Wird Kiffen ungesund?

Das Berliner Kulturmagazin Tip ging im April 2007 der Frage nach, ob der Konsum von Cannabis durch Streckmittel gefährlicher geworden ist. Anlass für den Artikel war die umfangreiche Berichterstattung des DHV über gestrecktes Gras und gesundheitsgefährdende Verunreinigungen.

Die Lieblingsdroge der Berliner wird mit einem fiesen Mix aus Chemie und Abfall gestreckt

Der Grashandel orientiert sich genauso am Profit wie alle anderen Branchen auch. Mit dem Unterschied, dass es im Untergrund keine Qualitätskontrollen und keine Gütesiegel gibt. Und weil die Kunden Gras nach Gewicht bezahlen, war für Züchter und Dealer schnell klar, worum es beim Strecken geht: Das Marihuana soll schwerer gemacht werden, als es ist. Deshalb greifen die Züchter zu ebenso erfindungsreichen wie gefährlichen Tricks. Die alten Methoden aus den Sechzigern, Gras mit Nutzhanf zu strecken oder zermahlene Stängel als Blütenstaub beizumischen, haben ausgedient. Sie sind nicht lukrativ genug.
“Seit einiger Zeit gibt es eine neue Qualität des Streckens”, erklärt Georg Wurth vom deutschen Hanfverband (DHV). “Die Züchter feilen am Profit auf Kosten der Gesundheit der Konsumenten.” Wurth hat kurze Haare, eine Metallbrille und sitzt mit seinem Notebook in seinem Büro in einem Hinterhaus im Prenzlauer Berg. Der Mann ist kein Kiffer, sondern Lobbyist. Er kennt sich mit Gras aus, weil er sich hauptberuflich für die Legalisierung der Droge einsetzt. Bundesweit bekannt wurde er, als die Polizei vor Jahren seinen Nutzhanf beschlagnahmte und der Grünen-Politiker Christian Ströbele lautstark forderte, “das Hanf freizugeben”. Wurths Informationen über die neuen Streckmethoden decken sich mit den Aussagen des tip-Informanten aus der Szene. “Wir greifen auf zwei unterschiedliche Methoden zurück”, sagt der Dealer. Zum einen werden fertige Blüten mit einer Glasur überzogen. Das erhöht nicht nur das Gewicht, sondern lässt sie auch glänzend aussehen und klebrig werden. Glanz und Klebrigkeit gelten als Merkmale von hochwertigem und frischem Gras. Noch perfider ist jedoch, dass während des Wachsens in regelmäßigen Abständen winzige Partikel über die Blüten geworfen werden, die auf dem Gewächs haften bleiben und beim weiteren Wachstum langsam überwuchert werden. Der Deutsche Hanf Verband kennt die Zusatzstoffe. Georg Wurth hat folgende “Glasurmittel” identifiziert:

  • Haarspray
  • aushärtendes Flüssigplastik
  • Zuckerglasur

“Über die wachsenden Blüten”, erklärt Wurth, “streuen die Züchter große Mengen an feinem Granulat.” Das können sein:

  • Glas, oft zermahlen bis zu feinstem Glasstaub
  • feiner Sand
  • feines Plastik-Granulat
  • zermahlener Vogelstreu

“Sogar ein Mittel, das nur zum Strecken hergestellt wird, gibt es bereits”, sagt Wurth. “Brix wird in den USA und Australien hergestellt.” Die Flüssigkeit bestehe aus Zucker, Aminosäuren und Wachstumshormonen für grüne Blätter. Wird Brix verbrannt, entstünden erbgutverändernde und krebserregende Substanzen. Das Mittel sei in Europa erhältlich.
Die Züchter werden nicht nur von Ihrer Gier nach Geld getrieben. Sie stehen selber unter Druck. “154 Züchter haben wir 2005 in Berlin festgenommen”, sagt Rüdiger Engler, Leiter des Rauschgiftdezernates beim Landeskriminalamt. 10.000 Pflanzen hat die Polizei dabei beschlagnahmt. Letztes Jahr wurden ähnlich viele Plantagen ausgehoben, aber über 24.000 Pflanzen beschlagnahmt: Die Züchter bauen aus – und werden erwischt. Circa 200 Kilogramm geerntetes Gras hat die Polizei letztes Jahr alleine in Berlin im Zug ihrer Ermittlungen mitgenommen. “Im europäischen Ausland werden große Plantagen inzwischen mit Wärmebildkameras aus Hubschraubern gesucht”, sagt Wurth. Wer da noch das Risiko eingeht und züchtet, möchte möglichst viel Geld für seine Arbeit bekommen. Die ständige Verknappung des Angebots bei gleich bleibender Nachfrage steigert bei den Züchtern die Verlockung, aus weniger mehr zu machen. Pech für die Konsumenten.

Die friedliebenden Kiffer haben die Profitgier ihrer Versorger unterschätzt. Für Dealer sind alle Kunden Junkies, und mit Junkies kann man machen, was man will.

“Auf dem Gras rumkauen und daran lecken” sagt Georg Wurth, “ist das Einzige, was helfen kann, gestrecktes Gras zu identifizieren.”
… Artikel des Magazins TIP 07/2007 “Wird Kiffen ungesund?”