Stotternde Gras-Revolution: Gewinnt der Schwarzmarkt durch die Legalisierung? „Das ist ein Märchen“

Die Nürnberger Nachrichten prüft eine gängige Behauptung vieler konservativer Kritiker des Cannabisgesetzes und sprach ausgiebig mit DHV-Geschäftsführer Georg Wurth.

„Der 1. April 2024 war für Georg Wurth ein Meilenstein nach einem endlos langen und
manchmal auch frustrierenden Kampf. 1996 hatte sich der Geschäftsführer des
Deutschen Hanfverbandes wegen vier Gramm Cannabis selbst angezeigt – jetzt steht er
vor dem Brandenburger Tor, raucht und darf eben jene Kleinstmenge straffrei bei sich
tragen. Der Tag der Legalisierung sei auch eine „Feier für die Demokratie“ gewesen, sagt
der Gras-Aktivist, der 2014 in einer TV-Sendung eine Million Euro gewann und den
Großteil davon in die Professionalisierung seines Lobbyverbands steckte. „Ich habe
immer gesagt, dass ich die Legalisierung noch zu meinen Lebzeiten erleben werde.“ Der
ehemalige Finanzbeamte und Kommunalpolitiker ist Berufsoptimist – und trotzdem
übermannten ihn am 1. April die Gefühle. Ein echter Meilenstein eben.
Die Cannabis-Legalisierung ist Wurths Lebenswerk – doch es steht unter Beschuss. Der
Hanf-Lobbyist wusste immer, „dass der Teufel im Detail steckt“ – und dass nur, weil die
drogenpolitische Revolution im Koalitionsvertrag steht, die Umsetzung längst nicht
ausgemachte Sache ist. Er sollte recht behalten. Auch, wenn die Legalisierung, die
seiner Ansicht nach eigentlich nur eine Entkriminalisierung plus ist, ein großer Erfolg sei

beendet ist Wurths Kampf noch lange nicht.“

[…]

„„Manche denken, das Gesetz ist stabil, das kann nicht mehr zurückgenommen werden“,
sagt Wurth. „Aber das ist nicht so, das zeigen auch internationale Beispiele, wo genau
das geschehen ist.“ Weil die Union nicht alleine regieren wird und einen
Koalitionspartner aus der Ampel braucht, glaubt der Geschäftsführer des
Hanfverbandes zwar nicht an eine Komplettrücknahme „Aber es gibt Tausend Regler an
der Repressionsschraube, an der sie drehen könnte – vom Wiederverbot des
Eigenanbaus bis hin zur Herabsetzung der Mengen, die legal besessen werden dürfen.“
Womöglich, da macht sich Wurth keine Illusionen, kommen nach der Wahl wieder
härtere Zeiten auf Kiffer zu – und auch auf ihn, den Lobbyisten, der eigentlich den
nächsten Schritt gehen möchte. Und dafür gute Gründe hat.
Die CSU in Bayern behauptet, die Legalisierung sei eine Konjunkturmaßnahme für den
Schwarzmarkt gewesen. Daten, Studien oder Hinweise darauf gibt es keine. „Das ist
absoluter Blödsinn und ohne Evidenz“, sagt Wurth. Es gebe keine Indizien dafür, dass
sich der Konsum und damit die Nachfrage nach Cannabis erhöht habe. Auf der anderen
Seite gebe es jetzt den legalen Eigenanbau. „Nach dem 1. April waren Samenbanken in
ganz Europa ausverkauft, weil Deutschland so viel bestellt hat. Jedes Gramm, das so
angebaut wird, ist eines weniger für den Schwarzmarkt.“ Dass kriminelle Clans von der
Legalisierung profitieren und etwa Bandenschießereien der sogenannten Mocro-Mafia
etwas mit Deutschlands liberaler Politik zu tun hätten, „all das sind Märchen“. Im
Gegenteil: Wurth und sein Verband hören immer wieder von ehemaligen Dealern, die
jetzt wieder regulär arbeiten gehen müssten.“

[…]

„Ein Baustein im Legalisierungsprozess sind die Social Clubs, über die legal Cannabis
produziert werden kann – erwerben können das Gras aber nur Mitglieder. „Niemand“,
sagt Georg Wurth, „wird sich in einem Joghurt-Verein anmelden, weil er einen Joghurt
essen will – und so ist es auch bei Cannabis“. Deswegen sei es wenig verwunderlich,
dass Gelegenheitskiffer sich weiter über den illegalen Dealer an der Ecke versorgen
würden. „Das ist aber kein Argument gegen die Legalisierung an sich, sondern nur eines
dafür, auch den letzten Schritt mit den Fachgeschäften zu gehen.““

[…]

„Der Frust ist groß, besonders bei Aktivisten wie Wurth. „Die vollständige Legalisierung
erscheint mir erst einmal unwahrscheinlich“, sagt er – obwohl das
Landwirtschaftsministerium zumindest die Grundlage für Forschungsprojekte
geschaffen hat. Auf Basis dieser Verordnung hält Wurth die Modellregionen zur
Erprobung kommerzieller Verkaufsstellen für grundsätzlich möglich. „Behörden
müssten Anträge wie beispielsweise aus Berlin unabhängig prüfen. Doch die Realität
sieht wahrscheinlich anders aus.““

[…]

„Georg Wurth, der Hanf-Aktivist, bleibt optimistisch.„Deutschland ist auf einen Schlag
die Speerspitze der Reformbewegung, kaum jemand auf der Welt geht so liberal mit
Cannabis um“, sagt er. Nur Kanada und Uruguay seien mit ihren Konzepten noch
progressiver. „Und wir sind halt beim ersten Versuch im Rennen um Platz drei
gescheitert.“
Die Vorteile der Legalisierung seien offensichtlich, betont der Geschäftsführer des
Hanfverbandes. Der Eigenanbau, die Social Clubs, massive Erleichterungen für
Cannabis-Patienten – und vor allem die Entkriminalisierung. 180.000 sogenannte
konsumnahe Delikte mussten Polizei und Staatsanwaltschaft Jahr für Jahr verfolgen. Der
Großteil davon fällt mit der Legalisierung wohl weg. „Millionen von Deutschen müssen
sich nicht mehr wie Straftäter fühlen, das ist und bleibt ein Gamechanger.““