Wie die Medien eine Studie über den Einfluss von Cannabis auf den IQ einseitig und falsch darstellen.
Gestern war ein guter Tag, um zu beobachten, wie tendenziös und manipulativ die Medien mit einer interessanten Studie umgehen. Den Effekt habe ich schon im Buch Rauschzeichen beschrieben: Die Medien neigen dazu, Nachrichten im Zusammenhang mit Cannabis möglichst dramatisch darzustellen, um mehr Leser und größere Einschaltquoten zu erreichen. Der Wahrheitsgehalt darf dabei auch mal auf der Strecke bleiben.
Zunächst mal zu den tatsächlichen Inhalten der Studie eines internationalen Forscherteams. Hier geht es zum Abstract der Studie, hier zur Meldung der publizierenden Duke-University und hier zur Meldung einer englischen Nachrichtenagentur mit Originalzitaten einiger der beteiligten Wissenschaftler. Einige Aussagen im Original:
“Impairment was concentrated among adolescent-onset cannabis users, with more persistent use associated with greater decline.”
“It’s such a special study that I’m fairly confident that cannabis is safe for over-18 brains, but risky for under-18 brains.”
“The persistent, dependent use of marijuana before age 18 has been shown to cause lasting harm to a person’s intelligence, attention and memory, according to an international research team.
Among a long-range study cohort of more than 1,000 New Zealanders, individuals who started using cannabis in adolescence and used it for years afterward showed an average decline in IQ of 8 points when their age 13 and age 38 IQ tests were compared. Quitting pot did not appear to reverse the loss either, said lead researcher Madeline Meier, a post-doctoral researcher at Duke University. (…)
Study subjects who didn’t take up pot until they were adults with fully-formed brains did not show similar mental declines.”
Die Studie hatte im Wesentlichen ergeben, dass Cannabiskonsum den IQ senken kann, wenn Jugendliche unter 18 Jahren mit regelmäßigem Cannabiskonsum begonnen hatten, während keine solchen Effekte auftraten, wenn mit dem Konsum erst mit 18 Jahren oder später begonnen wurde.
In dieser Gruppe – Menschen, die mit unter 18 mit regelmäßigem Konsum begonnen hatten – wurde eine durchschnittliche Senkung des IQ zwischen dem 13. und 38. Lebensjahr von 8 Punkten festgestellt. Dieser Wert liegt nahe an der statistischen Unschärfe der Studie, ist also schon von daher kaum signifikant.
Ich möchte hier nicht über Sinn und Unsinn von IQ-Tests oder die Testmethoden sinnieren aber zum Vergleich ein paar Zahlen von Wikipedia:
- Chronischer Jodmangel während der Schwangerschaft und frühen Kindheit senkt den durchschnittlichen IQ um 13,5 Punkte;
- Bei Kindern mit einem bestimmten Gen wird der IQ durch Stillen um 7 Punkte erhöht;
- der IQ von Kindern, die in Armut aufwachsen, liegt 6 bis 13 Punkte unter dem Durchschnitt.
Und was natürlich bei der Beurteilung der Ergebnisse auch nicht fehlen darf, ist der Vergleich mit Alkohol. Konkrete Zahlen zum Einfluss von Alkohol auf den IQ habe ich nicht auf Anhieb gefunden, aber das ist vielleicht auch gar nicht nötig. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen erläutert in ihrer Alkohol-Basisinfo die Folgen des Alkoholmissbrauchs drastisch:
Gleichfalls besonders gefährdet ist das Gehirn. Jeder Rausch zerstört Millionen von Gehirnzellen. Zuerst leiden Gedächtnis und Konzentrationsvermögen, Kritik- und Urteilsfähigkeit, später die Intelligenz, bis hin zu völligem geistigen Abbau.
Unter dem Strich bleibt als Ergebnis der Studie festzuhalten: Es ist sicher nicht gut für das Gehirn, wenn früh und regelmäßig mit Cannabiskonsum begonnen wird. Das liegt daran, dass sich das Gehirn bei Jugendlichen noch in der Entwicklungsphase befindet. Das ist insofern nicht neu, diese Erkenntnis haben wir schon seit Jahren.
Es gilt: Je später mit dem Cannabiskonsum begonnen wird, umso besser.
Und: Menschen, die erst als Erwachsene mit dem Cannabiskonsum beginnen, sind von der IQ-Minderung gar nicht betroffen.
Nun zurück zu dem, was die Medien mit diesen Informationen anfangen. In der oben genannten Meldung der britischen Nachrichtenagentur waren die Fakten noch einigermaßen korrekt wiedergegeben (“Cannabis found to lower IQ of young”). Die dpa und andere deutsche Agenturen haben aber offensichtlich die relativierenden Aspekte nicht mit in ihre Meldungen übernommen (keine IQ-Senkung bei Erwachsenen) und eine reißerische Überschrift gewählt.
Das führte dann zu dramatisierenden Meldungen quer durch praktisch alle deutschen Zeitungen, Radiostationen und Fernsehsender. Hier einige der Überschriften:
STUDIE ÜBER AUSWIRKUNGEN VON CANNABIS – Kiffen macht dumm
Langzeitstudie zeigt: Cannabis macht dumm
Studie zu Cannabis-Konsum Wer ständig kifft, wird dumm
Studie: Cannabis Konsum mindert Intelligenz
Cannabis macht unwiderruflich dumm
usw…
In den Artikel ist dann z.B. von einer irreversiblen Schädigung des Zentralen Nervensystems die Rede, ohne dass die tatsächlich festgestellte Senkung des IQ verständlich eingeordnet und mit anderen Faktoren verglichen wird. Es wird zwar erwähnt, dass Jugendliche besonders betroffen sind. Dass das Problem für Menschen, die als Erwachsene mit dem Konsum beginnen, gar nicht existiert, wird nirgends erwähnt. Genauso gut hätten die Zeitungen titeln können: “Keine Beeinträchtigung der Intelligenz bei erwachsenen Cannabiskonsumenten”.
Aber das wäre eben nicht dramatisch gewesen. Genau das dachten wir beim DHV schon vor kurzem, als gemeldet wurde, dass der Cannabiskonsum unter Jugendlichen deutlich zurückgegangen ist. Eine gute Nachricht, aber zu einer knalligen Überschrift in der BILD-Zeitung hat es diese Information natürlich nicht gebracht. Ist ja langweilig…
Jedenfalls hat es der ganze Medienrummel offensichtlich mal wieder geschafft, sehr viele Leute zu verunsichern: “Cannabis ist ja wohl doch nicht so harmlos wie gedacht”.., und schon waren in vielen Familien zwei Jahre Diskussion umsonst, es steht ja etwas Schlimmes über Cannabis in der Zeitung!
Und auch politisch wird die Meldung bereits ausgeschlachtet: Die CDU in Schleswig-Holstein fordert die Rot-Grüne Landesregierung wegen der Studie auf, ihre Pläne zu überdenken, die Eigenverbrauchsmengen für Cannabis anzuheben und Drug-Checking einzuführen.
Dabei ist doch dieser weitere Hinweis, dass ein früher Cannabiskonsum für Jugendliche schädlich sein könnte, ein weiteres Argument, endlich den Cannabismarkt für Erwachsene zu regulieren und Jugendschutzbestimmungen einzuführen, wie wir es z.B. in Merkels Zukunftsdialog gefordert haben:
“Bei der Regulierung des Cannabismarktes, z.B. durch Fachgeschäfte oder Cannabis-Clubs, geht es ausschließlich um Volljährige (sofortiger Lizenzentzug bei Abgabe an Jugendliche).”
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