Grafinger Anzeiger: “High auf Rezept” Interview mit Georg Wurth über medizinisch zugelassenen Cannabiswirkstoff

Folgendes Interview wurde im Grafinger Anzeiger vom 10.07.2011 auf Seite 2 in leicht gekürzter und geänderter Form mit Bild veröffentlicht.

1. Frage: Seit 1. Juli gibt es nun Cannabis auf Rezept. Bedeutet das für Marihuana-Freunde ein leichteres Rankommen an den „Stoff“?

Nein. Erstens gibt es nicht Hanfblüten oder Haschisch auf Rezept, sondern ein Fertigarzneimittel mit den Hanfwirkstoffen, das die gleiche Wirkung für den zehnfachen Preis bringt. Zweitens wird sich die neue Regelung zunächst nur für Menschen auswirken, die Spastiken wegen Multipler Sklerose haben.

2. Frage: Ihr Verband setzt sich für eine Entkriminalisierung von Cannabis-Konsumenten ein. Ist die oben erwähnte Neuerung ein Schritt, der Ihnen entgegen kommt?

Die aktuelle Gesetzesänderung kommt vor allem der Pharmaindustrie entgegen. In anderen Ländern werden Patienten einfach mit preiswerten Hanfblüten versorgt oder sie dürfen ihre Medizin selbst anbauen. Die Bundesregierung versucht alles, um das zu verhindern. Für normale Cannabiskonsumenten hat die neue Regelung keinerlei Auswirkungen. Sie werden weiter gejagt, es wird weiterhin Hausdurchsuchungen und erkennungsdienstliche Behandlungen wegen kleinster Cannabismengen geben, gerade in Bayern.

3. Frage: Das isländische Parlament erwägt die Rezeptpflicht für Zigaretten, so dass Raucher tatsächlich nur noch in Apotheken einkaufen können? Was halten Sie davon?

Das finde ich übertrieben. Apotheken sollten Arzneimittel verkaufen, nicht Genussmittel. Ich denke, Tabak sollte ebenso wie Alkohol und Cannabis nur in Fachgeschäften verkauft werden, nicht im Supermarkt und nicht über Zigaretten- oder Jointautomaten – um klar zu machen, dass es sich nicht um x-beliebige Konsumgüter handelt.

4. Frage Wäre es Ihrer Meinung nach sinnvoll, in Deutschland die Nullpromillegrenze einzuführen – vom Alkohol am Steuer geht ja sicher die größere Gefahr aus als von Bekifften Fahrern…

Es sollte für jede Droge Grenzwerte geben, die einerseits die Verkehrssicherheit gewährleisten, und andererseits Menschen mit unwirksamen Restwerten im Blut nicht unnötig in Schwierigkeiten bringen, wie das zur Zeit bei Cannabis der Fall ist.

5. Gibt es Staaten, deren Drogenpolitik aus Ihrer Sicht besser funktioniert als die deutsche, also nachahmenswert für Deutschland?

Deutschland verschwendet viel zu viele Ressourcen mit letztlich sinnloser Strafverfolgung. Der größte Teil der öffentlichen Gelder, die mit Drogen zu tun haben, geht in Polizei, Justiz, Gefängnisse. Für Prävention bleibt da wenig übrig. Immer mehr Staaten zeigen Wege auf, wie es auch mit weniger Repression geht. Beim Thema Hanf sind Belgien, Tschechien, die Niederlande und vor allem Spanien gute Beispiele. Dort dürfen Konsumenten unbehelligt eine oder mehrere Pflanzen zur Deckung des Eigenbedarfs anbauen. In Spanien gibt es mittlerweile sogar hunderte legale Vereine, in denen Konsumenten gemeinsam Hanf anbauen. Das vermeidet die auf dem Schwarzmarkt kursierenden gefährlichen Streckmittel und entzieht kriminellen Händlern die Grundlage.