Wissenschaftliche Modellprojekte zur Abgabe von Cannabis

Während SPD, Grüne und FDP die Ampel-Koalition verhandeln und die baldige Legalisierung von Cannabis möglich erscheint, ziehen wir vorerst Bilanz nach 25 Jahren Bemühungen um kommunale Cannabis-Modellprojekte in Deutschland.

Beschlüsse zur Durchführung wissenschaftlicher Modellprojekte zur legalen Abgabe von Cannabis sind eine Möglichkeit für kommunale Parlamente, ihrer Forderung nach Legalisierung von Cannabis Ausdruck zu verleihen und damit ein wichtiges Signal an die Bundesebene zu senden. Das erhöht den Druck von unten, in Sachen Cannabis endlich vorwärts zu gehen.

Mittlerweile gibt es zwar genug Erfahrungen im Ausland mit der Regulierung des Cannabismarktes, so dass Modellprojekte eigentlich nicht notwendig wären. Solange aber klar war, dass die dafür zuständige Bundesregierung nicht in absehbarer Zeit aktiv wird, könnte die Durchführung solcher Modellprojekte Überzeugungskraft entwickeln für alle, die bisher noch diffuse Ängste vor der Legalisierung haben. Allein schon die Kraft entsprechender Fernsehbilder von sauberen Läden mit “normalen Leuten” und diversen Cannabissorten in einem sauberen Ambiente wäre nicht zu unterschätzen.

Zuständig für die Regulierung des Marktes und die dafür notwendige Änderung des BtMG und anderer Gesetze ist der Bundestag. Allerdings herrscht dort seit Jahrzehnten Stillstand, die nötige Mehrheit ist bisher nie zustande gekommen, obwohl immer mehr Politiker diverser Parteien die Legalisierung von Cannabis für längst überfällig halten.

In den Parlamenten einiger Bundesländer, Städte und Bezirke gibt es mittlerweile Mehrheiten für die Legalisierung von Cannabis. Das weitestgehende, was diese Parlamente beschließen und umsetzen können, ist ein wissenschaftliches Modellprojekt zur Abgabe von Cannabis nach §3 (2) BtMG:

“(2) Eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel kann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nur ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen.”

Vorgeschichte und Zusammenhänge

Schleswig-Holstein war schon in den 90ern darauf gekommen, diesen Passus zu nutzen und ein Modellprojekt zur Abgabe von Cannabis an alle erwachsenen Bürger von Schleswig-Holstein in den Apotheken des Landes beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu beantragen. Dieser Antrag wurde nach Intervention des damaligen Bundesgesundheitsministers Seehofer (CSU) abgelehnt.

Während der Rot-Grünen Bundesregierung von 1998 bis 2005 wurde kein weiterer Antrag auf ein Cannabis-Modellprojekt gestellt. Allerdings wurde ein Antrag auf Heroin-Originalstoffabgabe gestellt, genehmigt und erfolgreich durchgeführt. Sieben Städte durften Heroin an ca. 1.000 Schwerstabhängige abgeben und die Auswirkungen erforschen. Das führte nach Ende des Projekts dazu, dass der Bundestag in einer offenen Gewissensentscheidung ohne Fraktionszwang die Originalstoffabgabe unabhängig von Modellprojekten grundsätzlich regelte. Dieses Beispiel zeigt, dass solche kommunalen Modellprojekte nach §3 BtMG grundsätzlich möglich und genehmigungsfähig sind und den Weg zu einer neuen Regelung, einem echten Politikwechsel ebnen können.

Die Forderung nach solchen Cannabis-Modellprojekten fand sich deshalb immer häufiger in Parteiprogrammen auf Landes- und Kommunalebene. 2015 war es dann so weit, dass es wieder eine Mehrheit in einem Parlament gab, die die legale Cannabisabgabe erproben wollte: Im Bezirksparlament des Berliner Stadtteils Friedrichshain-Kreuzberg.

Juristische Fragen

Ob nicht nur Modellprojekte zur Heroinabgabe, sondern auch zur Cannabisabgabe nach der aktuellen rechtlichen Regelung möglich sind, darüber streiten sich die Juristen. Jedenfalls gibt sie der ablehnenden Bundesregierung genug Spielraum an die Hand, die Anträge abzulehnen, wenn sie aus ideologischen Gründen eine Liberalisierung von Cannabis aufhalten will. Tatsächlich gibt es Unterschiede zwischen den Vorschlägen für eine Cannabisabgabe und dem durchgeführten Heroin-Modellprojekt. Dort war es nur möglich, das Heroin in einer Arztpraxis zum sofortigen überwachten Konsum zu erhalten, mit psychosozialer Betreuung und nur für Schwerstabhängige. Das alles ist bei Cannabiskonsumenten wenig praktikabel. Sie sind in der Regel nicht abhängig und wären wohl kaum bereit, ihr Cannabis in einer Arztpraxis entgegenzunehmen, geschweige denn ausschließlich in einer Arztpraxis zu konsumieren. Es geht also um einen Abgabe bzw. einen Verkauf von Cannabis auch an Nichtabhängige zur Mitnahme, um die Ware zum Beispiel Zuhause zu konsumieren. Und genau das nutzt das BfArM, um die Anträge abzulehnen. Unter solchen Umständen sei nicht gewährleistet, dass das Cannabis nicht an andere weitergegeben werde oder Menschen einfach an Cannabis herankommen und evtl. erst durch das Modellprojekt abhängig werden könnten. Das widerspreche dem Sinn und Zweck des BtMG. Es gibt aber auch Juristen, die ein solches Projekt auch nach aktueller Rechtslage für genehmigungsfähig halten. Die Stadt Berlin hat nach Schleswig-Holstein den vierten Antrag auf ein Modellprojekt zur Cannabisabgabe gestellt, ist aber nun die erste, die gegen die Ablehnung durch das BfArM vor Gericht zieht. Die Entscheidung darüber steht noch aus.

Parallel dazu gab es mehrere Versuche, die rechtliche Möglichkeit für Cannabis-Modellprojekte durch eine Änderung des BtMG zu präzisieren und zum Beispiel die Entscheidung über die Genehmigung den Bundesländern zu übertragen und dem BfArM zu entziehen. Entsprechende Anträge für eine solche rechtliche Klarstellung wurden in den letzten Jahren sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat mehrfach gestellt, bisher ohne Erfolg. Die Entscheidung über den letzten Antrag im Bundesrat von 2020 steht derzeit noch aus (Stand Oktober 2021).

Aktive Kommunalpolitik für Legalisierung

Die Parlamente in folgenden Städten, Bezirken und Bundesländern haben sich bisher mit Mehrheitsbeschlüssen für Cannabis-Modellprojekte für eine Reform der Cannabispolitik stark gemacht:

Mehrheitsbeschlüsse in einer Stadt, einem Stadtteil oder einem Bundesland für Modellprojekte

OrtBeschluss, Resolution oder Antrag
Berlin2017, gemeinsame Bundesratsinitiative mit Bremen und Thüringen2019, Antrag auf Modellprojekt BfArM, Ablehnung am: 04/2020, im Klageverfahren
Berlin Friedrichshain-Kreuzberg2013, Beschluss d. Bezirksparlament, 2015, Antrag d. Bezirksamts beim BfArM, abgelehnt
Bremen2017, Antrag/Bundesratsinitiative der Länder Bremen, Thüringen und Berlin: Entschließung des Bundesrates für eine Möglichkeit wissenschaftlich begleiteter Versuchsprojekte mit kontrollierter Abgabe von Cannabis, abgelehnt Mai 2020, Beschluss für Antrag: Entschließung des Bundesrates für eine Möglichkeit wissenschaftlich begleiteter Versuchsprojekte mit kontrollierter Abgabe von Cannabis2020, Antrag/Bundesratsinitiative in Bundesrat (Antrag Bremen und Thüringen), Bearbeitungsstand: in der Beratung (aktualisiert 05.06.2020)
Düsseldorf2015, Antrag mit Änderungsantrag im Gesundheitsausschuss beschlossen 
Frankfurt a. M. Ortsbeirat 12015, Beschluss des Ortsbeirates 1, (Altstadt, Bahnhof, Europaviertel, Gallus, Gutleut, Innenstadt) Aufforderung/Antrag zur Initiierung Cannabis-Modellprojekt, in der Stadtverwaltung abgelehnt
Hamburg-Altona2015, Beschluss d. Bezirksversammlung für Antrag die kontrollierte Abgabe von Cannabis zu prüfen
Köln_Innenstadt2014 Antrag und 2018 Antrag jeweils durch Beschluss der Bezirksvertretung 1, beschlossener Alternativantrag, im Stadtrat zurückgestellt
Moers 2021, Antrag durch Beschluss des Stadtrates zur Anfrage an BfArM u. Willenserklärung zur Durchführung eines Modellversuchs, Stadtratsbeschluss: 28.06.2021, Anfrage und  Antwortschreiben der Bundesopiumstelle, Antrag vertagt
Münster2015, Antrag durch Beschluss des Rates der Stadt Münster beim BfArM, abgelehnt
Offenbach2021, Beschluss: Cannabis-Modellprojekt – Offenbach geht voran
Schleswig-Holstein1996/97, Antrag Apothekenmodell beim BfArM – abgelehnt (Antrag rekonstruiert)
Thüringen2017, Antrag der Länder Bremen, Thüringen und Berlin, s.o. (Bremen 2017)2020, Antrag der Länder Bremen und Thüringen s.o. (Bremen 2020)
Wuppertal2018, „Resolution – Modellprojekt Cannabis in Wuppertal“ durch Antrag der Fraktion Bündnis 90/die Grünen vom 08.11.18, 25.02.2019: Beschlussvorlage, zurückgezogen2019, Resolution Cannabis, Neufassung; Gemeinsamer Antrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke, FDP und Freie Wähler, ungeändert beschlossen

Weitere detaillierte Informationen zu vielen Beschlüssen und Anträgen haben wir in dieser Tabelle zusammengefasst.

Für interessierte Politiker hatten wir einen Musterantrag für ihr jeweiliges Parlament zur Verfügung gestellt. In dieser Ausführung geht es zunächst um eine Resolution mit einem grundsätzlichen Bekenntnis zur Legalisierung von Cannabis und der Bereitschaft, ein solches Modellprojekt durchzuführen bzw. daran teilzunehmen. Die Bundesregierung wird darin aufgefordert, Cannabis zu legalisieren oder hilfsweise wenigstens die rechtlichen Rahmenbedingungen für kommunale Modellprojekte zur Cannabisabgabe klarzustellen. Das hat gegenüber einem Auftrag an die Verwaltung, ein Modellprojekt zu erarbeiten und zu beantragen, den Vorteil, dass viel weniger Kosten und Personalaufwand entstehen und die Widerstände entsprechend geringer sind. Politischer Druck kann auch mit so einer Resolution aufgebaut werden.

Internationale Beispiele

Lokale Modellprojekte zur Erprobung einer legalen Cannabisabgabe sind auch in einigen Nachbarländern Thema. Inhaltlich vergleichbar und bisher ähnlich erfolglos wie in Deutschland hat die Stadt Kopenhagen bis 2016 insgesamt vier Mal solche Projekte beantragt. Dort war die Motivation im Wesentlichen, den kriminellen und gewalttätigen Straßengangs das Geschäft mit Cannabis zu entziehen. Die dänische Regierung hat alle Anträge abgeblockt. Erfolgreich waren dagegen Initiativen in der Schweiz und in den Niederlanden. In der Schweiz sind die angedachten Projekte ähnlich gelagert wie in Deutschland. Diverse Schweizer Städte stehen bereit, ihre “Pilotprojekte” zu beantragen und zu beginnen, nachdem Regierung und Parlamente im März 2021 klare rechtliche Rahmenbedingungen dafür geschaffen haben. Ende 2022 soll die Abgabe von Cannabis offiziell beginnen. Auch in den Niederlanden sind kommunale Modellprojekte beschlossen und geregelt. Dort sind die Projekte etwas anders gelagert, denn die Abgabe von Cannabis an Erwachsene in Coffeeshops ist dort schon seit Jahrzehnten geregelt. Jetzt geht es darum, auch die Versorgung der Shops mit Hanfblüten aus der Illegalität herauszuholen und legalen Anbau zu erproben. 

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