Heute fand im Verkehrsausschuss des Bundestages eine Anhörung zum Thema Cannabis und Führerschein statt. Konkret wurden Sachverständige zu einem Antrag der Linken befragt, der Cannabis- und Alkoholkonsumenten im Führerscheinrecht gleichstellen soll. Bei der zweistündigen Sitzung war auch DHV-Geschäftsführer Georg Wurth dabei, dessen schriftliche Stellungnahme wir hier dokumentieren.
Auf dieser Seite auf bundestag.de sind neben dem Antrag der Linken auch alle anderen Stellungnahmen zu finden sowie ein vollständiger Video-Mitschnitt der Anhörung.
Stellungnahme des Deutschen Hanfverbands (DHV) zur Öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages am 24.02.2021 zum Antrag der Fraktion DIE LINKE „Gleichstellung von cannabis-und alkoholkonsumierenden Führerscheininhaberinnen und Führscheininhabern“ (BT-Drucksache 19/17612)
Vorbemerkung
Der Deutsche Hanfverband (DHV) beschäftigt sich seit seiner Gründung 2002 intensiv mit dem Thema „Cannabis und Führerschein“, denn für viele Cannabiskonsumenten ist die Gefahr des Führerscheinentzugs eine größere Bedrohung als mögliche strafrechtliche Konsequenzen. Wir betrachten dabei nicht nur die politische, rechtliche und wissenschaftliche Dimension des Themas sowie die Anwendung und Umsetzung der gesetzlichen Regeln in Praxis und Justiz, sondern sind auch eng mit Betroffenen in Kontakt. Durch unzählige Fallberichte aus den Reihen unserer 7.000 Fördermitglieder, ehrenamtlich Aktiven in fast 30 Ortsgruppen und hunderttausender Follower in Sozialen Netzwerken wissen wir, wie es sich anfühlt, zusammen mit dem Führerschein den Arbeitsplatz oder die Mobilität im ländlichen Raum zu verlieren, oft ohne einen Zusammenhang mit einer tatsächlichen Drogenfahrt.
2018 ist vor diesem Hintergrund im Rahmen einer Kampagne mit dem Motto „Klarer Kopf. Klare Regeln!“ eine Homepage mit Informationen und Fallbeispielen entstanden. Außerdem eine Broschüre zu „Wissenschaft, rechtlichen Dimensionen und Kosten“ sowie eine Resolution an den Bundestag mit vielen weiteren Unterstützern und konkreten Forderungen und Vorschlägen. Broschüre und Resolution hänge ich dieser Stellungnahme an, sie sind aber auch auf der oben verlinkten Homepage zu finden. In der Broschüre findet sich auch die wissenschaftliche Herleitung der hier gemachten Aussagen.Ersatzstrafe Führerscheinentzug?
Viele Betroffene, aber auch Wissenschaftler und Politiker halten die aktuelle Regelung für eine Art Ersatzstrafe, bei der es nicht in erster Linie um die Verkehrssicherheit geht. Auch wenn das sicher nicht die bewusste Intention jedes einzelnen verantwortlichen Abgeordneten ist, sprechen zwei Punkte für diese Sicht.
1994 urteilte das BVerfG, dass der Besitz einer geringen Menge Cannabis zum Eigenverbrauch nicht bestraft werden soll. In der darauffolgenden Legislaturperiode (1994-1998) wurden einerseits die jeweiligen Länderverordnungen zur „Geringen Menge“ erlassen, die zumindest erste Ansätze einer Entkriminalisierung der Konsumenten mit sich brachten. Immer noch gibt es sehr viele Strafverfahren gegen Cannabiskonsumenten, die teilweise mit empfindlichen Strafen enden, aber die Zahl der eingestellten Verfahren stieg doch erheblich. 1998 wurde in den letzten Zügen der Kohl-Regierung das Fahrerlaubnisrecht verschärft. Unter anderem wurde erstmals wegen des bloßen Besitzes geringer Mengen Cannabis ohne Zusammenhang mit dem Straßenverkehr die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen grundsätzlich in Frage gestellt, Führerscheine wurden entzogen, MPUs angeordnet. Dieser zeitliche Zusammenhang legt den Gedanken nahe, dass mit dem Verkehrsrecht eine Möglichkeit gefunden wurde, den Cannabiskonsum zu sanktionieren, nachdem das strafrechtlich nicht mehr ohne Weiteres möglich war.
Außerdem wird dieser Gedanke dadurch gefördert, dass in vielen Fällen von Führerscheinentzug oder teurer MPU-Anordnungen keine Drogenfahrt stattgefunden hat, weil es entweder nur um Besitzdelikte geht oder weil die Betroffenen mit THC-Restwerten über 1ng/ml Blutserum nüchtern und ohne messbare Ausfallerscheinungen unterwegs waren. In jedem Fall spricht eine erhebliche Ungleichbehandlung von Cannabis- und Alkoholkonsumten im Führerscheinrecht dafür, dass es bei den Regelungen nicht im Wesentlichen um Verkehrssicherheit geht.Ungleichbehandlung von Cannabis- und Alkoholkonsumenten im Straßenverkehr…
Der Konsum von Cannabis kann die Unfallwahrscheinlichkeit signifikant erhöhen, insofern muss es einschränkende Regelungen für den Straßenverkehr geben. Allerdings steigt die Unfallwahrscheinlichkeit durch Alkohol deutlich stärker, so dass eine Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt ist – jedenfalls nicht im Sinne einer härteren Gangart gegenüber Cannabiskonsumenten. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass Patienten, die regelmäßig Cannabis aus medizinischen Gründen einnehmen, nach einer Eingewöhnungsphase ohne Ausfallerscheinungen auch mit erhöhten THC-Werten fahren dürfen.
– …in Fällen ohne Verkehrsbezug
Bis heute wird jedes noch so kleine (und oft eingestellte) Strafverfahren wegen Cannabisbesitz an die Führerscheinstellen gemeldet. Zwar urteilte das BVerfG 2002, dass eine solche Meldung nicht unmittelbar zu Überprüfungsmaßnahmen führen darf. Kommen aber zufällig mehrere solche Meldungen zusammen, wird das häufig als Hinweis auf regelmäßigen Konsum gewertet, was zu einer MPU-Anordnung und damit zu hohen Kosten und auch schnell zum Führerscheinentzug führt, ohne jeden Zusammenhang mit dem Straßenverkehr. Das wäre vergleichbar damit, dass die Polizei Menschen an die Führerscheinstellen meldet, die zu Fuß mit einer Flasche Bier erwischt wurden, z.B. wenn sie aus einem Supermarkt kommen. Man würde sich zurecht fragen, was das mit Verkehrssicherheit zu tun haben soll.
Konkret ist die Weiterleitung der Information über Strafverfahren an Führerscheinstellen auf Landesebene in Verordnungen/Polizeiverfügungen geregelt. Aber die Bundesländer berufen sich dabei auf Bundesrecht, so dass eine Klarstellung wie von den Linken beantragt sinnvoll erscheint.– …beim Vergleich der Grenzwerte und der Definition einer Drogenfahrt
Der Grenzwert von 1 ng THC/ ml Blutserum wurde von den Gerichten als analytische Untergrenze festgelegt. Es ging nicht im Wesentlichen darum, dass ab diesem Wert mit Beeinträchtigungen zu rechnen ist, sondern dass damals unterhalb dieser Grenze ein Nachweis von THC gar nicht sicher möglich war. Eine Erhöhung der Unfallwahrscheinlichkeit ist vor allem an den zeitlichen Zusammenhang mit dem Konsum und wesentlich höheren THC-Konzentrationen im Blut gekoppelt. Unter 10 ng verspüren die meisten Konsumenten keine Wirkung mehr. Spätestens unter 3 ng sehen die meisten Studien keine erhöhte Unfallwahrscheinlichkeit mehr. Da THC im Gegensatz zu Alkohol nicht linear abgebaut wird, sondern im Sinne von Halbwertzeiten, geht der Wert nach dem Konsum zunächst sehr schnell, bei den Restwerten dann aber sehr langsam nach unten. Deshalb gibt es sehr viele nüchterne Fahrer, die viele Stunden nach dem letzten Konsum noch mit unwirksamen THC-Restwerten zwischen 1 und 5 ng unterwegs sind. Bei Cannabis wird also quasi eine „Weit-Unter-Null-Toleranz“ angewendet und seit Stunden nüchternen Fahrern eine „Drogenfahrt“ unterstellt, während bei Alkohol mit der 0,5 Promille-Grenze eine leichte Berauschung durchaus akzeptiert wird.
Dem entsprechend kommt es sehr häufig vor, dass nach positivem THC-Schnelltest (und anschließender Blutentnahme) von den begutachtenden Ärzten keinerlei Ausfallerscheinungen oder Anzeichen einer Berauschung festgestellt werden.
Die unmittelbare Sanktion einer Drogenfahrt mit Bußgeld bzw. befristetem Fahrverbot ist bei Cannabis und Alkohol ähnlich, wird aber wie hier geschildert oft auf unterschiedliche Fälle angewendet.…bei der grundsätzlichen, verwaltungsrechtlichen Überprüfung der Fahrtauglichkeit
Nach einer ersten Alkoholfahrt ist die Sache nach der Zahlung des Bußgeldes erstmal ausgestanden. Bei Cannabis geht der Ärger danach erst richtig los, wenn die Führerscheinstelle die Fahreignung grundsätzlich anzweifelt und den Verdacht auf regelmäßigen Konsum und fehlendes Trennungsvermögen mit der Anordnung einer MPU klären will.
Der Führerschein wird entzogen bei regelmäßigem, das heißt fast täglichem Konsum. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein Trennungsvermögen zur Teilnahme am Straßenverkehr besteht. Wenn Alkoholkonsumenten gleich behandelt würden, würde ein regelmäßiges Feierabendbier für einen zwingenden Führerscheinentzug ausreichen.
Außerdem wird der Führerschein entzogen, wenn es kein Trennungsvermögen zwischen Konsum und Teilnahme am Straßenverkehr gibt. Der Verdacht auf fehlendes Trennungsvermögen wird schon nach der ersten „Drogenfahrt“ (s.o.) angenommen. Wenn Alkoholkonsumenten gleich behandelt würden, müssten sie bereits nach dem ersten Alkoholverstoß mit einer teuren MPU den Verdacht auf fehlendes Trennungsvermögen ausräumen.…bei der MPU
Bei der MPU fängt die Ungleichbehandlung entsprechend dem oben Gesagten damit an, dass sie bei Cannabis prozentual sehr viel häufiger angeordnet wird. Außerdem müssen Cannabiskonsumenten entsprechend den Begutachtungsleitlinien und dem Feedback, das wir bekommen, zwingend ein grundsätzliches „Problembewusstsein“ bezüglich des eigenen Cannabiskonsums zeigen. Es reicht nicht, die Drogenfahrt zu bereuen, also diesbezüglich Problembewusstsein und zukünftiges Trennen von Konsum und Fahren glaubhaft zu machen. Die Betroffenen müssen in den allermeisten Fällen eine Geschichte parat haben, mit der sie den Cannabiskonsum an sich problematisieren und „Besserung geloben“. Entsprechend kommt man mit Ehrlichkeit und ohne teure Vorbereitung kaum durch eine Cannabis-MPU. Man muss wissen, was gefragt wird und was die richtige Antwort ist, gesunder Menschenverstand hilft nicht weiter.
Wenn also gesagt wird, dass heute bei Cannabiskonsumenten nicht mehr sofort der Führerschein entzogen wird, weil sie das Problem mit einer MPU ausräumen können, ist das nur die halbe Wahrheit. Im übrigen erklärt das massenhafte Einschleusen von Cannabiskonsumenten in die MPU-Begutachtung und die Schaffung von Millionenumsätzen für die Begutachtungsstellen den Widerstand der beteiligten Institute gegen jede Änderung der aktuellen Rechtslage.
Außerdem ist die MPU regelmäßig auch mit einem Abstinenznachweis verbunden. Wenn Alkoholkonsumenten gleich behandelt würden, müssten sie nach der ersten Alkoholfahrt nicht nur zukünftigen Trennungswillen glaubhaft machen, sondern auch eine hundertprozentige Abstinenz mit entsprechenden Kontrollen nachweisen.…bei der Sanktionsspirale
Bei Alkoholkonsumenten wurde eine Sanktionsspirale mit zunehmend harscheren Folgen von Verstößen etabliert. Man möchte die Menschen nicht sofort und gnadenlos „ausknipsen“, sondern setzt auf einen erzieherischen Effekt, um mehr Verkehrssicherheit zu gewährleisten. Bei Cannabiskonsumenten wird sehr häufig wie oben beschrieben mit dem Umweg über eine teure MPU der Führerschein nach dem ersten Verstoß entzogen, oft ohne dass die betreffende Person jemals berauscht gefahren ist. Hier ist von einer erzieherischen Sanktionsspirale keine Spur. Das entspricht eher einer Logik, mit der man auch gleich komplett Autos verbieten könnte, um mehr Verkehrssicherheit zu erreichen.
Diese Totschlag-Taktik in Kombination mit unrealistisch niedrigen Grenzwerten führt für regelmäßige Konsumenten übrigens dazu, dass es sich für sie gar nicht lohnt, zwischen Konsum und Fahren zu trennen, weil sie sowieso nach einer Kontrolle mit dem Verlust des Führerscheins rechnen müssen. Je nach persönlichem Stoffwechsel kommen diese Konsumenten selten unter 1 ng THC im Blutserum, obwohl sie den ganzen Tag nüchtern und fahrtüchtig sind. Viele fahren trotzdem nicht unmittelbar nach dem Konsum, aus Verantwortungsbewusstsein und weil sie es als unangenehm empfinden, berauscht zu fahren. Dennoch fänden wir es sinnvoller, wenn die Rechtslage das Trennen von Konsum und Fahren belohnt.Grenzwerte international
In unserer eingangs erwähnten Broschüre haben wir auch in anderen Ländern gültige THC-Grenzwerte zusammengetragen und auf die deutsche Maßeinheit (Blutserum) umgerechnet (Stand 2017). Keines der Länder hat einen so niedrigen Wert wie Deutschland mit 1 ng. Dänemark und Griechenland haben beispielsweise 2 ng. Bei 6 ng liegen z.B. Portugal, die Niederlande, Polen und Nevada (USA). In Colorado und einigen anderen US-Staaten gelten 10 ng.
Auch die Einteilung in zwei verschiedene Werte, wie von den Linken und auch dem DHV vorgeschlagen, gibt es international. In Norwegen gibt es sogar drei Werte, der oberste liegt bei 18 ng. Sehr nah am Vorschlag der Linken liegt Kanada mit 4 und 10 ng.
Vor diesem Hintergrund erscheint manche Stellungnahme befremdlich, die davon ausgeht, dass ein höherer Grenzwert als 1 ng zu einer schweren Gefährdung des Straßenverkehrs führt. Deutschland verfolgt eine extrem repressive Insellösung.Zum Antrag der Linken
Die Forderungen im vorliegenden Antrag sind geeignet, die oben beschriebenen Probleme zu lösen. Wir befürworten alle vier Punkte, auch im jeweiligen Detail. Ein zweigeteilter THC-Grenzwert von 3 und 10 ng entspricht dem DHV-Vorschlag und fast genau der Regelung in Kanada (4/10).
In dieser Stellungnahme bisher nicht zur Sprache gekommen ist die Erforschung alternativer Verfahren zur Bestimmung einer akuten Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit (Forderung II 2). Schon bei Alkohol zeigt sich, dass ein Blutwert nur sehr grobe Aussagen über die individuelle Wirkung bzw. die Gefährdung des Straßenverkehrs treffen kann. Bei Cannabis ist diese Ungenauigkeit noch größer. Ein wissenschaftlich sicheres und in der Praxis anwendbares Verfahren, mit der die Fahrtauglichkeit rechtsgültig getestet werden kann, würde vielen Menschen den Führerschein erhalten, von denen keine Unfallgefahr ausgeht, und viele Menschen aus dem Verkehr ziehen, die nichts im Blut haben, aber nicht fahrtüchtig sind, z.B. aufgrund von Müdigkeit oder altersbedingt verlangsamter Reaktionen. Im Sinne der Verkehrssicherheit begrüßen wir diese Perspektive.
Ebenso halten wir es für sinnvoll, nicht mehr auf das nicht psychoaktive THC-COOH bei Blutproben zurückzugreifen. Bisher wird versucht, aus diesem Wert Rückschlüsse auf die Konsumhäufigkeit zu ziehen. Weil auch dieser Wert sehr vom individuellen Stroffwechsel abhängt, halten wir das nicht für sinnvoll. Auch das Ausschlusskriterium „regelmäßiger Konsum“ erscheint uns nicht sinnvoll, ein Trennen von Konsum und Verkehrsteilnahme ist – wie beim Feierabendbier – trotzdem möglich.
Zusätzlich zu den Forderungen im vorliegenden Antrag möchten wir anregen, die Messmethode in Deutschland (mit Bezug auf Blutserum) dem internationalen Standard anzugleichen (Vollblut), um eine bessere Vergleichbarkeit zu erreichen.Fazit
Der Kampf des Staates gegen Cannabis ist letztlich ein Kampf gegen große Teile der eigenen Bevölkerung und das Führerscheinrecht ist viel zu lange als Waffe missbraucht worden.
Der vorliegende Antrag ist geeignet, die Verkehrssicherheit zu gewährleisten und sogar zu verbessern. Gleichzeitig kann er die jahrzehntelange Diskriminierung von Cannabiskonsumenten zumindest in diesem Bereich beenden.Georg Wurth
Geschäftsführer
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