auch im Ausland für Kopfschütteln sorgen. Kein Online-Versand von (Cannabis-)Medikamenten? Alles persönlich abholen? In Kanada und den USA wird man das kaum glauben können. Das erinnert an die Stärke der Apothekerlobby wie in Deutschland.
Wirtschaftliche Auswirkungen
Diese Änderungen würden für einige Unternehmen der neuen, aufstrebenden Branche erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringen und insbesondere auf Cannabis spezialisierten Online-Apotheken mit entsprechenden Arbeitsplatzverlusten die Geschäftsgrundlage entziehen.
Blüten vs. Extrakte?
Es erschließt sich nicht, warum die geplanten Regelungen nur für Cannabisblüten, aber nicht für Extrakte mit deutlich höherer THC-Konzentration gelten sollen. In der Begründung wird lediglich ausgeführt, dass der Import von Blüten erheblich zugenommen habe. Es liegt allerdings nahe, dass auch der Import von Extrakten vom ersten zum zweiten Halbjahr 2024 erheblich zugenommen haben dürfte. Dazu nennt das BMG aber keine Zahlen. Auch beim BfArM ist keine Information zur Entwicklung bei den Extrakten zu finden. Außerdem ist unklar, ob und in welchem Umfang nach der Einfuhr von Cannabisblüten innerhalb Deutschlands daraus Extrakte hergestellt und vertrieben werden.
Ohne die Daten zur Einfuhr von Extrakten und Verarbeitung von Blüten zu Extrakten innerhalb Deutschlands ist eine objektive Betrachtung nicht möglich und eine einseitige Einschränkung für Blüten nicht nachvollziehbar. Wir sehen seit Jahren eine einseitig negative Darstellung der Blüten im Vergleich zu anderen Cannabismedikamenten, weil sie dem traditionellen Genussmittel Cannabis ähneln, obwohl die Blüten durch einfache Inhalation durchaus auch in der medizinischen Anwendung ihre Berechtigung haben.
Grundsätzlich war es zu erwarten, dass nach Inkrafttreten des MedCanG erheblich mehr Cannabismedikamente verschrieben und importiert werden. Aus unserer Sicht ist das im Sinne der Patientenversorgung und auch im Sinne der Verdrängung des Schwarzmarktes eine positive Entwicklung und kein Anlass für Alarmismus.
Auswirkungen für Patienten
Es war immer schon eines der größten Probleme für Patienten, Ärzte zu finden, die bereit waren, über eine Cannabisverschreibung überhaupt nachzudenken. Vielfach haben wir von verzweifelten Patienten gehört, die reihenweise Arztpraxen in ihrer Stadt abtelefoniert haben und überall eine Absage bekommen haben. Letztlich hat das für viele zum Gang auf den Schwarzmarkt geführt.
Daran hat sich auch nach Inkrafttreten des MedCanG nicht viel geändert. Immer noch haben viele Ärzte keinerlei Erfahrung oder Bereitschaft, Cannabis zu verschreiben. Ihnen fehlt einfach das Wissen bezüglich der Anwendung. Teilweise lehnen sie die Verschreibung aus ideologischen Gründen und wegen Fehlinformationen ab. Manche denken, man könne Cannabis nur für sehr schwerwiegende Krankheiten verschreiben, manche wissen gar nicht, dass dies auch auf Privatrezept möglich ist und ohne zuvor mit allen möglichen anderen Medikamenten austherapiert zu sein. Sie haben von hohen Regressansprüchen von Krankenkassen gegenüber Cannabis verschreibenden Ärzten gehört und fürchten, ebenfalls in diese Falle zu geraten.
Insbesondere vor der ersten Verschreibung von Cannabis müssen Ärzte einen erheblichen Rechercheaufwand betreiben, da Cannabis eine außerordentlich große Anwendungsbreite hat und dazu noch extrem viele unterschiedliche Blüten- und Extraktsorten auf dem Markt sind, die tatsächlich eine unterschiedliche Wirkung entfalten. Dieser hohe Rechercheaufwand wird den Ärzten nicht entsprechend vergütet, so dass viele lieber die Finger davon lassen.
In dieser Situation war die zunehmende Verbreitung der Telemedizin ein Segen für viele Patienten, jedenfalls für diejenigen, die eine gewisse Online-Affinität mitbringen. Wir gehen davon aus, dass diese Entwicklung vielen Patienten, die sich bisher notgedrungen auf dem Schwarzmarkt versorgen mussten, endlich einen legalen Zugang zu ihrer Medizin verschafft hat. Ein großer Teil des Zuwachses an Rezepten dürfte darauf zurückzuführen sein.
Umgekehrt dürfte eine Abschaffung der Telemedizin für Cannabis wieder zu verstärktem Ärztehopping bei den Hausarztpraxen führen, die ohnehin chronisch überlastet sind, und zu einer erhöhten Nachfrage von Patienten auf dem Schwarzmarkt. Anderen dürfte die Gesetzesänderung den Zugang zu ihrer Medizin wieder vollständig entziehen.
Spezialisierung notwendig
Wegen der Zurückhaltung der Hausärzte und ihres mangelnden Wissens über Cannabismedizin scheint eine Spezialisierung notwendig, wie sie bei Online-Plattformen und spezialisierten Versandapotheken möglich ist. Dort tätige Ärzte befassen sich sehr viel intensiver mit der Anwendung von medizinischem Cannabis und den vielen verschiedenen Sorten. Das gleiche gilt für die Versandapotheken.
Bei Hausärzten ist es oft so, dass die Patienten bereits viel recherchiert und teilweise schon positive Erfahrungen mit der Anwendung von Cannabis gemacht haben, so dass sie sich besser damit auskennen als die Ärzte selbst. Auch normale Apotheker dürften kaum in der Lage sein, tiefergehend über hunderte verschiedene Blütensorten und Extrakte zu informieren. Anders sieht das aus, wenn sich Ärzte und Apotheker auf das Thema spezialisieren, wie es bei Telemedizin und Online-Apotheken möglich ist.
Da sich viele Patienten bereits sehr gut auskennen, halten wir nicht bei jeder Verschreibung von Cannabis einen persönlichen Arztkontakt für notwendig. Falls dies politisch aber unbedingt gewünscht ist, sehen wir keinen Mehrwert darin, dass diese Arztkontakte ausschließlich in stationären Arztpraxen stattfinden müssen, zumal sich die persönlichen Hausärzte wie erläutert mit Cannabis häufig kaum auskennen. Insofern sollte die Online-Beratung und -verschreibung auf jeden Fall als Möglichkeit beibehalten werden.
Zwang zur stationären Apotheke ist zusätzliche Belastung
Dass Cannabis ausschließlich in stationären Apotheken erhältlich sein soll, ist eine Belastung insbesondere für mobilitätseingeschränkte Patienten und im ländlichen Raum. Da Standard-Apotheken die verschriebene Cannabissorte üblicherweise nicht vorrätig haben dürften, ist in der Regel sogar für jedes Rezept mit zwei Apothekenbesuchen zu rechnen, einmal bestellen und einmal abholen. Das führt zu Belastungen für die Patienten, ggf. auch finanziell, und hat umweltschädliche Auswirkungen durch zusätzliche Fahrten.
Bessere Erstattung durch Krankenkassen notwendig
Dass die Zahl der Privatrezepte erheblich stärker angestiegen ist als die der Kassenrezepte, sieht die Bundesregierung als Anlass, die Verschreibungen per Privatrezept zu reduzieren. Aus unserer Sicht ist genau der umgekehrte Schluss angezeigt: Dieses Ungleichgewicht deutet auf die immer noch sehr strengen Regeln für die Erstattung durch die Krankenkassen hin – und auf die immer noch aktuelle und nachvollziehbare Angst von Ärzten vor Regressforderungen durch die Kassen.
Viele Patienten mit weniger schwerwiegenden Erkrankungen oder mit Erkrankungen, die die Krankenkassen üblicherweise nicht akzeptieren für eine Cannabistherapie, haben keine Chance auf ein Kassenrezept, obwohl sie durch Cannabis eine positive medizinische Wirkung erfahren. Andere Patienten zahlen lieber selbst, anstatt bei einer Anwendung von Cannabis gegen Schmerzen zunächst diverse andere Arzneimittel ausprobieren zu müssen, darunter auch Opiate.
Aus unserer Sicht ist es deshalb notwendig, die Erstattung von Cannabismedikamenten durch die gesetzlichen Krankenkassen zu verbessern.
Einschränkung nur für Cannabis?
Wenn solche Regelungen ausschließlich für Cannabis gelten sollen, erweckt das eher den Eindruck einer fortgesetzten Diskriminierung als einer sinnvollen Regulierung.
Auswirkungen für Konsumenten
Auch wir gehen davon aus, dass ein Teil der zusätzlichen Privatrezepte seit dem MedCanG an Konsumenten geht, die Cannabis nicht in erster Linie aus medizinischen Gründen konsumieren, sondern als Genussmittel. Wie groß dieser Anteil am Zuwachs der Verschreibungen ist, ist allerdings nicht verifizierbar.
Diese Frage ist offensichtlich nach entsprechender öffentlicher Debatte der Auslöser für diesen vorgelegten Referentenentwurf, auch wenn dies nicht ausdrücklich als Grund genannt wird.
Auch wir halten Rezepte vom Arzt und Vertrieb über Apotheken nicht für den angemessenen Weg für die Versorgung von Cannabiskonsumenten. Aber angesichts mangelnder anderweitiger legaler Bezugswege ist es auch nicht verwunderlich, dass einige Konsumenten auf diese Art der Versorgung zurückgreifen. Nicht jeder hat die Möglichkeit, Cannabis selbst anzubauen. Erst recht hat nicht jeder die Möglichkeit, einem Anbauverein vor Ort beizutreten. Was dann bleibt, ist die Wahl zwischen Telemedizin und Schwarzmarkt. Und bei dieser Auswahl halten wir den Vertrieb über Apotheken immer noch für besser als den über den Schwarzmarkt. Das ist besser für alle Beteiligten, den Staat, die Wirtschaft, die Konsumenten.
Wer an dieser Tendenz etwas ändern will, sollte nicht die Versorgung der Patienten verschlechtern, sondern die Versorgung der Konsumenten verbessern.
Fachgeschäfte und bessere Bedingungen für Anbauvereine
Zur legalen Versorgung der Konsumenten und um den Schwarzmarkt weiter zurückzudrängen, müssen wir endlich vorwärts kommen bei der Einführung von Cannabis-Fachgeschäften. Bei der BLE liegen Anträge von Städten wie Frankfurt, Hannover und Berlin auf EU-konforme Modellprojekte für kommunale Cannabis-Abgabe vor. Es wird Zeit, hier den nächsten Schritt zu gehen.
Gleichzeitig müssen die Bemühungen auf EU-Ebene intensiviert werden, die Rahmenbedingungen für die flächendeckende Regulierung des Marktes und damit die legale Versorgung von Cannabiskonsumenten zu schaffen.
Die vergangenen Monate haben gezeigt, wie die Anbauvereine einerseits durch eine typisch deutsche bürokratische Überregulierung ausgebremst werden und wie andererseits kommunale und Landesbehörden Unklarheiten nutzen, um den Vereinen die Betriebsgenehmigung durch unerreichbare eigene Vorgaben oder durch baurechtliche Tricks zu verweigern. Hier besteht an vielen Stellen dringender Verbesserungsbedarf.
Um nur ein Beispiel zu nennen, das sich im Zusammenhang mit der Telemedizin aufdrängt: Den Vereinen ist es nicht gestattet, Cannabis an Mitglieder auf dem Postweg zuzustellen, auch nicht mit persönlicher Übergabe, was ihnen einen erheblichen Wettbewerbsnachteil verschafft. Potenzielle Mitglieder, die relativ weit entfernt von der Abgabestelle wohnen, greifen so eher auf den Schwarzmarkt oder eben auf eine Online-Apotheke zurück.
Wer gesunde Cannabiskonsumenten nicht auf dem Schwarzmarkt und auch nicht in der Apotheke sehen will, muss für konkurrenzfähige und flächendeckende Alternativen sorgen.
Maßnahme zur Stärkung des Schwarzmarktes
Die Zunahme des per Rezept verschriebenen Cannabis wird nach aktuellen Daten eine Größenordnung von ca. 100 Tonnen Cannabis pro Jahr bzw. einer Milliarde Euro Umsatz erreichen, ca. ein Viertel des gesamten Schwarzmarktes. Ein großer Teil davon droht auf den Schwarzmarkt zurückgeworfen zu werden, wenn das Gesetz wie geplant und ohne alternative legale Bezugswege für Cannabis verabschiedet wird.
Das Problem ist nicht der “Missbrauch” von Online-Plattformen, sondern das Fehlen von Cannabis-Fachgeschäften. Wenn es die gäbe, wären normale Konsumenten auf medizinischen Plattformen kaum noch ein Thema.
Transparenz
Der Deutsche Hanfverband versteht sich seit der Gründung des Branchenverbandes der Cannabiswirtschaft (BvCW) im Sinne einer Bürgerrechtsbewegung ausschließlich als Interessenvertretung privater Legalisierungsbefürworter und Cannabiskonsumenten. Diese machen mit Spenden und Mitgliedsbeiträgen ca. 80 Prozent unseres Budgets aus. Der Rest kommt von den verbliebenen Firmensponsoren, denen wir Werbeleistungen anbieten, aber keinerlei Lobbyarbeit oder sonstige branchenspezifische Dienstleistungen. Dies teilen wir interessierten Firmen auf unserer entsprechenden Informations- und Anmeldeseite auch so mit: “Wenn du dich für branchenspezifische Leistungen wie Beratung, Vernetzung oder Lobbyarbeit für bestimmte Marktregulierungen interessierst, beachte auch unseren Partner Branchenverband Cannabiswirschaft e.V.” Unter den Firmen, die unsere Arbeit dennoch unterstützen, sind auch einige Telemedizin-Anbieter, darunter auch unsere aktuell zwei Diamantsponsoren. Solche Firmen tragen mit ca. fünf Prozent zum Budget des DHV bei. Im Vergleich zu den Beiträgen privater Unterstützer, deren Interessen wir vertreten, sind die Beiträge dieser Unternehmen für die Aufrechterhaltung unseres Geschäftsbetriebs nicht notwendig.
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