Landtagswahlen 2010 in Nordrhein-Westfalen

Informiert Sie über die Programme und Aktivitäten der Parteien zur Landtagswahl in NRW am 09.05.2010 und gibt eine Wahlempfehlung. Schwerpunkt der Betrachtungen ist die bisherige und zu erwartende Drogenpolitik insbesondere bezüglich Cannabis.


Vorbemerkungen

Ebenso wie Drogen nicht alles im Leben sein sollten, ist natürlich auch Drogenpolitik nicht der einzige ausschlaggebende Punkt bei einer Wahlentscheidung. Dennoch sagt Drogenpolitik mehr über die Gesinnung einer Partei aus, als nur die Frage, ob sie Cannabis legalisieren will oder nicht.

Die Drogenpolitik verrät vielmehr Grundsätzliches darüber, ob eine Partei den Bürger eher als selbstbestimmtes Individuum sieht oder als lenkbares Schaf, das von der Obrigkeit vor bösen Einflüssen beschützt werden muss (und kann!).


Ausgangslage – Die Situation Nordrhein-Westfalens vor der Wahl

Das Bundesland Nordrhein-Westfalen und sein Wappen

Das früher traditionell SPD-regierte Nordrhein-Westfalen (bis 2005 Rot/Grün) galt im Vergleich der Bundesländer als relativ liberal. Im Bereich “harm reduction”, also Schadensminimierung vor allem für die Konsumenten von Heroin, war das Bundesland immer vorne mit dabei. Sowohl durch die Einrichtung von Druckräumen als auch bei der Teilnahme am bundesweiten Modellprojekt zur Heroinabgabe hat das Land drogenpolitische Wege jenseits der Repression gesucht. Auch die Verfolgung von Cannabiskonsumenten wurde zumindest im bundesweiten Vergleich nicht besonders forciert.

Bei der letzten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2005 erreichten die Parteien folgende Ergebnisse:

Partei Stimmanteil
CDU 44,8 Prozent
SPD 37,1 Prozent
Bündnis 90/ Die Grünen 6,2 Prozent
FDP 6,2 Prozent
WASG 2,2 Prozent
Andere 3,5 Prozent

Die Wahlbeteiligung lag bei 63,0 Prozent.

Bilanz der letzten fünf Jahre unter Schwarz/Gelb

Jürgen Rüttgers (CDU)
Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen (Quelle: Dirk Vorderstraße)

Die Drogenpolitik hat sich seit der Machtübernahme durch die CDU/FDP-Koalition allerdings dramatisch geändert. Bereits Anfang 2006 wurden Ausgaben für Prävention und Schadensminimierung erheblich gekürzt, etwa für Cafés und Kontakträume für Drogenkonsumenten oder die Förderung der Junkie-Selbsthilfe JES.

 

Höhere Priorität hat für die Landesregierung ein anderer Aspekt der Drogenbekämpfung: Die grenzübergreifende Polizeifahndung soll in Nordrhein-Westfalen, den Niederlanden und Belgien weiter ausgebaut werden. “Unser Ziel ist, den Druck auf reisende Rauschgifthändler und -käufer im Grenzraum zu erhöhen”, sagt Innenminister Wolf (FDP). – Taz, 23.02.06: Drogenpolitik mit Todesfolge

Dieses Vorhaben hat die Landesregierung noch im selben Jahr durch einen Staatsvertrag mit den Niederlanden umgesetzt. Seitdem dürfen Drogensünder auch grenzüberschreitend verfolgt werden.

Um auch Cannabiskonsumenten verstärkt ins Visier zu nehmen, greift NRW sogar zu rechtlich äußerst fragwürdigen Mitteln. Die Polizei schreibt in Grenznähe immer mehr Anzeigen gegen Kiffer, die einen Ausflug in einen holländischen Coffeeshop gemacht haben, obwohl sie gar nichts in der Tasche haben und der Konsum von Cannabis in Deutschland keine Straftat ist – im Gegensatz zu Besitz, Einfuhr usw. Dabei wird argumentiert, dass die Betroffenen das Cannabis ja vor dem Konsum in den Niederlanden besessen haben müssen, was die deutsche Polizei ahnden dürfe. Obwohl dieses Vorgehen einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten dürfte und die Verfahren vermutlich alle eingestellt werden, will NRW mit dieser Einschränkung grundlegender Bürgerrechte gegen “gefährliche Cannabisverbrecher” vorgehen. Immerhin sind die Daten der Betroffenen dann schon mal im Polizeicomputer…

Den größten Repressionsschub gegen Cannabiskonsumenten vollzog das Bundesland dann 2008, als es die “geringe Menge” Cannabis, bis zu der Verfahren gegen Konsumenten eingestellt werden sollen, von 10 auf 6 Gramm verringert wurde. Ähnliches haben in dieser Zeit auch andere Bundesländer getan, NRW ging aber noch weiter: Wer seitdem als Jugendlicher oder Heranwachsender in NRW mit Cannabis aufgegriffen wird, muss damit rechnen, dass das Gericht eine Einstellung des Verfahrens an Auflagen wie “Drogenscreenings, Teilnahme an Drogenberatungsseminaren, Therapien oder Sozialstunden” knüpft, selbst wenn es nur um winzigste Mengen geht. Die bis dahin existierenden “geringen Mengen” für Drogen wie Heroin, Kokain und Amphetamin wurden ganz abgeschafft. Gnadenloses aburteilen ist seitdem angesagt.

Insbesondere die Senkung der so genannten Eigenbedarfsgrenzen sorgte schon im Folgejahr für einen Anstieg der wegen Drogendelikten verurteilten Personen um 24.8 Prozent (!), wie Justizministerin Müller-Piepenkötter (CDU) selbst betonte.

Bei der strafrechtlichen Verfolgung von Drogenkonsumenten hat sich Schwarz/Gelb also mächtig ins Zeug gelegt.

Präventionsbemühungen wie die durch NRW-Gesundheitsminister Laumann (CDU) gestartete Kampagne “STARK STATT BREIT” wirken eher hilf- und ahnungslos.

Dabei wird in vielen Äußerungen der beteiligten MinisterInnen deutlich, dass sie den Medienkampagnen der letzten Jahre aufgesessen sind, die die Gefahren von Cannabis, z.B. durch wundersam extrem gestiegene Wirkstoffgehalte, stark übertreiben:

 

Innenminister Dr. Ingo Wolf findet Vergleiche von Cannabis mit legalen Drogen wie Wein und Bier verharmlosend und deshalb gefährlich. “Der Wirkstoffgehalt von Cannabis ist in den letzten Jahren stark angestiegen und ein Joint heute fünf mal so intensiv wie vor zehn Jahren”, warnte er heute in Düsseldorf.” – Innenministerium NRW – 05.03.07

Anfang diesen Jahres hat der Polizeipräsident von Münster (NRW) noch für eine interessante Diskussion gesorgt. In einem Brief an den Deutschen Hanfverband schrieb er, dass “angesichts der weitgehenden Erfolglosigkeit staatlicher Repression und politischer Unbeweglichkeit eine erneute Initiative aus den Reihen der Polizei und anderer Strafverfolgungsbehörden für eine alternative Drogenpolitik angezeigt ist”.

Das Innenministerium in NRW hatte daraufhin scheinbar nichts Wichtigeres zu tun, als Wimber einen Rüffel für seinen Diskussionsbeitrag zu erteilen. Einige Parlamentarier haben sich zu der Geschichte auch geäußert …


Die Parteien und ihre Standpunkte

Im Folgenden finden Sie die wichtigsten Positionen der politischen Parteien kurz zusammengefasst. Für jede der angesprochenen Parteien haben wir jedoch ein eigenes Dokument erstellt, das Sie über die drogenpolitischen Teile des jeweiligen Wahlprogramms informiert und sich genauer mit den Positionen der Partei beschäftigt.

Klicken Sie für mehr Informationen bitte einfach auf den Namen der gewünschten Partei!

Positionen der CDU zur Wahl in Nordrhein-Westfalen 2010
Die CDU ist nur wählbar für Leute, die immer noch nicht genug haben und vielleicht noch ein wenig mehr sinnlose Repression gegen einfache Cannabiskonsumenten wollen. Allen anderen raten wir dringend von der Wahl der CDU ab! Wer drogenpolitisch wählen möchte, sollte deshalb sein Kreuz bei einer der anderen Parteien machen!
Positionen der SPD zur Wahl in Nordrhein-Westfalen 2010
Die Chancen der SPD, die Macht in Nordrhein-Westfalen zu übernehmen, waren schon sehr lange nicht mehr so gut wie zur Wahl 2010. Soe hat sich in NRW drogenpolitisch recht ruhig verhalten. Man kann zu ihr nicht viel mehr sagen, als dass es mit ihr besser lief als unter der jetzigen Regierung. Immerhin haben sich in der Diskussion um Polizeipräsident Hubert Wimber gleich zwei SPD-Abgeordnete hinter seinen Diskussionsanstoß gestellt, was wir so von SPD-Leuten eher nicht gewohnt sind.
Positionen von Bündnis 90/ Die Grünen zur Wahl in Nordrhein-Westfalen 2010
Bündnis 90/ Die Grünen sind traditionell die Partei der Cannabis-Legalisierung. Dazu stehen sie seit langem in ihren Programmen und auch im NRW-Programm findet sich die Forderung neben vielen anderen sinnvollen Punkten wieder. Allerdings ruhen sich die Grünen auch gerne mal auf dieser Vorreiterposition aus und sind parlamentarisch zu dem Thema nicht so aktiv, wie wir uns das von ihnen wünschen würden.
Positionen der FDP zur Wahl in Nordrhein-Westfalen 2010
Die FDP hat in NRW gezeigt, dass sie mit “liberal” wenig zu tun hat. Bis auf wenige Landesverbände steht die FDP in der Regel für ein unverbindliches “Entkriminalisierung der Konsumenten finden wir richtig, aber das ist ja schon umgesetzt”. In NRW sich die FDP in den letzten Jahren dadurch disqualifiziert, dass sie sogar einen massiven Repressionsschub gegen einfache Konsumenten mit getragen und vorangetrieben hat.
Positionen der Partei Die Linke zur Wahl in Nordrhein-Westfalen 2010
Die Linke hatte bisher wenig Möglichkeiten, ihre Drogenpolitik in der parlamentarischen Praxis unter Beweis zu stellen. Diesmal haben sie aber gute Chancen, mit Fraktionsstärke in den Landtag einzuziehen. Das Programm der Linken finden wir sehr gelungen. Um den Entwurf zu diesem Programm gab es im Vorfeld geradezu eine Medienhysterie, wobei die Linken als Chaotenhaufen mit geradezu gemeingefährlichen Forderungen dargestellt wurden. Das “Recht auf Rausch” haben die Linken zwar aus dem Programm gestrichen, ihr Programm gefällt uns dennoch sehr gut.

Zusammenfassung und Wahlempfehlung

CDU und FDP haben sich durch ihr agieren in den letzten Jahren in NRW aus Sicht des Hanfverbandes disqualifiziert. Wir raten schlichtweg von der Wahl dieser Parteien ab.

Die SPD scheint in NRW weniger repressiv orientiert zu sein wie in anderen Bundesländern oder im Bundestag. Sie steht vermutlich am ehesten für Stagnation in der Drogenpolitik, Fortschritte sind durch sie kaum zu erwarten. Aber vielleicht auch kein weiterer Repressionsschub.

Die Wahl zwischen Linken und Grünen ist schwierig. Wir empfehlen beide zur Wahl. Hier kann sich der Hanffreund getrost danach richten, welche Programmteile der beiden Parteien ihm ansonsten eher zusagen, auch wenn uns das Programm der Linken noch ein wenig besser gefällt.


Schlussbemerkung

Und nun der vielleicht wichtigste Hinweis zum Schluss. Jeder, dem Cannabispolitik am Herzen liegt, sollte den Parteien mitteilen, warum er sie gewählt oder nicht gewählt hat! Das erhöht das Gewicht einer einzelnen Stimme enorm! Gerade in Bezug auf Grüne und Linke ist das wichtig, da sie gute Ansätze zeigen, aber scheinbar noch nicht ganz begriffen haben, wie gut sie mit diesem Thema punkten können. Es reicht ein Dreizeiler wie:

“Ich habe Ihnen diesmal meine Stimme gegeben, weil Sie sich für die Legalisierung von Cannabis einsetzen und erwarte von Ihnen, dass Sie das Thema die nächsten vier Jahre auch voranbringen!”
“Ich hätte mir vorstellen können, sie dieses Jahr bei der Landtagswahl 2010 zu wählen, habe aber wegen ihrer repressiven Drogenpolitik davon Abstand genommen.”

Die passenden Emailadressen haben wir für Sie auf den Unterseiten zu den einzelnen Parteien zur Verfügung gestellt.