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Meilenstein: Bundestag schafft gesetzliche Grundlage für Drug-Checking

Die Bundesregierung hat mit der Verabschiedung des “Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes” (ALBVVG)  und den darin enthaltenen Änderungen des BtMG den Weg frei gemacht für Drug-Checking-Modellprojekte auf Länderebene. Ob und wie Drug-Checking stattfindet, wird jedoch maßgeblich den Bundesländern überlassen. Deren erste Reaktionen fallen sehr unterschiedlich aus.

Unter Drug-Checking versteht man das qualitative Testen von psychotropen Substanzen auf ihre Zusammensetzung und im Optimalfall auch die quantitative Feststellung der Menge des Wirkstoffgehaltes. Damit wird konkreter Gesundheitsschutz für Drogen gebrauchende Menschen geleistet und ein schadensminimierender Konsum ermöglicht.
Erste Versuche, ein Drug-Checking in Deutschland zu etablieren, fanden im Kontext der Technoszene der 90er Jahre statt. Pionierarbeit leistete hier der 1994 gegründete Verein Eve & Rave aus Berlin, der auf Veranstaltungen Aufklärungsarbeit zu verschiedenen Substanzen anbot. Zudem konnten Substanzen eingeschickt werden, die dann durch den Verein in Kooperation mit der Charité getestet wurden. Weitere Eve & Rave Vereine gründeten sich in anderen deutschen Städten, ein Ableger entstand in der Schweiz.
Das Drug-Checking von Eve & Rave wurde jedoch zeitnah durch die Polizei unterbunden. Vor Gericht sind die Verantwortlichen zwar anschließend freigesprochen worden, jedoch bedeutete dies das Ende von Drug-Checking in Deutschland außerhalb des Kontexts der Apotheken, welches durch das BtMG gestattet ist. Die große rechtliche Unsicherheit für die Durchführenden veranlasste Eve & Rave, sich auch politisch zu engagieren. Der Verein publizierte 1999 ein Drug-Checking-Konzept für Deutschland, welches man dem Bundesgesundheitsministerium übergab.
Politisch passierte jedoch lange wenig. Eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages von 2009 stellte die unklare Rechtslage abermals fest:

“Wie die vorstehenden Ausführungen gezeigt haben, lassen sich verbindliche Aussagen über die rechtliche Zulässigkeit des „drug checking“ nicht treffen. Das Gesetz regelt diesen Sachverhalt nicht ausdrücklich. Bei der Subsumtion unter die bestehenden Regelungen gibt es unterschiedliche Auffassungen und Ergebnisse je nach Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale. […] Es zeigt sich also, dass für die Durchführung des „drug checking“ eine eindeutige gesetzgeberische Entscheidung notwendig ist, um Rechtssicherheit herzustellen.

Der lange Weg zum ersten staatlichen Modellprojekt in Berlin  

Etwas Bewegung in das Thema Drug-Checking kam in Berlin unter der rot-roten Regierung ab 2009. Allerdings war lange Zeit nicht mehr als positive Absichtsbekundungen zu vernehmen. Im Koalitionsvertrag 2016 wurde der Aufbau von Angeboten angekündigt. 2017 versprach man Gelder für die Durchführung von Modellprojekten im Haushalt einzuplanen. Im Koalitionsvertrag des rot-rot-grünen Berliner Senats von 2021 wurde abermals eine “schnellstmögliche” Umsetzung versprochen. 

Die Realisierung des Berliner Modellprojekts sollte jedoch noch bis 2023 dauern und fällt damit ironischerweise in die Regierungszeit der großen Koalition unter Federführung der CDU. Seit dem 6. Juni können Interessierte an drei Orten in Berlin zu leider sehr eingeschränkten Öffnungszeiten Substanzen auf ihre Zusammensetzung prüfen lassen. Neben der Analyse werden auch Beratungsangebote und Safer-Use-Hinweise gegeben. Zudem finden sich auf der Homepage des Modellprojekts die aktuellen Warnungen für verunreinigte bzw. zu hoch dosierte Substanzen. Die Erfahrungen der ersten Wochen zeigen, dass ca. 30% der analysierten Substanzen als auffällig eingestuft wurden. 

Neue rechtliche Grundlagen für künftige Modellprojekte

Am 23.6.23 verabschiedete der Bundestag mit dem ALBVVG auch Änderungen des BtMG und setzte damit einen verbindlichen Rahmen für zukünftige Drug-Checking-Projekte.
Konkret wurde dazu  der § 10b “Erlaubnis für die Durchführung von Modellvorhaben zu Substanzanalysen“ eingeführt sowie § 10a Absatz 4 gestrichen, welcher die Substanzanalyse in Drogenkonsumräumen untersagte.

Nach § 10b werden die Landesbehörden künftig ermächtigt, “eine Erlaubnis für Modellvorhaben zur qualitativen und quantitativen chemischen Analyse von mitge-
führten […] Betäubungsmitteln zu erteilen, wenn mit der Analyse eine Risikobewertung und gesundheitliche Aufklärung über die Folgen des Konsums für die die Betäubungsmittel besitzende Person verbunden ist.“
Dazu sollen die Länder Richtlinien festlegen, die zum Erhalt einer Erlaubnis eingehalten werden müssen.

Die Anforderungen müssen folgende Aspekte berücksichtigen:

  1. zweckdienliche sachliche Ausstattung der Einrichtung
  2. Gewährleistung der Aufklärung über Konsumsrisiken und Beratung zur gesundheitlichen Risikominderung beim Konsum
  3. Vermittlung weiterführender Angebote der Suchthilfe bei Bedarf
  4. Dokumentation der zur Untersuchung eingereichten Substanzen mit Untersuchungsergebnis (+ wissenschaftliche Begleitung und öffentliche Subtanzwarnungen)
  5. Vorgaben zur Sicherheit und Kontrolle bei Verwahrung und Transport der BtM
  6. Festlegung erforderlicher Formen der Zusammenarbeit mit Polizei 
  7. ständige Anwesenheit während der üblichen Geschäftszeiten von persönlich zuverlässigem Personal in ausreichender Zahl
  8. Benennung einer verantwortlichen sachkundigen Person gegenüber den Behörden

Außerdem müssen die Bundesländer “eine wissenschaftliche Begleitung und Auswertung der Modellvorhaben im Hinblick auf die Erreichung der Ziele einer besseren gesundheitlichen Aufklärung sowie eines verbesserten Gesundheitsschutzes” sicherstellen.

Zudem soll künftig von der Strafverfolgung im Rahmen der Nutzung von Drug-Checking-Angeboten abgesehen werden, wenn die Substanzen lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge besessen werden. Hier wurde der entsprechende §31 a BtmG ergänzt. Dies ist ein zentraler Aspekt und dürfte die Akzeptanz der Drug-Checking-Angebote durch Drogen gebrauchende Menschen deutlich erhöhen.
Unklar ist jedoch, wie sich diese Regelung auf den Verfolgungsdruck seitens der Polizei im Umfeld der Einrichtungen auswirken wird. Es ist anzunehmen, dass hier je nach Bundesland erhebliche Unterschiede bestehen werden und gegebenenfalls Gerichte entscheiden müssen, wie eng die Formulierung “im Rahmen der Nutzung von Drug-Checking-Angeboten” ausgelegt werden wird.
Es bleibt nur zu hoffen, dass durch die Festlegung von erforderlichen Formen der Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden auch die Polizei in die Pflicht genommen wird. Ansonsten könnte der Ärger bereits vorprogrammiert sein. Der Berliner Sprecher der Polizeigewerkschaft GdP Benjamin Jendro kündigte Widerstand an und spekulierte, dass sich zukünftig Dealer verstärkt im Umkreis der Drug-Checking-Stellen ansiedeln würden und verwies zudem auf das Legalitätsprinzip, an das Polizisten gebunden seien. Mittlerweile äußerte sich allerdings der Bundesvorsitzende der GdP Jochen Kopelke und sprach sich für die bundesweite Einführung von Drug-Checking aus: „Das Drug Checking ist ein wirksames Instrument und muss zügig zur flächendeckenden Anwendung kommen.” 

Drug Checking deutschlandweit?

Es bleibt abzuwarten, wie flächendeckend die Drug-Checking-Angebote in Deutschland tatsächlich sein werden. Die ersten Reaktionen aus den Ländern fielen sehr unterschiedlich aus. Während Thüringen, Hessen und Baden-Württemberg Modellprojekte etablieren wollen, sprachen sich Brandenburg, Schleswig-Holstein, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen bereits gegen entsprechende Angebote bei ihnen aus. In Bayern, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland sind noch keine Entscheidungen getroffen worden.
Es bleibt also zu befürchten, dass es in puncto der Verfügbarkeit von Drug-Checking zukünftig einen Flickenteppich in Deutschland geben wird. Ein tendenziell lebensrettendes Angebot dem politischen Gusto der Landespolitik zu überlassen, scheint sehr fragwürdig.

Zusammenfassend kann man sagen, dass der Ampel ein erster Meilenstein auf dem Weg zu einer humaneren Drogenpolitik gelungen ist. Vieles, wie das Absehen von Strafverfolgung für den Besitz geringer Mengen im Kontext des Drug-Checking oder das Testen in den Drogenkonsumräumen, ist sogar sehr progressiv und wird die Akzeptanz und Nutzung vor allem durch marginalisierte und am stärksten betroffene Bevölkerungsgruppen erhöhen. Jedoch muss man klar kritisieren, dass die Bundesländer Drug-Checking auf ihrem Gebiet verhindern können. Dadurch existiert kein einheitlicher Gesundheitsschutz für alle Bundesbürger.


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