Bei unserem Wahlcheck betrachten wir die jeweiligen Wahlprogramme, die Antworten auf unsere Wahlprüfsteine sowie die parlamentarischen Aktivitäten in der vergangenen Legislaturperiode.
Programm
Im Wahlprogramm der Bremer SPD findet sich kein Bekenntnis zur Legalisierung von Cannabis. Der Plan auf Bundesebene soll lediglich als Anlass zur “Prüfung der Prozesse bei Polizei, Staatsanwaltschaften und Gericht” genutzt werden, was immer das bedeuten soll. Konkret gefordert wird dagegen eine Verschärfung des Verkehrsrechts: Bußgelder für das Fahren unter Einfluss von berauschenden Mitteln (inklusive Alkohol) sollen erhöht und Mehrfachverstöße konsequent mit dem Entzug des Führerscheins bestraft werden. Darüber hinaus bietet das Programm solide Standardforderungen zu Drogenhilfe und -prävention wie die bessere Ausstattung von Einrichtungen und die Förderung von Selbsthilfegruppen. Am Hauptbahnhof soll die Drogenszene konkret verdrängt werden hin zu einem nicht konkret benannten “Akzeptanzort”.
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Auszug aus dem Wahlprogramm
Legalisierung von Cannabis
“Die angekündigte Legalisierung von Cannabis auf Bundesebene nutzen wir zur Prüfung der Prozesse bei Polizei, Staatsanwaltschaften und Gericht und erhöhen die präventiven Maßnahmen gegen den Drogenmissbrauch. Wir setzen uns auf Bundesebene für eine Erhöhung der Bußgelder im Kontext von Fahren unter Einfluss von Alkohol und berauschenden Mitteln ein und wollen die konsequente Ahndung und den Entzug der Fahrerlaubnis bei Mehrfach-Verstößen.” S. 95
Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen
(“meist mittellose und/oder mehrfach belastete Menschen (Drogenabhängigkeit, psychische Probleme, Obdachlosigkeit etc.) verhängt”)
S. 98
Suchtbehandlungen verbessern und stärken
“Suchterkrankungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Ein wichtiges Ziel ist es, dem Suchtmittelmissbrauch und der Entstehung von Abhängigkeiten vorzubeugen. Es müssen Angebote zur Prävention und zur Vermeidung von Chronifizierung von Suchtverhalten vorgehalten werden. Die regelmäßigen Befragungen zum Umgang von Schüler*innen mit Suchtmitteln im Land Bremen („SCHULBUS-Untersuchung“) sollen genutzt werden, um passende Präventions- und Beratungskonzepte vor Ort zu entwickeln.
Im Bereich Beratung und Behandlung sollen zielgruppenspezifische und niedrigschwellige Angebote der Drogen- und Suchthilfe gestärkt werden. Dazu sind folgende Maßnahmen erforderlich:
Förderung und Qualifizierung (z. B. Digitalisierung) von Selbsthilfegruppen: Die Corona-Pandemie hat den Stellenwert der Selbsthilfe deutlich markiert. Neue Herausforderungen wie z.B. die Zugänglichkeit über neue Medien sind zu bewältigen.
Eine weitere Verbesserung der personellen Ausstattung der ambulanten Suchtberatung.
Suchtberatungsstellen sind häufig erste Ansprechpartner für Hilfesuchende, ihre Angehörigen und alle, die eine individuelle Beratung rund um das Thema Sucht brauchen.
Neue Trends der substanzbezogenen und Verhaltenssüchte (z. B. Spielsucht) erfordern qualifizierte und konsumspezifische Hilfeangebote in allen Segmenten der Suchthilfe. Dazu gehören auch Beratungs- und Frühinterventionsangebote für Jugendliche.
Die zeitliche – auch abendliche – Erreichbarkeit der niedrigschwelligen Drogenhilfe mit Angeboten zur Beratung und Tagesstruktur sowie die Brückenfunktion des niedrigschwelligen Angebots müssen verbessert und aktiv genutzt werden, um in weitergehende höherschwellige Behandlung zu vermitteln.
Eine angemessene personelle Ausstattung der substitutionsbegleitenden psychosozialen Beratung ist notwendig.
Drogenkonsumräume sind bedarfsentsprechend auszustatten.” S. 139
Drogenszene Bremer Hauptbahnhof
“Die Drogenszene, besonders im Bereich rund um den Bremer Hauptbahnhof, werden wir im Schulterschluss mit dem Gesundheitsbereich verstärkt in den Fokus nehmen. Für uns gilt zunächst, dass Menschen, die drogenabhängig sind, für ihr schweres Krankheitsbild Hilfe benötigen. Zu beobachten ist aber auch, dass die Anwesenheit von Personen aus der Drogenszene an anderen exponierten Plätzen in der Stadt negative Folgewirkungen hat: Drogenhandel, Beschaffungskriminalität und Verwahrlosung der Umgebung. Dem begegnen wir mit einem robusten Ordnungsrecht. Wir werden im Rahmen unserer bewährten Sicherheitspartnerschaft für den Hauptbahnhof mit deutlicher Präsenz durch Ordnungskräfte, mit einem Ausbau von sozialen und medizinischen Angeboten und verstärkter Reinigung eingreifen, damit nicht bestimmte Gebiete des öffentlichen Raums von großen Teilen der Bevölkerung gemieden werden. Einer unkontrollierten Verdrängung der Drogenszene in angrenzende Gebiete werden wir mit aller Kraft entgegentreten, daher sprechen wir uns für die Entwicklung eines Akzeptanzorts aus. Für kranke Menschen in polizeilichen Maßnahmen stellen wir künftig in speziellen Notfallambulanzen und einem Zentralgewahrsam die erforderliche ärztliche Versorgung bereit.” S. 89
Antworten auf Wahlprüfsteine
Die Antworten der Bremer SPD fielen größtenteils positiv aus. Hier wird das Bekenntnis zur Legalisierung von Cannabis und zum legalen Eigenanbau nachgeholt, das im Programm fehlt. Falls die Legalisierung auf Bundesebene scheitern sollte, will die SPD einen neuen Anlauf für Modellprojekte starten. Auch Drugchecking wird befürwortet. In Bezug auf den Führerschein wollen die Sozialdemokraten eine einheitliche Behandlung von Alkohol und Cannabis, fordern aber keine konkrete Anhebung des THC-Grenzwerts. Auch regelmäßiger Konsum ohne Bezug zum Straßenverkehr soll nicht mehr zum Führerscheinentzug führen.
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Frage 1
Die Bundesregierung plant den Cannabismarkt zu regulieren. Dieser Prozess dürfte wegen vieler Details noch etwas dauern. Wie stehen Sie dazu, die Entkriminalisierung im Vorfeld über Anhebung der “Geringen Menge” (§31a BtMG) u. konsequenter Einstellungsvorgabe für Staatsanwaltschaften voranzubringen?
Antwort
Bremen hat diesbezüglich bereits im März 2020 eine neue Richtlinie in Kraft gesetzt, um die konsequente Einstellungsvorgabe für die Staatsanwaltschaft bezüglich geringer Mengen und der vereinfachten Anwendung neu zu regeln. Konkret kann bei erwachsenen Konsument*innen, die mit bis zu 15 Gramm Cannabisprodukten (bislang 6 Gramm) aufgegriffen werden, von einer Strafverfolgung abgesehen werden. Bei Mengen von unter zehn Gramm ist das Ermittlungsverfahren bei erwachsenen Konsumentinnen und Konsumenten grundsätzlich einzustellen.
Frage 2:
Nach §3 Abs. 2. BtMG kann eine Kommune oder ein Land eine Ausnahmegenehmigung für eine legale Cannabisabgabe, im wissenschaftl. oder öffentl. Interesse, beantragen. Wie stehen Sie zu Modellversuche für eine kontrollierte Abgabe an Erwachsene, falls ein bundesweit regulierter Cannabismarkt scheitert?
Antwort
Sollten die Bemühungen auf Bundesebene scheitern, werden wir erneut alle Möglichkeiten prüfen, um ein wissenschaftliches Modellprojekt zur kontrollierten Abgabe von Cannabis auf den Weg zu bringen und uns dabei ggf. mit anderen Ländern und Kommunen zusammentun.
Frage 3
Wie stehen Sie zur Qualitätskontrolle (Drug-Checking) von Substanzen wie Cannabis, z.B. auf Verunreinigungen durch synthetische Cannabinoide?
Antwort
Wir halten es für hilfreich, wenn u. a. Anbieter der Suchthilfe das Drug-Checking anbieten könnten. Damit könnten Drogenkonsumierende über Risiken aufgeklärt werden. Aufgrund eines Drogenschnelltestes können zudem Warnungen veröffentlicht werden, wenn verunreinigte Drogen gefunden werden.
Frage 4
Cannabiskonsumenten werden sowohl bei der Definition einer Rauschfahrt (THC Grenzwert)als auch bei der Überprüfung der Fahreignung (z.B. MPU-Anordnung) benachteiligt. Setzen Sie sich für eine Gleichbehandlung von Cannabis- und Alkoholkonsumenten im Straßenverkehr ein?
Antwort
Wer unter Einfluss von Drogen fährt, stellt eine Gefährdung im Straßenverkehr dar und muss mit entsprechenden Konsequenzen rechnen. Gleichwohl müssen einheitliche Regelungen beim Konsum von Alkohol und Cannabis gelten. Eine Ungleichbehandlung von Alkohol- und Cannabiskonsum halten wir für falsch. Im Bezug auf die Führerscheinfrage favorisieren wir eine Regelung analog zum Alkohol.
Frage 5
Der reine Besitz von Cannabis – ohne einen Bezug zum Straßenverkehr – wird häufig von der Polizei an die Führerscheinstellen gemeldet. Wie wird dies in Ihrem Bundesland gehandhabt und wollen Sie an dieser Praxis festhalten?
Antwort
Meldung an die Führerscheinstelle im Falle des bloßen Besitzes von Cannabis ist nicht durch eine Rechtsvorschrift geregelt. Der reine Besitz (ohne Bezug zum Straßenverkehr) wird von der Polizei in der Praxis daher nur dann an die Führerscheinstelle gemeldet, wenn im Einzelfall die Befähigung zum Führen eines Kfz in Frage steht. Wir sind allerdings der Meinung, dass nur wer tatsächlich mit THC im Blut am Straßenverkehr teilnimmt, die Fahrerlaubnis abgeben muss, wenn entsprechende Grenzwerte überschritten werden. Ein lediglich „regelmäßiger Gebrauch“ außerhalb des Straßenverkehrs sollte hingegen nicht mehr zum Führerscheinentzug führen.
Frage 6
Welche drogenpolitischen Initiativen gab es von Ihrer Fraktion in der aktuellen Legislaturperiode? (Bitte listen Sie Anträge, Anfragen etc. konkret und mit Link auf, damit wir Ihre parlamentarische Arbeit besser einschätzen können!)
Antwort
Die Bremische Bürgerschaft hat sich seit 2016 mehrheitlich und mehrfach für die Entkriminalisierung ausgesprochen. Zuletzt haben wir im Mai 2020 gemeinsam mit Thüringen einen Bundesratsantrag eingebracht, um die Möglichkeit wissenschaftlich begleiteter Versuchsprojekte mit kontrollierter Abgabe von Cannabis zu schaffen (Bundesrat/Drucksache 296/20). Dem standen die Mehrheit der anderen Länder ebenso wie der Bund seinerzeit mit ablehnender Haltung gegenüber. Dies hat sich dank der amtierenden Bundesregierung nun geändert. Gleichzeitig haben wir frühzeitig auch die Möglichkeiten zur Entkriminalisierung auf Landesebene genutzt und eine neue Richtlinien in Kraft gesetzt, mit der in Bremen u. a. bei einer Menge von bis zu 15 Gramm Cannabis von einer Strafverfolgung abgesehen werden soll.
https://www.justiz.bremen.de/sixcms/media.php/13/Richtlinien%20vom%2005.03.2020%20%28002%29.pdf
Frage 7
Welche Initiativen planen Sie in der nächsten Legislaturperiode?
Antwort
Die angekündigte Legalisierung von Cannabis auf Bundesebene unterstützen wir und werden diese konstruktiv begleiten. Denn entscheidend ist, die gesetzliche Grundlage auf Bundesebene zügig zu ändern. Gleichzeitig werden wir vor diesem Hintergrund erneut die Prozesse bei Polizei, Staatsanwaltschaften und Gericht prüfen und anpassen.
Frage 8
Befürworten Sie die Legalisierung von Cannabis für Erwachsene wie von der Bundesregierung geplant und würden dementsprechend eine Ja-Stimme Ihres Bundeslandes im Bundesrat befürworten? Wie stehen Sie in diesem Zusammenhang zur Legalisierung des privaten Eigenanbaus?
Antwort
Wir befürworten die kontrollierte Freigabe von Cannabis an Erwachsene. Neben dem Besitz von Cannabis zum Eigenverbrauch sprechen wir uns gleichzeitig für einen straffreien Eigenanbau für den Eigenbedarf aus.
Bisherige parlamentarische Aktivität
Die Bremer SPD brachte gemeinsam mit ihren Koalitionspartnern von Grünen und Linken einen Antrag für ein Modellprojekt zur Cannabisabgabe ein.
Außerdem erwähnenswert ist die neue Richtlinie zur Geringe-Menge-Regelung. Diese sieht eine grundsätzliche Einstellung von Besitzdelikten bis 10g vor. Vergehen bis 15g können eingestellt werden. Das gilt auch für mehrfache Verstöße. Bremen gehört seitdem zusammen mit Berlin zu den liberalsten Bundesländern. Die SPD war dabei sicher nicht die treibende Kraft, hat aber immerhin einiges mitgemacht.
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“Entschließungsantrag für eine Möglichkeit wissenschaftlich begleiteter Versuchsprojekte mit kontrollierter Abgabe von Cannabis” gemeinsam mit Grünen und Linken
“Richtlinien der Senatorin für Justiz und Verfassung zur Anwendung des §31 a Absatz 1 Satz 1 des Betäubungsmittelgesetzes in Bezug auf Cannabisprodukte” der Senatorin für Justiz Claudia Schilling (SPD)
Das Wahlprogramm der Bremer SPD enttäuscht. Es enthält keine positiven Aussagen zu Cannabis und scheint der law-and-order-CDU etwas entgegensetzen zu wollen. Erst die Wahlprüfsteine offenbaren eine fortschrittliche Haltung der Sozialdemokraten – mit einem klaren Bekenntnis zur Legalisierung inklusive Eigenanbau, einer Angleichung von Cannabis und Alkohol im Führerscheinrecht und der Ankündigung einer weiteren Modellprojekt-Initiative, falls die Legalisierung scheitern sollte. Dass wir der SPD diese Positionen erst auf Anfrage entlocken konnten, führt zu einer eingeschränkten Wahlempfehlung.