Sind wir eine gedopte Gesellschaft?

Im Mai 2007 hatte Steffen Geyer die Möglichkeit, an der ARD-Sendung “Menschen bei Maischberger” teilzunehmen. Im Gespräch mit der Moderatorin und den anderen Gästen warb er dafür, Drogenpolitik so zu gestalten, dass sie möglichst viele Problemkonsumenten erreicht, ohne unnötig in das Leben der Konsumenten ohne Substanzprobleme einzugreifen.

Jedem seine Droge – Sind wir eine gedopte Gesellschaft?

Sandra Maischberger (Moderatorin): Jedem seine Droge, sind wir eine gedopte Gesellschaft, ist mein Thema heute, weil der letzte Bundesdrogenbericht vor ein paar Tagen bekräftigt hat, was manche schon wussten. Nämlich Jan Ulrich ist nicht unser Problem. Sondern unser Problem sind Sachen wie diese hier – handelsübliche Schmerzmittel, die genommen werden eben nicht nur gegen Schmerzen, sondern wegen der angenehmen Nebenwirkungen von fast 2 Millionen Menschen in diesem Land.
Wir wollen also heute über die so genannte stille Sucht reden. Wir wollen auch über die Legalisierung von Hasch reden und über den Druck in der Gesellschaft, der möglicherweise mehr zum Doping greifen lässt, als man glaubt. Meine Gäste sind heute

Steffen Geyer ist Lobbyist vom Deutschen Hanf Verband. Er vertritt, wenn man so will, wahrscheinlich auch die 2 Millionen Deutschen, die regelmäßig Haschisch oder Marihuana konsumieren. Er fordert die Legalisierung.

Sandra Maischberger: Herr Geyer, würden Sie sagen, Cannabis macht nicht abhängig?

Steffen Geyer: Nein, man kann sicher nicht ausschließen, dass man psychische Abhängigkeiten entwickelt. Es gibt ja auch Menschen, die ihr Leben damit verbringen, dass passende Suchtmittel zu finden, um endlich in die Abhängigkeit rein zu finden, die sie sich wohl fühlen lässt. Und die probieren dann aus. Und probieren, in der Schule werden sie sicherlich früher oder später damit konfrontiert werden, Cannabis aus. Und dann gibt es einen geringen Prozentsatz, sagen wir zwei oder fünf Prozent der Konsumenten, die ne psychische Abhängigkeit entwickeln. Und je früher das geschieht, dass ist völlig unstrittig, umso gefährlicher ist das auch.

Sandra Maischberger: Kiffen Sie?

Steffen Geyer: Gelegentlich. Ja!

Sandra Maischberger: Sagen Sie das jetzt nur, weil es politisch korrekt ist?

Steffen Geyer: Ich sage das in erster Linie, weil es strafrechtlich korrekt ist.

Sandra Maischberger: Ok. Verstehe. Aber ich meine doch, wenn man doch einen Hanfverband, also der Vorsitzende eines Hanfverbandes ist, ist man doch erst einmal Vertreter derjenigen, die Hanf industriell nutzen, um eben Kleidungsstücke zu produzieren oder was auch immer. Aber man vertritt ja auch die, die es konsumieren. Kann man das dann guten Gewissens tun?

Steffen Geyer: Ja, natürlich! Das Problem ist ja nicht, dass es Cannabis gibt, sondern – wie geht die Gesellschaft damit um. Und den 10.000 Jahren legale Cannabisnutzung, die unsere Großeltern beendet haben, stehen jetzt 50 Jahre Verbotspolitik gegenüber, mit den Ergebnissen, die dann wieder der Droge zugerechnet werden. Die Konsumenten werden immer jünger. Die Verfügbarkeit steigt.
Es gibt heute keinen 14-jährigen mehr, der an der Schule nicht wenigstens zwei drei kennt, bei denen er was kaufen könnte. Das war im letzten Jahrhundert noch anders, da gab es eine Zeit lang Cannabis nur in Apotheken zu erwerben. Da waren die Schulen noch relativ drogenfrei.

Wenn Leute Probleme mit ihrem Konsum entwickeln, fällt es ihnen viel schwerer sich an Hilfsangebote zu wenden, weil immer im Hinterkopf der Gedanke ist – vielleicht geht der Arzt zur Polizei. Da kann man den Problemkonsumenten auch zehnmal als vertrauensvoller Ansprechpartner sagen – Nein. Da gibt es eine Schweigepflicht. Geh zur Drogenberatung! Nimm deine Eltern mit, es kann dir nur helfen.
Aber es gibt da sehr viele Berührungsängste mit staatlichen Angeboten, die auf das Verbot zurück zu führen sind.

Sandra Maischberger: Und deshalb sagen Sie – lieber gleich legalisieren?

Steffen Geyer: Lieber gleich legalisieren. Ne ehrliche Aufklärung machen. Nicht verschweigen, dass es durchaus einen Anteil Konsumenten gibt, die ihr Leben lang konsumieren, ohne Probleme zu entwickeln. Es gibt keine tödliche Dosis.

Die Einstiegsdrogentheorie ist widerlegt. In dutzenden Studien wurde nachgewiesen, dass Cannabiskonsum nicht zwangsläufig zum Konsum härterer Drogen führt, sonst hätten wir heutzutage auch viel mehr Heroinkonsumenten oder Kokainkonsumenten.
Die 68er Generation, die heute an der Macht ist, ist der beste Gegenbeweis. Die sind ja auch nicht alle in den frühen 70ern “an der Nadel” gelandet.

Sandra Maischberger: Die sind jetzt süchtig von Politik. Ist das besser? Nein. Wurscht.
Wenn Sie jetzt so ne Reihenfolge oder ne Rangliste machen würden, halten Sie Cannabis für harmloser als Alkohol zum Beispiel?

Steffen Geyer: Ich wehre mich immer sehr dagegen zu sagen, es gibt harte Drogen und weiche Drogen und manche Drogen sind besser als andere. Das ist immer ne Frage des Konsummusters.
Ich kann mir vorstellen, dass es auch mit Kokain oder Heroin einen verantwortlichen, selbstbewussten Umgang gibt. Sicher ist das mit Cannabis und Alkohol deutlich leichter. Genauso wie es Menschen gibt, die Medikamente nehmen ohne Abhängigkeiten zu entwickeln.

Aber es gibt auch immer die Möglichkeit des Missbrauchs und des Kontrollverlusts über den eigenen Konsum. Und das ist bei Cannabis eher selten der Fall.

Brigitta Reitz (Elternkreis drogengefährdeter und drogenabhängiger Jugendlicher): Die heutigen Anfänger sind sehr viel jünger. Das heißt sie können nicht vernünftig mit Dingen umgehen, weil sie das gar nicht übersehen und überdenken können.
Und, darüber dürfen wir uns auch nicht hinwegtäuschen, das Cannabis, Haschisch und Marihuana, ist sehr viel stärker, und zwar ja extra gezüchtet, um praktisch abhängiger zu machen.

Steffen Geyer: Erstaunlicherweise sieht die Europäische Drogenbeobachtungsstelle und das BKA genau diesen Fakt anders. Natürlich gibt es heute Spitzensorten, deren Werte höher liegen, aber das durchschnittliche gefundene Marihuana ist heute genauso stark oder weniger stark, wie zu Zeiten der 68er.
Die waren ja damals nicht alle doof. Die haben ja auch geraucht, weil es eine Wirkung hatte. Wenn das Gras heute soviel stärker wäre als damals, müsste man ja sagen – da hat eine ganze Generation das Geld verbrannt ohne jemals eine Wirkung zu verspüren.

Sandra Maischberger: Ja. Aber trotzdem muss man ja mal fragen, was man heute damit macht. Also auf Ihrer Homepage schlagen Sie ja vor, dass man den Dealer sozusagen ersetzt, durch ein speziell ausgebildetes Verkaufspersonal für kompetente Kundenberatung. Ein Lehrgang mit Prüfung ist vorstellbar. Die Prüfung wäre dann bei einer Organisation wie der IHK.
Für wen würden Sie das empfehlen? Also, Freigabe für alle Altersgruppen konsequenterweise? Oder dann doch erst ab 18?

Steffen Geyer: Ich halte eine Altersgrenze für sinnvoll. Die Frage ist, ob wir mit einer Altersgrenze 18 Jahre die richtigen Leute erreichen.

Weil unser Problem sind ja nicht die 20- 25-jährigen Cannabiskonsumenten, die den Konsum in ihr Leben integriert haben und ne normale Familie haben und ihrem Job nachgehen.
Das Problem sind die 12- 14- 16-jährigen Probierkonsumenten, die noch nicht wissen – welche Droge gefällt mir. Die sich genauso gut auch in den Vollrausch hineinfeiern und dann freitags losgehen und vor der Disko schon mal ne Flasche Vodka leer trinken oder ähnliches.

Und ob man diese Menschen mit einer Altersgrenze “Ab 18 Jahre” erreicht, halte ich für sehr fraglich.
Und am Ende muss es bei Drogenpolitik ja darum gehen, wie helfe ich den Problemkonsumenten. Und die Problemkonsumenten erreiche ich halt nicht mit dem Strafrecht und auch nur schwer mit hohen Altersgrenzen.

Schauen Sie sich die USA an. Altersgrenze für Alkohol 21 Jahre – Es gibt einen deutlich höheren Anteil von Alkoholvergiftungen bei Jugendlichen, weil der kulturelle, gesellschaftliche Umgang mit dem Rauschmittel verloren geht im laufe der Zeit.
Die Cannabiskultur heute ist auf einem sehr niedrigen Niveau. Es geht kaum jemand zu seinen Eltern und sagt – wann ist es denn wichtig nicht zu kiffen – Punktnüchternheit, solche Sachen. Dafür gibt es keine gesellschaftlich gewachsenen Regeln mehr.

Sandra Maischberger: Sie sagen im Prinzip, man kann das in sein Leben integrieren. Mit nem guten Umgang.

Brigitta Reitz: Aber ich denke, es liegt ein bisschen daran, dass wir auch in der Gesellschaft das Bewusstsein verändern müssen, dass Rausch

Steffen Geyer: Aber das tun die Leute doch aber – fortwährend. Ihr Bewusstsein verändern.

Brigitta Reitz: Nein. Sie wollen ihr Bewusstsein verändern mit irgendwelchen Tabletten, Alkohol, Drogen.

Steffen Geyer: Ja, aber ob sie nun Sport treiben oder exzessiv Computer spielen.

Brigitta Reitz: Nein. Ich denke nur – Alles, was exzessiv gemacht wird und was vielleicht andere Beschäftigungen verhindert oder einschränkt, dann wird es eben gefährlich. Und wenn ich es merke bei Jugendlichen, dass die sich dann nach ersten Cannabiserfahrungen – einige, sicher nur wenige – dabei bleiben und plötzlich nur noch Haschisch rauchen und zwar morgens schon anfangen. Und dann nicht in die Schule gehen. Vom Gymnasium, als vorher mal wirklich intelligente junge Leute, vom Gymnasium runter gestuft werden auf Realschule, auf Hauptschule und dann nicht mal den Hauptschulabschluss mehr machen. Nur mit Haschisch!

Steffen Geyer: Ja, aber die Frage ist doch, ob ich diesen Menschen mit Polizei und Staatsanwalt helfen kann. Kann ich einen verhindern, der mit Haschisch abstürzt, damit? Nein, offensichtlich nicht. Sonst würden es nicht immer mehr werden.
Also muss man doch den Mut haben und sagen – es war vor 50 Jahren ein falscher Schritt, diese Drogen illegal zu machen, weil wir sie der gesellschaftlichen Kontrolle entrissen haben. Heute muss ich zu einem Dealer gehen und weiß nicht, ob ich nicht vielleicht Glassplitter in meinem Gras habe. Jeder Zigarettenkonsument und Alkoholkonsument hat wenigstens das Recht auf saubere Drogen.

Brigitta Reitz: Na so einfach ist das jetzt nicht. Es geht ja nicht um die Verunreinigungen. Sind ja da. Diese Jugendlichen. Also Hasch, wissen sie, kriegt man heute nicht unbedingt nur beim Dealer – Steht nicht der Schwarzhäutige vor der Schule und verführt arme junge Kinder.
Sondern, das erste Haschisch kriegt man im Freundeskreis, nich? Bis man mal zu einem Dealer geht, da ist man schon abhängig.

Und diese ersten Haschischgebraucher die landen auch nicht bei der Polizei, sie wissen das selbst. Die Meisten.

Steffen Geyer: Gerade Jugendliche, die landen bei der Polizei. Die landen dann in den Drogenberatungen, weil sie das als Gerichtsauflage kriegen, damit da die Statistik stimmt.

Brigitta Reitz: Und davon werden dann auch einige zumindest mal aufgeklärt, dass es durchaus gefährlich ist.

Menschen bei Maischberger vom 15.05.2007 “Jedem seine Droge: Sind wir eine gedopte Gesellschaft?”