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Studie zu psychotischen Episoden nach Cannabiskonsum

Forscher haben die Daten von mehr als 230.000 Cannabiskonsumenten ausgewertet, um Erkenntnisse zur Häufigkeit und den Hintergründen von psychotischen Episoden nach Cannabiskonsum zu sammeln. Es ging nicht um die übliche Frage, ob Cannabis Psychosen auslösen oder verursachen kann, sondern welche Konsumentengruppen besonders von psychotischen Episoden betroffen sind. Diese Risikofaktoren könnten neue Hinweise für Harm-Reduction-Ansätze liefern.

Als Datengrundlage für die Untersuchung diente der Global Drug Survey (GDS) der Jahre 2014 bis 2019. Aus den mehr als 500.000 Datensätzen extrahierten die Forscher  aus Großbritannien, der Schweiz und Australien geeignete Samples zur weiteren Untersuchung. Voraussetzung war, dass die Teilnehmer über Konsumerfahrung mit Cannabis verfügten, das Vorhandensein von mindestens 1.000 Datensätzen pro Land und die Datenerhebung im Hinblick auf “cannabis-associated psychotic symptoms” (CAPS) vollständig war. Nach Berücksichtigung dieser Faktoren wurden insgesamt 233.475 Datensätze zur Auswertung herangezogen.

Die drei zentralen Fragen, welche im Rahmen der Untersuchung beantwortet werden sollten, lauteten:

  1. Wie groß ist der Anteil der Cannabiskonsumenten (People who use cannabis – PWUC), die aufgrund einer konsum-bedingten psychotischen Episode (cannabis-associated psychotic symptoms – CAPS) notärztliche Hilfe in Anspruch nahmen? (letzte 12 Monate/Lebenszeit)
  2. Verändert sich dieser Anteil, wenn Faktoren wie Demographie, Konsumverhalten und individuelle Gesundheitsaspekte berücksichtigt werden? 
  3. Betrachtung der konkreten Konsumumstände (Cannabis und ggfs. weitere Substanzen) vor dem Auftreten der psychotischen Episoden und die Dauer der Rekonvaleszenz 

Häufigkeit von psychotischen Zuständen mit ärztlicher Behandlung  

Bei der Auswertung der jeweiligen Datensätze für Lebenszeit (n = 85,366) und die letzten 12-Monate (n = 148,109) konnte eine Lebenszeitprävalenz von 0,47% und eine 12-Monats-Prävalenz von 0,19% für CAPS mit notärztlicher Behandlung festgestellt werden. 

Im Laufe des Lebens trat demnach bei einem von 200 Konsumenten eine psychotische Episode nach dem Konsum von Cannabis auf, die zu einer notärztlichen Behandlung führte. Die Art der Symptome waren sehr unterschiedlich, wie die Grafik verdeutlicht. Am häufigsten über die Lebenszeit sind paranoide Episoden (0,25%), gefolgt von paranoiden Episoden mit Halluzinationen (0,15%). CAPS mit ausschließlichen Halluzinationen sind am seltensten (0,07%). Bei den Ergebnissen bezogen auf das letzte Jahr ergab sich eine ähnliche Gewichtung allerdings auf einem deutlich niedrigeren Niveau.

Faktoren für die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von CAPS – Tabak, Dänemark und psychische Vorerkrankungen

Anschließend testeten die Forscher weitere Faktoren wie Alter, Herkunft, Konsumform, Beikonsum oder psychische Vorerkrankungen. Hier zeigten sich einige überraschende, aber auch viele erwartbare Faktoren, die mit dem Auftreten einer psychotischen Episode binnen der letzten 12 Monate korrelierten.

Psychische Vorerkrankungen

Der höchste Wahrscheinlichkeit einer psychotischen Episode fand sich in der Untergruppe der Konsumenten mit bekannten psychischen Erkrankungen. Vor allem bei Personen mit einer diagnostizierten Psychose war die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von CAPS um den Faktor 14 erhöht gegenüber der Kontrollgruppe (1,69% : 0,12%). 

Aber auch bei anderen psychischen Erkrankungen waren signifikante Unterschiede im Vergleich zur Kontrollgruppe feststellbar: Bipolare Störung 0,52%, Angststörungen 0,35%, Depression 0,32%, ADHS 0,26% (Kontrollgruppe jeweils 0,12%).
Diese Ergebnisse waren teilweise erwartbar und verdeutlichen die besondere Sorgfaltspflicht beim Umgang mit Cannabis im Falle einer vorliegenden psychischen Erkrankung. Vor allem bei Krankheitsbildern wie ADHS oder Depressionen, die zum Teil mit Cannabis therapiert werden, sollte daher genau beobachtet werden, ob etwaige Unverträglichkeiten beim Patienten bestehen. 

Alter, Geschlecht, Herkunft

Bei den körperlichen Merkmalen zeigte sich, dass lediglich das Alter eine entscheidende Größe für das Auftreten von CAPS darstellte. In der Altersgruppe unter 21 Jahren war das Ereignis einer psychotischen Störung um den Faktor 2,66 erhöht im Vergleich zur Kontrollgruppe (0,32% : 0,12%). Alle anderen untersuchten Kategorien wie Geschlecht, BMI, Grad der sportlichen Betätigung zeigten keine signifikanten Unterschiede.

Im Hinblick auf die Herkunft der Konsumenten ließen sich teilweise starke Unterschiede feststellen. So trat bei Konsumenten aus Dänemark (0,50% : 0,17%) und Portugal (0,58% : 0,19%) vermehrt CAPS im Vergleich zur Kontrollgruppe auf. In den USA hingegen sind deutlich weniger Fälle von CAPS zu beobachten als im Durchschnitt der restlichen Länder (USA 0,08% : 0,2% Kontrollgruppe).
Über die Gründe können die Autoren der Studie nur Vermutungen anstellen. Im Fall von Dänemark stellen sie die These auf, dass das vermehrte Auftauchen von CAPS im Zusammenhang mit dem in Dänemark stärker verbreiteten Konsum von Haschisch liegen könnte. Dieses habe einen deutlich höheren THC-Gehalt und könnte somit die Steigerung erklären. Die These überzeugt allerdings bei genauer Betrachtung nicht wirklich. In den USA sind potente Cannabisblüten und deutlich stärkere Konzentrate als Haschisch weit verbreitet und können in vielen Bundesstaaten auch legal erworben werden. Trotz einer ähnlich gelagerten Konsumpräferenz für Cannabisprodukte mit einem höheren THC-Gehalt treten CAPS jedoch deutlich weniger auf. 

Die Gründe hierfür sind wahrscheinlich deutlich vielschichtiger, denn die untersuchten Länder unterscheiden sich zum Teil stark hinsichtlich ihrer sozio-ökonomischen Gegebenheiten wie Wohlstand, Urbanisierungsraten, der Krankenversorgung, der gesellschaftlichen Akzeptanz von Cannabis und dem Aufklärungsgrad bezüglich Cannabis in der Gesellschaft.
All diese Faktoren haben Einfluss sowohl auf die geistige Gesundheit, als auch auf den Zugang zu medizinischer Versorgung bzw. die Motivation, medizinische Hilfe auch in Anspruch zu nehmen.

Wenn die Inanspruchnahme von notärztlicher Hilfe oder die Versorgung im Krankenhaus mit erheblichen Kosten oder der Angst vor Repressionsmaßnahmen verbunden ist, wird auf diese unter Umständen eher verzichtet. Dadurch sinkt die Registrierung von CAPS in den Notaufnahmen, aber der Gesundheitsschutz leidet.

Konsumpräferenzen, Muster und Tabakgebrauch

Für das Auftreten von CAPS scheint es keinen wesentlichen Unterschied zwischen medizinischer Anwendung und Freizeitkonsum zu geben (medizinisch 0,21% : 0,18% genussorientiert). Auch hinsichtlich der Konsumhäufigkeit scheint es keine signifikanten Differenzen zu geben. Bei Konsumenten mit einer höheren Konsumfrequenz (mehr als 100 Tage im Jahr) lag der Wert bei 0,17% im Vergleich zu 0,20% bei Personen mit einem gelegentlichen Konsum.
Im Hinblick auf die bevorzugten Cannabisprodukte fällt auf, dass nur bei einer Produktgruppe häufigere Fälle von CAPS beobachtet werden können. Ausschließlich bei Haschisch und Extrakten sind diese um den Faktor 2,11 gegenüber der Kontrollgruppe (Cannabisblüten – Standard) erhöht (0,37% : 0,18%). Für hochpotente Cannabisblüten (0,17%) bzw. Cannabisöl (0,07%) können keine Unterschiede beobachtet werden, obwohl beide Produktgruppen ebenfalls über einen erhöhten THC-Gehalt verfügen.
Bezüglich der Frage, ob Cannabis gemischt mit Tabak konsumiert wurde, ergab sich ein eindeutiges Bild. In der Gruppe der Tabakkonsumenten traten CAPS um den Faktor 2,15 häufiger auf, als dies in der Kontrollgruppe der Fall war (0,28% : 0,13%). Ob hier ein kausaler Zusammenhang vorliegt, konnten die Autoren der Studie nicht beantworten. Zwar gebe es bereits Beobachtungen, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen vermehrt Tabak rauchen, jedoch stelle sich auch hier die Frage nach Ursache und Wirkung – wie bei vielen der beobachteten Korrelationen.

Konsumformen und Konsum weiterer Drogen 

In dieser Gruppe gibt es nur zwei statistische Ausreißer. Unter den Nutzern von Vaporizern ist ein um den Faktor 3,5 vermindertes Auftreten von CAPS zu beobachten im Vergleich zur Kontrollgruppe “Joint/Blunt” (0,07% : 0,25%).  Ein deutlich erhöhtes Aufkommen von CAPS war bei der “Hot-Knife”-Methode feststellbar. Allerdings ist die Datengrundlage bei “Hot-Knife” mit nur 171 Konsumenten sehr gering und die statistische Aussagekraft daher nicht gegeben. Für oralen Konsum und die Konsumform “Pfeife/Bong” zeigten sich keine signifikanten Veränderungen. Dies scheint vor allem in Bezug auf den oralen Konsum bemerkenswert, da häufig beim Konsum von Edibles auf mögliche Überdosierungen aufgrund des verzögerten Wirkungseintritts hingewiesen wird.

Es zeigte sich weiterhin, dass der Konsum weiterer Drogen anscheinend keinen oder nur einen sehr geringen Einfluss auf das Auftreten von CAPS hat. Lediglich in der Gruppe der Stimulanzien liegen die Werte in einem nicht signifikanten Bereich höher. Bei Ketamin und LSD liegt die Wahrscheinlichkeit leicht unter der Kontrollgruppe. Eine Ursache hierfür könnte sein, dass Konsumenten von Halluzinogenen bereits Erfahrungen mit stark veränderter Realitätswahrnehmung haben und daher eine CAPS-Episode weniger gefährlich einschätzen, als dies Cannabiskonsumenten ohne solche Erfahrung haben.

Konsumumstände beim Auftreten von CAPS und Dauer der Beeinträchtigung

Als letzten Aspekt untersuchten die Forscher die unmittelbaren Umstände, die zum Auftreten der psychotischen Episode führten und welche Konsequenzen daraus entstanden sind.

Mehr als zwei Drittel der Betroffenen konsumierten entweder hochpotente Blüten oder Haschisch/ Cannabisharz vor der CAPS-Episode, wobei Indoor-Gras grundsätzlich als hochpotent definiert wurde. Die konsumierte Menge lag in den meisten Fällen im Bereich bis 1 Gramm. Es handelt sich also nicht um auffällig große Mengen, die konsumiert wurden, und auch die Art des konsumierten Cannabis spiegelt eher die allgemeinen Konsumpräferenzen wider. Potentes Indoor-Cannabis macht den Großteil des Marktes aus, gefolgt von Haschisch.
Weiterhin zeigt sich, dass es keine eindeutigen Hinweise für das verstärkte Auftreten von CAPS im Hinblick auf bestimmte Arten von Mischkonsum gibt, bzw. der anteilig größte Teil keine weiteren Drogen konsumiert hat. Ebenso scheint auch ein erhöhter Alkoholkonsum keine nennenswerten Effekte für das Auftreten von CAPS zu haben. 

Rückschlüsse auf das Ausmaß der psychotischen Episode geben die Daten zu Weiterbehandlungen und die Dauer der Rekonvaleszenz. So gaben 36% der Konsumenten mit einem CAPS-Ereignis an, dass eine klinische Aufnahme im Anschluss an die medizinische Akutversorgung notwendig war. Bei nahezu zwei Dritteln war jedoch kein Anlass für eine weitere Versorgung im Krankenhaus gegeben.

Dies spiegelt sich auch bei der Genesungsdauer der von CAPS-betroffenen Personen wider: 70% gaben an, sich innerhalb von max. 2 Tagen vollständig erholt zu haben. Problematisch hingegen sind die 21% der Betroffenen, die länger als 4 Wochen für eine Genesung benötigt haben. Bei dieser Gruppe kann aufgrund der Dauer von einer ernsthaften psychischen Erkrankung ausgegangen werden.Eine Konsumreduzierung nach CAPS hat übrigens bei 57% der Betroffenen stattgefunden.

Eine Einordnung der Ergebnisse – psychotische Episoden, Psychosen und Cannabis

Über einen möglichen Zusammenhang von Cannabis und Psychosen wurde bereits viel spekuliert und geschrieben. Ein wissenschaftlicher Konsens hinsichtlich des Zusammenhangs von Cannabiskonsum und der Entstehung einer Psychose existiert nicht. Dies ändert auch die vorliegende Studie nicht, da sie sich mit einem anderen Thema beschäftigt.
Eine konsumbedingte zeitlich begrenzte psychotische Episode (CAPS) ist keine Psychose und muss sich nicht zu einer solchen entwickeln. Nur bei einem Viertel der CAPS-Betroffenen lag die Genesungszeit bei mehreren Wochen, so dass von einer ernsthaften psychischen Erkrankung wie einer Psychose ausgegangen werden kann.

Vergleicht man dieses Verhältnis mit anderen Drogen, so stellen die Autoren fest, dass die Rate der größtenteils milden und vorübergehenden CAPS (0,47%) ungefähr auf dem Niveau von manifestierten alkohol-induzierten Psychosen (0,4-0,7%)  liegt, aber unter dem von Stimulanzien-induzierten Psychosen. Im Gegensatz zu Cannabis induzierten psychotischen Episoden (CAPS) handelt es sich bei den beiden anderen Kategorien jeweils um chronische Krankheitsbilder.

Trotzdem veranschaulicht die Studie anhand der großen Datengrundlage nochmals eindrücklich die Risikogruppen innerhalb der Cannabiskonsumenten. Es zeigt sich abermals, dass vor allem Jugendliche und in besonderem Maße Menschen mit einer psychischen Erkrankung gefährdet sind. Daher sollte in diesen Gruppen der Umgang mit Cannabis besonders vorsichtig erfolgen, sofern auf ihn nicht gänzlich verzichtet werden kann. Zu diesem vorsichtigen Umgang kann auch die Berücksichtigung anderer identifizierter Risikofaktoren wie z.B. der Verzicht auf Tabak und hochpotente Extrakte beitragen.


Kommentare

3 Antworten zu „Studie zu psychotischen Episoden nach Cannabiskonsum“

  1. DerHanffreund

    Einige Kritikpunkte zur Studie
    Vielen Dank für den tollen Artikel! Diese Studie ist sehr wichtig.

    Ein wichtiger Punkt der fehlt ist, woher die Konsumenten ihr Cannabis beziehen (Schwarzmarkt, legaler Markt, Apotheke, Anbau usw.). Denn es muss dringend unterschieden werden zwischen gestrecktem Cannabis und “sauberem” Cannabis. Für bekanntlich erhöhen künstliche Cannabinoide (u.a.) das Risiko für psychische Erkrankungen.

    Interessant finde ich auch den Unterschied zum Vaporizer der in der Studie aufgezeigt wurde. Ich selber nutze seit einigen Jahren einen Vaporizer, bis jetzt habe ich jedoch alles gut vertragen, egal in welcher Form.
    Ich kann mir gut vorstellen, dass das Problem an den Siedepunkten bestimmter Cannabinoide liegt. CBD z.B. wirkt ja den Nebenwirkungen des THC entgegen. CBD hat einen höheren Siedepunkt als THC. Dementsprechend ist das THC/CBD-Verhältnis beim vaporisieren anders als z.B. beim Rauchen.
    Interessant wäre dann auch, welche Sorten geraucht wurden, und ob CBD-reiche Sorten beim Vaporisieren dann diesen negativen Effekt wieder ausgleichen. Solch eine Unersuchung ist jedoch nur auf einem legalen Markt möglich (da man nie auf dem Schwarzmarkt weiß was man bekommt). Alternativ könnte man Studien durchführen mit Konsumenten die das auf Rezept aus der Apotheke bekommen, da kann man sich sicher sein, dass die Blüten sauber sind, und man weiß welche Sorte(n) konsumiert wurden.

    Hänfliche Grüße

  2. Buri_see_käo

    meine Statistik
    Ich habe auch mal grob ausgewertet. Als meine Clusterkopfschmerzattacken im Sommer/Herbst 2017 noch nicht medikamentös abgestellt waren, musste ich mich einige Male in die Notfallambulanz des örtlichen Krankenhauses gegeben. Nicht Verletzungen o.Ä., sondern Alkoholüberdosierungen waren aller meistens der Grund für Behandlungen. Es wurden überwiegend Besoffene rangekarrt, Verletzte Personen sehr selten, übermäßig Bekiffte garnicht. Die Prohibitionsbefürworter dürften daraus ein unbedingtes “Weiter so” ableiten.
    mfG  fE

  3. “CAPS”
    Man soll in weiteren kommenden Untersuchungen zu “CAPS”, über sinnvolle Fragestellungen zu hilfreichen Erkenntnissen kommen. 1). Bis zu welchem Grad begünstigt oder beeinfußt eine restriktive Gesetzgebung mit Verfolgung der Konsumenten die Entstehung von “CAPS” ? / 2). In wie weit hat eine Legalisierung einen Einfluß auf die Häufigkeit der “CAPS”-Symptomatik ? –

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