globe-M: Herr Wurth, wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich mit Ihrem Projekt für die „Millionärswahl“ zu bewerben?
Georg Wurth: Einige Mitglieder und Freunde haben uns auf das Format aufmerksam gemacht. Wir haben uns das angesehen und gedacht: Warum nicht? Der Aufwand war zunächst überschaubar und die Chance, die TV-Phase zu erreichen, größer als ein Sechser im Lotto. An die Million haben wir dabei zunächst weniger gedacht als an die öffentliche Aufmerksamkeit.
globe-M: Ihre Konkurrenten waren neben Tanz- und Musikprojekten politische und soziale Projekte wie beispielsweise Schulen und Krankenstationen in Guinea oder der Bau von Trinkwasserbrunnen in Entwicklungsländern. Wie setzten Sie sich gegen die 48 Konkurrenten durch?
Georg Wurth: Ich denke, ich war tatsächlich der Einzige mit einem klar politischen Thema. Schulen und Brunnen in Afrika sind sinnvolle soziale, gesellschaftliche Projekte, aber diese Kandidaten waren nicht darauf aus, konkret politische oder rechtliche Verhältnisse zu ändern. Ich war auch der einzige Kandidat, der in der Vorrunde und im Finale nur geredet hat und ansonsten keinerlei Show geboten hat. Ich war selbst erstaunt, dass ich damit in einer solchen Unterhaltungssendung gewinnen konnte. Die große Online-Community war sicher ein wichtiger Faktor dabei. Letztlich habe ich im Finale durch die vielen Telefon-Votes gewonnen. Das zeigt einerseits, dass Facebooker auch telefonieren können, andererseits aber auch, dass über diese Community hinaus ein großer gesellschaftlicher Bedarf nach Änderung der Cannabispolitik besteht. 20 000 neue Facebook-Fans nach der Show sprechen auch dafür, dass mein Auftritt über unsere ursprüngliche Community hinaus vielen Leuten gefallen hat.
globe-M: Wie wichtig ist Anonymität im Netz, auch in Bezug auf Ihr Projekt?
Georg Wurth: Überwachung im Netz ist ein großes Thema, aber ich bin immer erstaunt, wie wenig Leute konkret etwas dagegen tun. Email-Verschlüsselung wird zum Beispiel kaum verwendet. Klar sind viele einigermaßen anonym auf Facebook unterwegs, aber die meisten benutzen doch ihre echten Namen. Für uns ist es entscheidender, dass die Leute ihre Angst überwinden, ihre Meinung “pro Legalisierung” zu offenbaren. Es fällt vielen Leuten immer noch schwer, uns zu “liken” oder finanziell zu unterstützen. Aber gerade hier haben wir in den letzten Jahren dramatische Fortschritte gemacht. Mittlerweile sind es Hunderttausende, die im Netz irgendwie erkennbar zur Cannabislegalisierung stehen. Vielleicht ist das auch eine Art trotzige Gegenreaktion auf die Überwachungsdiskussionen ‑ nach dem Motto “Die überwachen sowieso jeden meiner Klicks, ich like jetzt den DHV, was wollen Merkel und Obama schon gegen 90 000 Fans machen? Sollen sie doch kommen…”
globe-M: Was ist das Geheimnis einer guten Online-Kampagne?
Georg Wurth: Das Wichtigste ist ein gutes Thema. In unserem Fall geht es um Millionen Betroffene, die mit erheblichen strafrechtlichen und anderen Konsequenzen bedroht sind für etwas, das kein Unrecht ist und niemand anderem schadet. Da schlummert also ein riesiges Protestpotential, das wir bündeln wollen. Die direkte Reichweite des DHV haben wir vor allem durch unsere Homepage und unseren Facebook-Auftritt aufgebaut, die beide seit Jahren regelmäßig mit frischen Informationen bestückt werden. Und wir haben für die Millionärswahl-Kampagne mit vielen anderen Seiten, Bloggern, Youtubern und Szenemedien zusammengearbeitet. Es haben alle an einem Strang gezogen, das war klasse!
globe-M: Warum ist Cannabis so wichtig für die Online Community? Schließlich haben Sie ja gewonnen…
Georg Wurth: Intensive Internetnutzung und Cannabis sind beide in den jüngeren Generationen weiter verbreitet. Davon abgesehen beschränkt sich das Interesse an dem Thema aber nicht auf Online Communities. Konsumenten gibt es überall und die Prohibition ist für die gesamte Gesellschaft schädlich, nicht nur für die Konsumenten. Es ist nur so, dass wir mit unserem überschaubaren Budget im Internet leichter die Leute erreichen.
globe-M: Was passiert jetzt mit der Million?
Georg Wurth: Wir werden einerseits die DHV-Strukturen stärken, um mehr Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit machen zu können. Wir werden die Homepage und den Youtube-Auftritt renovieren und die Qualität unserer eigenen Videos verbessern. Auch einige Partnerorganisationen haben schon etwas abbekommen. Der größte Teil des Geldes wird aber in professionelle PR-Filme fließen. Es wird die ersten TV-Spots zur Legalisierung im deutschen TV und in den Kinos geben.
globe-M: Sie sind Mitbegründer der Arbeitsgemeinschaft „Drogenpolitik“ von „Bündnis 90/Die Grünen“ und des dazugehörigen Bundesnetzwerkes. Angela Merkel ludt Sie 2011/2012 zum „Zukunftsdialog“ ein. Gibt es eine Wende in Richtung Legalisierung von Cannabis?
Georg Wurth: In der gesellschaftlichen Diskussion und in den Medien hat tatsächlich eine Wende stattgefunden. Die Politik ist aber noch nicht soweit. Die großen Volksparteien CDU/CSU und SPD haben noch nicht verstanden, dass das Zeitalter der Cannabisprohibition zu Ende geht. Die komplette Legalisierung in Colorado, Washington und Uruguay kommt einem Dammbruch gleich. Die weltweite Gleichschaltung einer repressiven Cannabispolitik ist damit Geschichte.
globe-M: In Berlin gibt es die Diskussion, einen Coffeeshop am Görlitzer Park zu eröffnen. Sicherlich verfolgen Sie die Diskussion eifrig. Wie ist der Stand der Dinge?
Georg Wurth: Das Ganze ist ein langsamer und zäher Prozess. Der Beschluss des Bezirksparlaments, das Modellprojekt zu wagen, ist jetzt schon ungefähr ein halbes Jahr her. Der nächste Schritt ist, dass es Expertengespräche oder runde Tische geben muss, wo die genauen Rahmenbedingungen geklärt werden müssen, nach denen dann ein Antrag an das Bundesinstitut für Arzneimittel formuliert werden muss. Allerdings scheint wahrscheinlich, dass das Bundesinstitut diesen Antrag ablehnen wird. Dagegen kann dann eventuell geklagt werden. Das kann sich alles noch recht lange hinziehen. Ein solches Modellprojekt wird auch in anderen Kommunen diskutiert. Das könnte die Sache beschleunigen und die ersten Hanffachgeschäfte oder Anbauclubs in Deutschland wahrscheinlicher machen.