“Der Wandel ist greifbar” – ein Gespräch mit Hanfverbandgeschäftsführer Georg Wurth

Interview mit DHV-Geschäftsführer Georg Wurth zur aktuellen Drogenpolitik in Deutschland

Georg Wurth ist der Geschäftsführer des deutschen Hanfverbandes. Wir haben mit ihm ein Interview gemacht und ihn zur aktuellen Drogenpolitik in Deutschland befragt.

Die Freiheitsliebe: Wie bist Du eigentlich zur Drogenpolitik gelangt?

Georg Wurth: Das fing erst relativ spät an. Zuerst habe ich mich mit anderen politischen Themen auseinandergesetzt. Nach meinem Abitur 1992 bin ich bei den Grünen Mitglied geworden und bin dann sehr schnell die Karriereleiter hochgelaufen. Ich war bei Landes-, Bundesparteitagen dabei, ständig unterwegs und kommunalpolitisch sehr involviert, sodass ich 1997 Fraktionssprecher der Grünen im Stadtrat geworden bin – mit 24 Jahren. Danach habe dann alle möglichen kommunalpolitischen Themen bearbeitet: Angefangen von der Stromversorgung über Kanalbauten und Bauwesen bis hin zu Verkehr und Umwelt- und Ordnungsangelegenheiten. Zwischendurch habe ich noch einige Kampagnen gemacht und einmal auch eine drogenpolitische Kampagne 1996. Da habe wir eine Podiumsdiskussion mit der Partei organisiert und in diesem Zusammenhang habe ich mich auch selbst angezeigt – wegen Besitz von vier Gramm Marijuana. Ich habe der Polizei einen Brief geschrieben, dass ich die vier Gramm zu Hause habe und das mit der öffentlichen Forderung verknüpft, Cannabis zu legalisieren. Ich habe nicht eingesehen, dass jemand für ein paar Gramm Hanfblüten betraft wird, während die Nachbarn massenhaft Bier und Schnaps horten dürfen.

Die Freiheitsliebe: Wie war die Resonanz auf diese Aktion? War das revolutionär? Was haben deine Eltern gesagt?

Georg Wurth: (lacht) Ich war ja schon erwachsen. Meine Eltern haben dazu nicht mehr viel gesagt. Mein Chef vom Finanzamt zum Beispiel hat gesagt, dass es wahrscheinlich zu disziplinarischen Folgen kommen wird – ich war damals Beamter im gehobenen Dienst. Ich habe aber sowieso relativ früh beim Finanzamt gekündigt, um mich voll der Politik widmen zu können.

Das Interesse der Medien war sehr groß und die Aktion damit erfolgreich. Es fing an mit Lokalpresse und -radio, ging dann weiter zum regionalen Fernsehen und kam bis in die BILD-Zeitung. Die Polizei kam dann erst eine Woche später und hat das Cannabis mitgenommen. Statt einen Hund haben sie ihren Pressesprecher mitgebracht und der BILD nachher erzählt, ich sei freundlich gewesen und hätte ihnen einen Kaffee angeboten. Letztendlich bin ich nicht freigesprochen worden. Das Verfahren wurde leider nicht wegen geringer Menge eingestellt, sondern da gab es einen Staatsanwalt, der mich unbedingt dran kriegen wollte – mit dem Argument „besonderes Interesse an der Strafverfolgung“. Der Richter wollte das erst gar nicht und wollte das Verfahren einstellen, dann hat aber die Staatsanwaltschaft Beschwerde eingelegt. Aufgrund dessen ging das Verfahren dann in die nächste Runde. Letztlich wurde ich nicht verurteilt wegen „besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung“, sondern weil ich das Cannabis nicht zum Eigenkonsum besessen hatte. Ich hatte es mir für die Selbstanzeigen-Aktion schenken lassen. Die haben mich dann zu 20 Tagessitzungen Geldstrafe auf Bewährung verurteilt, was ziemlich selten vorkommt – die geringste Art der Bestrafung, die überhaupt nur möglich war. Da ich mir nichts weiter habe zuschulden kommen lassen, habe ich die Strafe nie gezahlt. Aber ich habe auch gegen dieses Urteil Beschwerde eingelegt und bin bis zum Bundesverfassungsgericht gegangen. Und diese Geschichte hat mich eigentlich erst richtig zur Drogenpolitik gebracht.

Die Freiheitsliebe: Gab es Nachahmer? Hat deine Aktion irgendetwas bewirkt?

Georg Wurth: Außer der großen Presseresonanz hat die Aktion bewirkt, dass ich mehr oder weniger mein Leben auf Drogenpolitik ausgerichtet habe, weil ich das Thema besonders spannend fand. Unter anderem deswegen, weil auf einer Seite alle Argumente stehen. Wenn man sich damit intensiv befasst und da mal mit logischen Denkansetzen ran geht, kommt man automatisch zu dem Ergebnis, dass das Hanfverbot keinen Sinn ergibt. Es gibt kein vernünftiges Argument für ein Hanfverbot, aber eine Menge guter Gründe dagegen. Aber auf der anderen Seite stehen viele Emotionen. Also Angst um die Kinder, vor Psychosen und davor, bei härteren Drogen zu landen. Es gibt natürlich auch immer irgendwelche Psychiater, die diese Angst befeuern.

In der Wirtschaftspolitik gibt es eine nachfrageorientierte und eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik. Beides ist nachvollziehbar, beides mit Argumenten begründbar. Das ist bei Drogenpolitik aber nicht so! Wenn man sich da an Argumenten entlanghangelt dann landest du bei einer Legalisierung. Dies ist einer der Punkte, warum ich die Drogenpolitik so besonders spannend fand.

Nachahmer gab es übrigens auch. 1998 haben wir über die Grüne Jugend eine bundesweite Kampagne organisiert, bei der 12 Leute in 5 verschiedenen Bundesländern am gleichen Tag mit zwei Gramm zur Polizei gegangen sind und sich selbst angezeigt haben. Die Reaktionen der Polizei waren sehr unterschiedlich, aber am Ende sind die Verfahren alle eingestellt worden.

Danach machte ich mich im Jahr 2000/01 auf eine Weltreise und als ich dann wiederkam, bin ich nach Berlin gezogen und widmete mich der Drogenpolitik.

Die Freiheitsliebe: Hat sich während der Weltreise dein Entschluss gefestigt bei der Drogenpolitik zu bleiben? Inwieweit hat die Reise dein Leben verändert?

Georg Wurth: Also eigentlich war mir vor der Reise schon klar, dass ich in diesem Bereich reingehen sollte, aber ich habe während der Reise schon sehr viel darüber nachgedacht. Ich bin damals mit meinem Fahrrad quer durch Asien gefahren – da hat man viel Zeit zum Nachdenken. Ich habe mir überlegt, wie man in Deutschland eine Struktur aufbauen könnte, um drogenpolitisch vorwärts zu kommen. Ich stellte mir einen drogenpolitischen Verein vor und als ich wiederkam hatte sich bereits der Verein für Drogenpolitik gegründet, der sich mit allen Drogen befasst. Ich bin seitdem dort auch Mitglied und habe immer wieder mit dem Verein zusammengearbeitet. Als ich zurück kam, habe ich zunächst ein drogenpolitisches Netzwerk bei den Grünen organisiert. Dann wurde aber schnell von Kollegen vom Hanfjournal parallel den deutschen Hanfverband gegründet – als Firma. So erklärt sich auch die ungewöhnliche Firmenstruktur. Jedenfalls habe ich dann von Anfang an die Geschäftsführung beim Hanfverband übernommen, seit Mai 2002.

Die Freiheitsliebe: Und der Hanfverband finanziert sich durch Spenden allein?

Georg Wurth:Ja, darauf läuft es hinaus. Wir sind 2002 zunächst als Branchenverband (Hersteller, Händler..) gestartet und haben seit 2006 auch private Spender – und dieser Bereich wächst sehr stark.

Die Freiheitsliebe: Georg, wie beurteilst du die Drogenpolitik der Grünen in den letzten zehn bis 15 Jahren?

Georg Wurth: Schon ein wenig zwiespältig… die Grünen sind unsere ältesten Verbündeten, kann man nicht anders sagen. Es ergibt auch keinen Sinn auf die Grünen die ganze Zeit einzuschlagen. Sehr viele Leute waren sehr enttäuscht, dass mit der grünen Regierungsbeteiligung keine Ergebnisse erzielt wurden.

Z.B. Das Verbot der Zauberpilze wurde während der grünen Regierungszeit bekräftigt. Aber allgemein zum Thema Cannabis muss man ja auch berücksichtigen, dass die SPD sehr stark dagegen war, irgendwas zu tun. Von daher unterstelle ich den Grünen schon, dass sie guten Willens waren, etwas zu verändern Richtung Entkriminalisierung. Die Grünen hatten damals ca. 7% der Stimmen und die SPD gut 40%. Da kann man eben nur ein paar einzelne Themen durchsetzen wie beispielsweise den Atomausstieg. Bei den Grünen war das Thema, Cannabis zu legalisieren, scheinbar nicht erste Priorität. Da waren viele enttäuscht: Auch ich hatte mehr erwartet. Sie hätten sich vielleicht auch noch mehr reinknien können, aber wie gesagt: Es waren damals unsere einzigen Verbündeten, von denen man keine riesigen Schritte erwarten konnte. Mittlerweile gibt es aber wieder positives von grünen Regierungsbeteiligungen zu hören: In NRW und in Rheinland-Pfalz wurde die Menge des Eigenkonsums angehoben – jeweils wieder auf den Stand vor CDU-Regierung. Ein Schritt in die richtige Richtung.

Die Grünen haben aber auch durch die LINKE Konkurrenz bekommen, die mittlerweile auch für eine Legalisierung von Cannabis stehen.

Enttäuscht bin ich jedoch was die Landtagswahlen in Baden-Württemberg angehen: Hier wurde der erste grüne Ministerpräsident gestellt, die Grünen haben die Mehrheit in der Koalition! Auch da steht im Wahlprogramm, dass die BaWü-Grünen für eine legale Abgabe von Cannabis sind – also ein sehr weitgehende Forderung. Im Koalitionsvertrag ist aber noch nicht mal etwas darüber zu lesen, dass die Konsumenten entkriminalisiert werden sollen – das geht mir schwer in den Kopf.

Die Freiheitsliebe: Um erst einmal zu einer kontrollierten Abgabe von Cannabis zu gelangen, muss der Weg zwangsläufig über die Entkriminalisierung der Konsumenten laufen. Beim Antrag der Linken vor einigen Wochen hast du dich für eine Entkriminalisierung besonders stark eingebracht. Knapp eine Stunde lang wurde viel um den heißen Brei herumgeredet, aber gerade das Thema “Entkriminalisierung” fiel unter den Tisch. Warum?

Georg Wurth:Diese Diskussion war sehr auf die „social clubs“ zugespitzt, was ich auch ein wenig schade fand, weil der Antrag viel umfassender war als die Diskussion in der Anhörung.

Warum ist beim Antrag nicht mehr herausgekommen? Wir haben nun mal eine Regierungsmehrheit von CDU und FPD. Beide Parteien haben schon verlauten lassen, dass sie in der Hinsicht keine Veränderungen wollen. Sie sind der Meinung, dass Cannabiskonsumenten ausreichend entkriminalisiert seien und man wolle jetzt kein negatives Signal aussenden, dass Cannabis harmlos sei. Das ist ihre offizielle Begründung. Aber vielleicht haben sie auch Angst um ihre Wähler, wobei eine Umfrage von 2010 ergeben hat, dass selbst bei der CDU knapp die Hälfte der Wähler für eine Entkriminalisierung steht, bei der FDP ist es eine deutliche Mehrheit. Ich denke, das ist auch ein Grund, warum sich jetzt viele von der FDP abwenden. Die CDU ist in der Hinsicht total festgefahren, kriegt den gesellschaftlichen Wandel nicht mit. Und da zeigt sich auch immer wieder besonders stark, dass dort bei Diskussionen eigentlich überhaupt gar keine Argumente hervorgebracht werden. Es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis dafür, dass durch die Prohibition weniger Cannabis konsumiert wird. In den Niederlanden kann man in coffie-shops völlig legal Cannabis kaufen und trotzdem wird dort nicht mehr gekifft.

Die Freiheitsliebe: In den USA hat es einige Jahrzehnte gedauert, bis Cannabis zumindest als Medikament freigegeben wurde. In den Niederlanden ging es zügiger und in den Spanien gibt es sogenannte “social clubs”.Wie lange wird es in Deutschland noch dauern, dass man auch Hierzulande legal Cannabis rauchen kann?

Georg Wurth:Das ist wahnsinnig schwer vorherzusagen. Manche fragen mich “wann ist’s legal” und die anderen “wann gibt’s den ersten Anbau-Club”. Das sind natürlich zwei ganz unterschiedliche Paar Schuhe, weil diese Anbauclubs jetzt nicht unbedingt einer Legalisierung des Handels gleichkommen. In Spanien zum Beispiel hat der erste social club 15 Jahre gebraucht, um sich durch die gerichtlichen Instanzen zu kämpfen. Theoretisch kann es sein, dass auch in Deutschland übermorgen der erste social club aufmacht und die Betreiber sagen “so jetzt legen wir mal los mit dem Rechtsstreit”. Aber bis das Thema politisch durchdiskutiert und Cannabis vollständig legal sein wird – das wird sicher nicht innerhalb der nächsten fünf Jahre der Fall sein. Vielleicht dauert es noch deutlich länger: 20 Jahre. Das ist sehr vom internationalen Wandel abhängig. Wenn es in naher Zukunft überall so langsam weitergeht wie hier, dann wird es noch lange dauern. Wenn es aber so weitergeht wie in den USA – ich war im letzten November in Kalifornien – dann würden die USA als Motor der weltweiten Drogenrepression ausfallen. Die USA mit ihrer militärischen und wirtschaftlichen Macht haben im letzten Jahrhundert dafür gesorgt, dass bis in den letzten Winkel der Welt Cannabis verboten ist. Die letzten Länder waren glaube ich Laos und Kambodscha. Vor zehn Jahren habe ich in Deutschland noch das Argument gehört, dass ich ja recht habe, wir aber schon deshalb nicht legalisieren können, weil Deutschland dann mit den USA Probleme bekommen würde. Das Argument habe ich jetzt länger nicht mehr gehört. Stellen wir uns mal vor, dass die USA tatsächlich Cannabis legalisieren würden – nicht nur als Medizin. Wenn das passiert, wird es zu einem Dominoeffekt kommen, der auch ganz schnell in Deutschland ankommen würde. Dann würde alles viel schnell gehen.

Die Freiheitsliebe: Wie beurteilst du die Stimmung unter dem Volk gegenüber einer Legalisierung von Cannabis und dem Hanfverband?

Georg Wurth: Ich gehe davon aus, dass in Zukunft mehr kleinere oder größere Aktionen starten werden. Wir spüren jedenfalls sehr viel mehr Feedback, sehr viel mehr Interesse mittlerweile. Das Thema brodelt, der Wandel ist greifbar!

Die Freiheitsliebe: Wir danken dir für das Gespräch