In den letzten Wochen erreichten den DHV zahlreiche Anfragen von Patienten, die aufgrund ihrer Cannabis-Medikation Probleme bei Verkehrskontrollen sowie anschließend mit der zuständigen Führerscheinstelle bekommen hatten. Eine Großteil der Fälle ereignete sich im Großraum Rhein-Neckar. Den Patienten wird unisono vorgeworfen, ihre Medizin missbräuchlich eingenommen zu haben. Der Grund: Die Cannabisblüten wurden geraucht, anstatt diese mithilfe eines Vaporizers zu konsumieren.
Ist das legal?
Wie Cannabisblüten zur Einnahme verordnet werden, schreibt das Neue Rezeptur-Formularium (NRF) vor. Schaut man sich den Wortlaut des NRF bei Cannabisblüten an, fällt auf, dass Ärzte nur zwei Applikationsformen verordnen können.
– Die Inhalation mit einem Vaporizer
– Eine Teezubereitung
Für das Rauchen von Cannabis gibt es keinen Verordnungsschlüssel. Auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) betont, dass Cannabis nicht zum Rauchen verordnet werden solle. Wer sein Cannabis entgegen der ärztlichen Empfehlung raucht, macht sich allerdings nicht strafbar, da ein Verstoß gegen eine ärztliche Empfehlung keine Straftat darstellt. Geht es um die Fahrtauglichkeit, verhält es sich jedoch ein wenig anders. Hier ist der Patient zu deren Erhalt verpflichtet, sich detailliert an ärztliche Empfehlungen zu halten. Geschieht das nicht, könnte ein Missbrauch vorliegen, der negative Auswirkungen auf die Fahrtüchtigkeit und somit auf die Fahrerlaubnis haben könnte. Deshalb meldet die Polizei einen solchen Missbrauchsverdacht bei der Führerscheinstelle. Die stellt dann fest, ob wirklich eine missbräuchliche Einnahme vorliegt.
Verkehrsrechtlich ist das Rauchen eines Joints mit medizinischem Cannabis also dem Auskochen von Fentanyl-Pflastern und anschließendem Spritzen des Opioids oder dem Zerkleinern und Durch-die-Nase-Ziehen einer Ritalin-Tablette gleichzustellen. In den Augen von Polizei und Verkehrsexperten sind alle drei Applikationsformen ein Missbrauch legaler Medikamente, die führerscheinrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können.
Patienten vaporisieren – Kiffer kiffen?
Viele Verkehrsexperten haben schon lange befürchtet, dass die Gleichstellung von medizinischem Cannabisblüten mit anderen, verschreibungsfähigen Betäubungsmitteln ein großes Missbrauchspotential beinhalte. Jetzt glaubt man anscheinend ein Kriterium gefunden zu haben, Cannabis-Patienten von Freizeitusern unterscheiden zu können. Inwieweit dieses Kriterium die Realität widerspiegelt, scheint zweitrangig.
Ein großer Teil der Patienten muss seine Medizin aus der eigenen Tasche bezahlen und befindet sich allein dadurch in einer finanziellen Schieflage. Die Anschaffung eines Vaporizers für 300-500 Euro übersteigt dann nicht selten deren Möglichkeiten. Zudem befinden sich viele Patienten schon Jahre vor der ersten Verordnung in Selbsttherapie. Ohne eine ärztlich begleitete Rauchentwöhnung ist ein Umstieg auf einen Vaporizer nicht für alle einfach mal so über Nacht umsetzbar. Hier hat der Gesetzgeber versäumt, Cannabis-verordnenden Ärzten entsprechende Informationen und Schulungen zum Umstieg auf eine andere Applikationsform anzubieten. Last but not least ist Rauchen trotz Kritik und Gefahren bei Patienten noch immer eine sehr verbreitere Einnahmeform. Sollte das im verkehrsrechtlichen Sinne als Missbrauch gelten, hätte man Ärzte und Patienten vorab über die strenge Auslegung des §24a wenigstens informieren können, anstatt sie im Rahmen von Schwerpunktkontrollen auflaufen zu lassen. Ein Vorab-Info des BfArM oder der Ärztekammern zu Einführung des Gesetzes im Jahre 2017 hätte viele Missverständnisse vermeiden können.
Auf Nachfrage hatte die Polizei des Landes Brandenburg zum Umgang mit Cannabis-Patienten im Rahmen von Verkehrskontrollen zu Wochenanfang bestätigt, dass ein Hinweis auf eine nicht verordnungsgemäße Einnahme als Missbrauchsverdacht gewertet und der Führerscheinbehörde zur weiteren Prüfung gemeldet werde:
Die Polizei agiert nach dem Grundsatz, Gefahrenabwehr steht vor Strafverfolgung, d.h. die Patientenversorgung geht vor. Ergeben sich bei der Überprüfung der Fahrtüchtigkeit keine Anhaltspunkte für eine Fahruntüchtigkeit i.S. des § 316 StGB, erfolgt keine Blutprobe und somit auch kein Strafverfahren. Im Umkehrschluss wird entsprechend gehandelt. Das heißt, dass beim Vorliegen von Anzeichen der Fahruntüchtigkeit die Polizei tätig wird. Legt ein Fahrzeugführer bei einer Kontrolle dar, dass er Cannabis bestimmungsgemäß für einen konkreten Krankheitsfall eingenommen hat, die Substanz durch den Arzt verordnet wurde und er die erforderlichen Dokumente/ Nachweise/ Atteste vorlegen kann, liegt kein Verstoß nach § 24a II StVG vor. Der Fahrzeugführer ist dabei nachweispflichtig. Wird das verordnete Cannabis entgegen der Vorgabe des Arztes konsumiert (Mischkonsum, zusätzliche Einnahme von Medikamenten und/oder Alkohol), liegt keine bestimmungsgemäße Einnahme vor. In diesem Fall wird eine Blutprobe durchgeführt und ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Auch die telefonische Nachfrage bei Dr. Peter Strohbeck-Kühner vom verkehrsmedizinischen Institut der Universität Heidelberg, einem der führenden Experten in Deutschland, passt in dieses Bild. Der Heidelberger Verkehrsexperte betätigte am Telefon, dass Hinweise auf eine missbräuchliche Einnahme, wie zum Beispiel das Rauchen von medizinischem Cannabis, Konsequenzen haben kann. Fände die Polizei zum Beispiel einen Jointstummel im Aschenbecher oder räume der Patient ein, Cannabis nicht vaporisiert, sondern geraucht zu haben, läge eine missbräuchliche Einnahme vor.
Das Backen von Keksen hingegen kann laut BfArM auch nicht empfohlen werden, da hier eine genaue Dosierung kaum möglich sei. Da es für die Herstellung von Keksen keinen NRF-Eintrag gibt, wären also nicht nur Joints, sondern auch Cannabis-Kekse im verkehrsrechtlichen Sinne ein Hinweis auf eine missbräuchliche Einnahme der Medizin.
Tee ohne THC?
Neben dem Vaporisieren ist eine Teezubereitung der Blüten als Darreichungsform im Neue Rezeptur-Formularium angeben. Die Pressestelle Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) erklärt hierzu auf Nachfrage:
Bei der Herstellung der Teezubereitung handelt es sich um einen standardmäßigen Ansatz von 0,5 g Droge auf 0,5 l Wasser, der über 15 min am Sieden gehalten wird. Die Ausbeute an THC beträgt etwa 10 mg/L, die an THC-A etwa 43 mg/L. Dies erklärt sich durch die begrenzte Wasserlöslichkeit der Cannabinoide und die bei 100 °C nur langsam verlaufenden Decarboxylierungsreaktionen.
0,5 Gramm Cannabis enthalten, je nach Sorte, zwischen 20 und 63 und mg THC. Das heißt im Umkehrschluss, dass zwischen 15 und 48 mg THC im Biomüll landen, während der Aufguss kaum wirksame 5mg THC enthält. Das ist nicht nur eine Verschwendung von Medizin im Werte von über 10 Euro pro Dosis, sondern auch eine Anleitung, wie Betäubungsmittel unsachgemäß entsorgt werden. Denn der Nachbar könnte ja im Müll wühlen, das Gras herauspicken, trocknen und das verbliebene THC konsumieren. Doch nicht nur die Verschwendung und fragwürdige Entsorgung, auch die Rezeptur an sich ist fragwürdig. THC ist nicht wasserlöslich und bei einem so hergestellten Aufguss auch nicht bioverfügbar, da der Wirkstoff noch in Säureform als THC-A vorliegt. Daran ändert ein 15-minütger Aufguss wenig, wie die ABDA sogar bestätigt. Hier wird im Prinzip die Herstellung eines fast wirkstofffreien und somit wirkungslosen Aufgusses empfohlen.
Was nun?
Viele Ärzte, die aktuell Cannabis verordnen, wissen aufgrund der komplexen Rechtslage bislang gar nicht, dass Joints und Kekse ganz andere verkehrsrechtliche Konsequenzen haben können als Vaporizer oder Teezubereitungen. Sie können ihre Patienten deshalb gar nicht verkehrsrechtlich korrekt beraten. Deshalb müssen jetzt wieder einmal die Patienten staatliche Aufgaben übernehmen, indem sie zeitnah mit ihrem behandelten Arzt über die Situation reden. Denn wenn ein Arzt die Gesetzeslage nicht genau kennt und in den Patientenakten von Joints die Rede ist, kann das im schlimmsten Fall sogar standesrechtliche Konsequenzen für Mediziner haben. Ein Beispiel zur Verdeutlichung:
Patient X sagt im Rahmen einer Verkehrskontrolle aus, sein Arzt habe ihm täglich ein Gramm Cannabis verordnet, das er mit Wissen seines Arztes in Form von drei Joints zu je 0,33 Gramm konsumiere. Die Polizei meldet den Fall zur Überprüfung bei der Führerscheinstelle. Die fragt bei der Ärztekammer nach, ob ein Arzt im vorliegenden Fall das Rauchen von Joints empfehlen dürfe. Die Ärztekammer sagt „Nein“ und beruft sich auf die oben beschriebenen Verordnungsschlüssel. Anschließend schreibt die Kammer ihren Arzt an und fragt, weshalb er dem Patienten, entgegen aller Richtlinien, Joints empfehle statt einen Vaporizer zu beantragen. Die Kammer droht im Wiederholungsfalle mit standesrechtlichen Folgen. Als Konsequenz dürfen in den Unterlagen des Arztes zukünftig keine Joints mehr auftauchen und der Arzt muss die Patienten zukünftig darauf hinweisen, dass das Rauchen von Cannabis eine missbräuchliche Einnahme darstelle.
Patienten sollten sich fortan darüber im Klaren sein, dass jedweder Hinweis auf Joints, Bongs, Pfeifen, Kekse oder andere Edibles in den Augen des Gesetzgebers die Fahrtauglichkeit infrage stellt und im Zweifelsfalle sofort mit dem behandelnden Arzt Rücksprache halten. Im Sinne des Verkehrsrechts stellen der Rechtsauffassung vieler Entscheidungsträger zufolge aktuell nur die Inhalation mit einem Vaporizer sowie ein Teeaufguss eine ordnungsgemäße Einnahmeform dar.
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