Eine dänische Studie zu “Schizophrenie und Cannabis” machte die letzten Wochen in den Medien die Runde und wurde sogar im Rahmen der parlamentarischen Befragung des Gesundheitsministers durch einen CDU-Abgeordneten aufgegriffen. Sie dient den Gegnern einer Legalisierung in Deutschland als vermeintlich deutliches Zeichen, von diesem Vorhaben Abstand zu nehmen. Dass das Verhältnis von Cannabis und Schizophrenie keinesfalls so eindeutig ist, wie es auf den ersten Blick in der dänischen Studie erscheint, darauf weist der Mediziner Chuck Dinerstein in seinem Beitrag für den American Council On Science and Health (ACSH) hin.
Ausgangspunkt der dänischen Studie sind Vermutungen über einen Zusammenhang von Cannabiskonsumstörungen (engl. Cannabis Use Disorder – CUD) und Schizophrenie, die in älteren Studien geäußert wurden. Ziel der neuen dänischen Studie ist es, diesen vermuteten Zusammenhang hinsichtlich des Alters und des Geschlechts zu differenzieren und spezifische Risikofaktoren zu erarbeiten.
Dazu wurden Daten des dänischen Gesundheitssystems von 1972 bis 2021 ausgewertet, in denen Personen im Alter von 16 bis 49 Jahren erfasst sind. Anschließend wurden Korrelationen zwischen dem Auftreten einer Schizophrenie und verschiedenen demografischen und medizinischen Faktoren wie Geschlecht, Herkunft, anderen psychischen Erkrankungen oder verschiedenen Konsumstörungen (Alkohol, Cannabis, andere Drogen) aufgezeigt:
Es ist wichtig zu beachten, dass es sich hier nur um statistische Beziehungen handelt, die keine Aussagen über einen kausalen Zusammenhang treffen. Statistisch gesehen leiden mehr Männer als Frauen an Schizophrenie, 9,1% sind nicht Dänemark geboren, 5,8% aller Betroffenen weisen eine Alkoholkonsumstörung auf, 0,9% eine Cannabiskonsumstörung und 3,4% eine anderweitige Konsumstörung usw.
Anschließend nehmen die Autoren der Studie jedoch einen kausalen Zusammenhang zwischen einer Cannabiskonsumstörung und dem Auftreten einer Schizophrenie an, berechnen alters- und geschlechtsspezifische Risikofaktoren und schlussfolgern, dass, falls die Annahme stimme, 15% der Fälle von Schizophrenie bei Männern durch die Vermeidung einer CUD verhindert werden könnten:
“Assuming causality, approximately 15% of recent cases of schizophrenia among males in 2021 would have been prevented in the absence of CUD; by contrast, among females, 4% of recent cases of schizophrenia would have been prevented if they did not have CUD.”
Das Henne-Ei-Problem
Dass diese Annahme eines einseitigen kausalen Zusammenhangs fragwürdig ist, untermauert Dinerstein in seinem Beitrag für den ACSH mit zwei älteren Studien zum Thema Schizophrenie und Substanzmissbrauch. So zeigt eine weitere dänische Studie von 2019, die ebenfalls Daten des dänischen Gesundheitssystems nutzt, einen statistischen Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein einer schizophrenen Erkrankung und der Entwicklung einer Substanzgebrauchsstörung auf:
“A diagnosis of schizophrenia was positively associated with the risk of developing substance abuse … primarily associated with an increased risk of abuse of cannabis, alcohol, stimulants and other substances”.
Eine weitere Studie untersuchte die zeitliche Abfolge der Entwicklung einer Substanzgebrauchsstörung bei von Schizophrenie betroffenen Personen. 27,5% hatten bereits vor dem Auftreten der ersten schizophrenen Episode eine Substanzgebrauchsstörung. Bei 34,6% entwickelte sich diese im gleichen Monat wie die erste schizophrene Episode und bei 37,9% trat die Substanzgebrauchsstörung erst nach der schizophrenen Erkrankung auf. Zudem weisen die Autoren darauf hin, dass eine Kausalität weder in die eine noch in die andere Richtung durch die Daten erhärtet wird:
“Drug abuse preceded the first symptom in 27.5%, followed it in 37.9%, and emerged within the same month in 34.6% of the cases. The study demonstrates a remarkable association between first-episode schizophrenia and substance abuse, but a unidirectional causality is not supported, nor is a specific psychotic disorder in comorbid cases.”
Cannabis könnte vielleicht ein Trigger oder Risikofaktor für das Auftreten einer schizophrenen Episode sein. Aber eine allgemeine Aussage, dass 15% der Fälle von Schizophrenie bei Männern direkt durch eine Cannabiskonsumstörung bedingt sind, sei wissenschaftlich nicht haltbar, schlussfolgert Dinerstein.
Um diese Aussage wirklich treffen zu können, müsste mehr über die genauen Umstände und Mechanismen der Entstehung einer Schizophrenie bekannt sein. Ansonsten wäre Selbstmedikamentation, mit dem Ziel einer Abdämpfung der Krankheitssymptome, eine ebenso plausible Erklärung für den beobachteten statistischen Zusammenhang zwischen Schizophrenie und Substanzgebrauchsstörungen.
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