Landtagswahlen September 2006 in Berlin


Die Ausgangslage

Die politische Diskussion in der Hauptstadt ist von zwei Themen geprägt. Zum einen wird viel über die Beteiligung der Linkspartei an der Regierung gestritten. Zum anderen bestimmt die Finanzsituation der Stadt das geschehen.
Die Berliner Polizei stellte im Jahr 2005 insgesamt 12.504 Rauschgiftdelikte fest, was eine Abnahme der Fallzahlen von 9,3% bedeutet. Allerdings erklärt die Kriminalstatistik diesen Rückgang mit den Worten: Bei Rauschgiftkriminalität handelt es sich um ein Kontrolldelikt. Der Rückgang ist dementsprechend auf weniger Kontrollen zurückzuführen.

Die angezeigten Cannabisdelikte gingen um 27,6% zurück. Dies in erster Linie auf Grund einer Verschiebung der Ermittlungsarbeit hin zu Kokain und “sonstige BtM”. In diesen Bereichen stieg denn auch die Anzahl der ermittelten Taten.

Interessant wird die Wahl in Berlin aus drogenpolitischer Sicht, weil sie die erste Wahl nach der vorsichtigen Anhebung der “Geringen Menge” ist. Es steht also auch das jeweilige Engagement in dieser Angelegenheit zur Wahl.


Die Programme der Parteien, ihre Positionen und deren Bewertung

SPD

Logo der SPD Die SPD ist in Berlin zurzeit stärkste Kraft und macht sich Hoffnungen, dies auch nach der Wahl zu sein. An der Diskussion um die “Geringe Menge” beteiligte sich die SPD nur zögerlich, trug dann aber den Entschluss mit.


In ihrem Wahlprogramm äußert sich die SPD zu Fragen der Drogenpolitik nicht. Eine Einschätzung ihrer drogenpolitischen Ziele kann deshalb nur eingeschränkt und aus der Betrachtung der letzten Jahre erfolgen.
In der vergangenen Legislaturperiode hat die SPD keine eigenen Vorschläge zum Thema Cannabis ins Parlament eingebracht. Die Erarbeitung von Regelvorschlägen, Argumenten und Ähnlichem überließ sie den kleineren Parteien.
Die SPD ist im Wesentlichen dafür verantwortlich, dass die Idee des Modellversuchs zur Cannabisabgabe nicht weiter verfolgt wurde.
Immerhin hat die SPD aber nach langer Diskussion und internen Schwankungen den Beschluss mitgetragen, die Geringe Menge auf bis zu 30 Gramm zu erhöhen. Einzelne SPD- Abgeordnete haben sich in durchaus fortschrittlicher Weise an der Diskussion beteiligt. Außerdem war die SPD- Fraktion mutig genug, Georg Wurth vom DHV als ihren Experten für eine Anhörung im Abgeordnetenhaus zu benennen. Es wurde aber auch deutlich, dass es innerhalb der Fraktion und vor allem zwischen Fraktion und SPD- SenatorInnen erhebliche Differenzen gibt. Das erklärt auch, warum der SPD-geführte Senat den Beschluss des Abgeordnetenhauses nur sehr halbherzig umgesetzt hat.
Der SPD- Landesparteichef und Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit machte im Oktober 2003 Schlagzeilen, weil er auf einer Mexikoreise verkündete “Wir müssen aufpassen, dass junge Leute nicht in die harte Drogenszene abrutschen!” und damit der im Koalitionsvertrag vereinbarten Entkriminalisierung des “Besitzes einer für den Eigenverbrauch bestimmten Menge sowie der Abgabe geringer Mengen weicher Drogen” eine Absage erteilte.

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CDU

Logo der CDU Die CDU strebt als Berlins zweitstärkste Kraft wieder zurück in die Regierungsverantwortung. Ihr Wahlprogramm ist deshalb eher eine Abrechnung mit der Arbeit des SPD- PDS- Senats, als ein echter Ausblick in die Zukunft. Die CDU ist die einzige Partei, die die Neuregelung der “Geringen Menge” nicht unterstützt hat.


Die CDU versteht Drogenpolitik als Teil der Kriminalitätsbekämpfung. Die entsprechenden Teile des Wahlprogramms:
“Im Bereich der Rauschgiftkriminalität gibt es neben den hohen Fallzahlen insbesondere deswegen Grund zur Besorgnis, weil immer weniger Taten entdeckt und immer geringere Mengen an Drogen beschlagnahmt werden. Die Dealer betreiben ihr Geschäft mittlerweile völlig ungeniert in Parks, in der U-Bahn und auf öffentlichen Straßen.

Entschieden gegen Drogen- und Kleinkriminalität
– Drogenkriminalität ist entschlossen zu bekämpfen. Wir wenden uns gegen eine Verharmlosung und Legalisierung so genannter weicher Drogen, die oft nur Einstieg zum Konsum harter Drogen sind.
– Wir werden Drogenabhängigen durch Beratung, Angebote zum Entzug sowie Therapie und Rehabilitationsmaßnahmen helfen, von ihrer Sucht loszukommen. Die Abgabe von Heroin, die Einrichtung von “Fixerstuben” und die Freigabe oder den Verkauf von Haschisch in Apotheken lehnen wir ab. Drogenhändler müssen mit der vollen Härte des Gesetzes rechnen.”

Die CDU betreibt mit ihren Wahlaussagen über Drogen klassisch konservative Klientelpolitik. Dass selbst Parteimitglieder die erhobenen Forderungen als “schon mindestens 30 Jahre gescheitert” brandmarken, interessiert im Kampf um die konservativen Wählerstimmen nicht.
Zugute halten kann man der Berliner CDU jedoch, dass sie nicht ernsthaft damit rechnen muss, ihre Politik auch in die Realität zu überführen. Eine Beteilung an der im September zu wählenden Stadtregierung scheint für die CDU trotz der erwarteten 20+ X Prozent sehr unwahrscheinlich.

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Linke.PDS

Logo der Linkspartei.PDS Berlin ist eines der beiden Bundesländer, in denen die Linkspartei mitregiert. Laut Selbstverständnis übernahm man Regierungsverantwortung, “um gemeinsam mit der SPD eine Wende in der Berliner Politik einzuleiten”. Zumindest in der Drogenpolitik blieb diese Wende aus.


In ihrem Wahlprogramm äußert sich die Linke zu Fragen der Drogenpolitik nicht. Eine Einschätzung ihrer drogenpolitischen Ziele kann deshalb nur eingeschränkt und aus der Betrachtung der letzten Jahre erfolgen.

Die Berliner Linkspartei.PDS übernahm mit der neu gewonnenen Regierungsverantwortung auch viele daraus entstehende Probleme. Die politischen Maximalfoderungen der Vergangenheit mussten an vielen Stellen dem über Kompromisse politisch Möglichen weichen. Besonders deutlich wird dies am Beispiel Cannabispolitik.
Noch zur letzten Wahl hatte die Linke die Entkriminalisierung des Erwerbs und Besitzes von Cannabisprodukten zum Eigenbedarf gefordert. Immerhin hat es die PDS geschafft, weitgehende Formulierungen in den Koalitionsvertrag mit der SPD hineinzuverhandeln. Es sollte geprüft werden, inwieweit Cannabiskonsumenten und der Handel (!) mit Cannabis entkriminalisiert werden kann. Ergebnis war aber letztendlich eine nur zögerliche Veränderung der Regeln zur “Geringen Menge”, die keine echten Entlastungen für Polizei, Gerichte oder Konsumenten brachte. Ein Modellprojekt zur Cannabisabgabe an Erwachsene in so genannten Coffeeshops wurde zwar diskutiert, aber nicht umgesetzt.
Die Linke in Berlin scheint sich bei dem Thema nicht ganz einig zu sein. Ihre Vertreter im Gesundheitsausschuss sind eher auf Seiten der Hanffreunde, während die Gesundheitssenatorin der Linken die Diskussion zunächst abwürgen wollte.
Gibt es auf Bundesebene wenigstens eine Arbeitsgemeinschaft, die am zukünftigen drogenpolitischen Profil der Linken feilt, fehlen solche Strukturen auf Landesebene völlig. Auch die zum Beispiel in Sachsen äußerst aktive PDS- Jugend ist in Berlin in Punkto Drogen praktisch unsichtbar.

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Bündnis 90/ Die Grünen

Logo von Bündnis 90/ Die Grünen Die Grünen rechnen bei der Wahl in Berlin mit einem Ergebnis um die 13 Prozent (2001 9,1%). Die Grünen sind deshalb beliebte Mit-Koalitionäre und werden sogar von der CDU umworben, deren Spitzenkandidat offen von einer Jamaika- Koalition aus CDU, FDP und Grünen spricht.


Im Wahlprogramm der Grünen findet man zu Fragen der Drogenpolitik folgende Äußerungen:
“In der Drogenpolitik setzen Bündnis 90/ Die Grünen seit Jahren auf eine rechtliche Gleichstellung so genannter weicher Drogen, wie Cannabis, mit den legalen Drogen und eine generelle Entkriminalisierung des Drogenbesitzes zum Eigenverbrauch. Auf unsere Initiative wurde die Menge an Cannabisprodukten, die in Berlin zum Eigenkonsum strafverfolgungsfrei besessen werden darf, heraufgesetzt. Allein der Besitz von Cannabis darf nicht zum Führerscheinentzug führen. Ein Modellprojekt zur Abgabe von Cannabis steht immer noch aus. Für das Recht auf Verbraucherschutz fordern wir zudem, die Wiederaufnahme des drug-checking endlich in die Tat umzusetzen.
Heroinabhängige sind keine Kriminellen! Räume, in denen Drogen unter hygienischen Bedingungen injiziert werden können, reduzieren nachweislich die Zahl der Todesfälle und von HIV- und Hepatitis-Infektionen. Bündnis 90/ Die Grünen unterstützen mit Nachdruck die akzeptierende Drogenarbeit. Wir fordern die Ausweitung der Drogenkonsumräume. Spritzentausch-Programme sind auch in den Haftanstalten durchzuführen. Nach Schaffung der gesetzlichen Voraussetzungen auf Bundesebene wollen wir aufgrund der Erfahrungen anderer Großstädte eine kontrollierte Abgabe von Heroin an Schwerstabhängige ermöglichen.”
Waren die Grünen in den Jahren der Regierungsbeteiligung auf Bundesebene noch beliebtes Ziel aller drogenpolitisch unzufriedenen Haudraufs, gelangt es ihnen zurück in der Opposition schnell, die alte Klientel durch Vorschläge und Anfragen zum Thema Cannabis zurück zu gewinnen.
Die Berliner Grünen erhielten besondere Aufmerksamkeit mit ihrem Engagement in der Frage der Neuregelung der “Geringen Menge”. So brachten sie unter der Überschrift “Neue Wege in der Drogenpolitik” im September 2003 zwei Anträge in das Parlament ein, die vielfach als “richtungweisend und mutig” bezeichnet wurden. So forderten sie die Straffreiheit des Besitzes von bis zu 30 Gramm Cannabis für den Eigenbedarf und die Erarbeitung und Durchführung eines Modellversuchs zur legalen Cannabisabgabe in lizenzieren Abgabestellen (Coffeeshops).
Bündnis 90/ Die Grünen sind die einzige Partei, die im Land Berlin einen aktiven Kreis drogenpolitisch Interessierter hat. Die LAG Drogen der Grünen ist auch über die klassische Parteiarbeit hinaus zum Beispiel im Bereich Drugchecking aktiv.

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FDP

Logo der FDP Glaubt man den Umfragen, wird es den Liberalen in Berlin nicht gelingen vom positiven Bundestrend zu profitieren. Allerdings muss die FDP mit erwarteten 9 Prozent der Wählerstimmen auch nicht fürchten, im neuen Abgeordnetenhaus nicht vertreten zu sein.


In ihrem Wahlprogramm äußert sich die FDP zu Fragen der Drogenpolitik nicht. Eine Einschätzung ihrer drogenpolitischen Ziele kann deshalb nur eingeschränkt und aus der Betrachtung der letzten Jahre erfolgen.
Betrachtet man die FDP, fällt manchen auf, dass ihr ein klares Profil fehlt. Oft definiert sie die eigene Politik nur durch die Ablehnung von Regierungsvorschlägen. Das klare Ja der Berliner FDP zu den von den Grünen eingebrachten Vorschlägen bezüglich der “Geringen Menge” überraschte deshalb viele. Die FDP legte sogar mit einem im September 2003 eingebrachten Antrag nach, in dem sie sich neben der “Trennung der Märkte durch Abgabe von Cannabis in Coffeeshops”, auch zur Anwendung von “Cannabis als Medizin ohne ideologische Scheuklappen” bekannte.
Allerdings scheint der für diesen Schritt sicherlich auch innerparteilich notwendige Mut in den letzten drei Jahren verflogen, finden sich doch weder im aktuellen Wahlprogramm noch auf der Webseite der Berliner FDP Hinweise zur Haltung der Partei in der Drogenpolitik. Dies könnte auch daran liegen, dass mit Martin Matz, dem für den 2003er Antrag Verantwortlichen, die drogenpolitische Triebfeder die FDP verließ.

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WASG

Logo der WASG Der Berliner Landesverband konnte erst nach einer Klage gegen die eigene Bundespartei in Berlin zur Wahl antreten. Dies tut er, um gegen die Regierungsbeteiligung der PDS zu protestieren. Die Umfragen sehen die WASG bei 5 Prozent. Ihr Einzug ins Abgeordnetenhaus ist deshalb fraglich, könnte aber das Ende des rot-roten Senats bedeuten.


Das Wahlprogramm der WASG in Berlin enthält folgenden Abschnitt, der sich mit der Drogenpolitik beschäftigt:
“In Berlin gibt es rund 250.000 Alkoholabhängige und rund 1.000 alkoholbedingte Todesfälle jährlich. Nun wollen wir nicht in Berlin alle Drogen verbieten und damit auch Alkohol als illegale Droge deklarieren. Berlin muss aber den unverhältnismäßigen Umgang mit Cannabisprodukten beenden und zu einer realistischen Drogenpolitik kommen, die den bewussten Umgang mit Drogen propagiert und Prävention fördert. Alle Drogen stellen ein Suchtrisiko dar. So wie Cannabis dürfen auch legale Drogen wie Alkohol und Nikotin nicht verharmlost werden.
Die WASG Berlin wird sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass die Bundesregierung eine Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates erlässt, die eine Streichung von THC aus der Anlage 1 des Betäubungsmittelgesetz (BtMG) des Bundes vorsieht.

Die WASG fordert:
– Trennung der Rauschgiftmärkte, um somit die Endverbraucher durch staatlich lizenzierte Coffeeshops vom Dealer-Kaufzwang zu befreien. Durch die Einrichtung von Coffeeshops wird die Gefahr minimiert, dass Verbraucherinnen und Verbraucher durch den Kontakt zu illegalen Händlern dem Risiko ausgesetzt sind, auch noch andere und gefährlichere Drogen angeboten zu bekommen.
– Zum Schutz der Jugendlichen wird eine Altersbeschränkung für den Cannabiserwerb analog dem Umgang mit Zigaretten und Alkohol festgesetzt.
– Cannabis soll medizinisch angewendet werden dürfen, die erfolgreiche Anwendung von Cannabis als Arzneimittel für Schmerzpatienten mit Aids, Krebs oder multipler Sklerose ist bereits wissenschaftlich nachgewiesen.
Nur so wird dem Ziel des straffreien Besitzes von Cannabisprodukten und der geforderten Entkriminalisierung des Haschisch- und Marihuanakonsums entsprochen.
Wenn wir die gesellschaftlichen Probleme wie Langzeitarbeitslosigkeit, mangelnde Bildungschancen, Armut, soziale Ausgrenzung und fehlende Zukunftsaussichten nicht auch als Grund für den Konsum legaler und illegaler Suchtstoffe anerkennen, werden wir immer nur – mehr oder weniger erfolgreich – an den Symptomen kurieren, ohne die eigentlichen Ursachen in den Griff zu bekommen.”

Die drogenpolitschen Realitäten der WASG einzuschätzen fällt schwer, weil diese Partei in Berlin noch nie parlamentarisch aktiv war. Sollte ihr der Einzug ins Abgeordnetenhaus gelingen, wird es interessant zu sehen, wie viel der durchaus positiven Ziele des WASG- Programms den Weg in die alltägliche Parlamentsarbeit findet. Kritiker erwarten eine ähnliche Entwicklung wie sie die Grünen oder die PDS erlebten, die einen Großteil der eigenen Positionen zugunsten einer Regierungsbeteiligung aufgaben.

WASG | Wahlprogramm der WASG Berlin zur Landtagswahl 2006