Hier findet ihr die Antworten des Grünen-Landesverbands Schleswig-Holstein auf unsere Wahlprüfsteine für die Landtagswahl im Mai 2017.
1. Die deutsche Drogenpolitik basiert auf vier Säulen: Prävention, Beratung und Behandlung, Überlebenshilfe und Schadensminimierung, Repression und Angebotsminimierung. In Deutschland werden weit mehr Ressourcen für Repression als für Prävention ausgegeben. Wie bewerten Sie die Schwerpunktsetzung in der Drogenpolitik? Halten Sie die Repression und Kriminalisierung von Drogenkonsumenten für eine sinnvolle Säule der Drogenpolitik?
Nein. Übereinstimmend mit über 100 deutschen Strafrechtsprofessor*innen, die eine entsprechende Resolution in den Deutschen Bundestag eingebracht haben, sehen wir die Politik der Kriminalisierung von Drogenkonsum nicht nur als faktisch gescheitert an, sondern auch für verfassungswidrig, weil lediglich selbstschädigendes Verhalten nach den Grundprinzipien des Strafrechts nicht kriminalisiert werden darf. Die Prohibition ist unverhältnismäßig kostspielig. Die Mehrheit der Cannabis-Konsumdelikte in Deutschland wird eingestellt, jährlich weit mehr als 100.000. Das verschlingt bei Polizei und Staatsanwaltschaft Personal- und Sachmittel, die sich selbst bei konservativer Schätzung auf Kosten in Milliardenhöhe jährlich summieren.
Das Verhältnis von Ausgaben für Strafverfolgung einerseits und Ausgaben für Prävention und Behandlung liegt nach Berechnung der genannten Strafrechtlerresolution bei 9:1. Eine Umkehrung dieses Verhältnisses zugunsten der Prävention ist dringend geboten.
2. Menschen, die Cannabis konsumieren, werden immer noch strafrechtlich verfolgt. Wollen Sie diese Strafverfolgung generell mildern, verschärfen oder unverändert lassen?
Für uns GRÜNE ist schon seit langem völlig klar: die strafrechtliche Verfolgung von Cannabiskonsum gehört endlich abgeschafft. Der ‚war on drugs’, also die strafrechtliche Prohibition als Mittel der Bekämpfung von Drogen, ist international wie national hoffnungslos gescheitert. Ein Viertel der erwachsenen Deutschen hat schon einmal Cannabis zu sich genommen. Mehr oder weniger regelmäßig konsumieren geschätzt 2,5 Millionen Menschen Cannabisprodukte. Neben Alkohol und Tabak gehört Cannabis zu den mit Abstand am häufigsten konsumierten Drogen. Deshalb hat unsere Bundestagsfraktion Anfang 2015 einen viel beachteten Entwurf für ein Cannabiskontrollgesetz in den Bundestag eingebracht, das den Anbau, Vertrieb, Erwerb und Konsum von Cannabis unter strenger Beachtung des Kinder- und Jugendschutzes auf legale Füße stellt.
3. Nach dem Urteil des BVerfG von 1994 sollen “geringe Mengen” für den Eigenbedarf nicht strafrechtlich verfolgt werden. Wie stehen Sie zur aktuellen Verordnung zur Anwendung der “geringen Menge” nach §31a BtMG in Ihrem Bundesland und planen Sie Änderungen?
Im Ländervergleich ist die in Schleswig-Holstein geltende Anweisung der Generalstaatsanwaltschaft zur Anwendung des § 31a BtmG bereits heute sehr liberal, weil sie mit 6 g Cannabis eine relativ hohe Soll-Einstellungsgrenze zieht und auch für andere Drogen (Amphetamine, Kokain, Heroin) geringe straffreie Mengen definiert. Dennoch wollen wir in diesem Bereich eine Erhöhung der straffreien Mengen, weil dadurch eine gewisse Entkriminalisierung im Rahmen unserer Landeszuständigkeit ermöglicht wird.
4. Bremen will den Anbau von wenigen Cannabispflanzen zur Deckung des Eigenbedarfs in die Verordnung zur “geringen Menge” aufnehmen. Wollen Sie die Strafverfolgung des Anbaus weniger Hanfpflanzen zur Deckung des Eigenbedarfs mildern, verschärfen oder unverändert lassen?
Wir begrüßen den „Bremer Weg“ im Bürgerschaftsbeschluss vom 20.04.2016 auch in diesem Punkt ausdrücklich.
5. Nach §3 Abs. 2. BtMG kann eine Kommune oder ein Land eine Ausnahmegenehmigung für eine legale Veräußerung von Cannabis beantragen, wenn dies im wissenschaftlichen oder öffentlichen Interesse liegt. Wie stehen Sie zu einem Modellversuch für eine kontrollierte Veräußerung von Cannabis an Erwachsene?
Bereits 1996 (!) ging Schleswig-Holstein durch die damalige Gesundheitsministerin Heide Moser (SPD) mutig voran, in einem Modellversuch Cannabis staatlich kontrolliert in Apotheken verkaufen zu lassen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte lehnte die Genehmigung des Versuchs jedoch ab. Es hat bis heute seine restriktive Linie nicht aufgegeben. Dennoch wollen wir die entsprechende Initiative der Bremer Bürgerschaft vom 20.04.2016 unterstützen.
6. Welche Strategie schlagen Sie für die Bewältigung der Probleme an bekannten Drogenumschlagplätzen vor?
Das Problem stark frequentierter Drogenumschlagplätze in der Öffentlichkeit ist in SH im Vergleich zu Großstädten in der Bundesrepublik nicht sehr ausgeprägt. Eine vor allem repressiv-polizeiliche Strategie halten wir nicht für wirksam, da sie erfahrungsgemäß nur zu Verdrängungs- und Verlagerungseffekten führt. Aufsuchende Sozialarbeit und das Angebot von Drogenkonsumräumen halten wir für geeigneter.
7. Ein regulierter legaler Markt bietet die Möglichkeit von Qualitätskontrollen bei Cannabisprodukten. Auf dem heutigen Schwarzmarkt sind der Wirkstoffgehalt sowie mögliche Verunreinigungen und Beimengungen des Cannabis für den Konsumenten nicht ersichtlich. Unter dem Aspekt der Schadensminimierung wäre die Möglichkeit für anonyme Substanzanalysen ein drogenpolitisches Instrument, das auch jetzt genutzt werden könnte. Wie stehen Sie zur Qualitätskontrolle (Drug-Checking) von illegalen Substanzen wie Cannabis?
Solange ein regulierter legaler Markt für Cannabisprodukte in Deutschland noch nicht realisiert ist, halten wir Drug-Checking als eine Maßnahme der sog. harm-reduction für sinnvoll und werden uns weiterhin in Schleswig-Holstein für seine Anwendung einsetzen, auch im Bereich anderer Drogen (vor allem bei den sog. Party-Drogen und Designer-Drogen).
8. Cannabiskonsumenten werden bei der Überprüfung der Fahreignung gegenüber Alkoholkonsumenten benachteiligt. Selbst ohne eine berauschte Teilnahme am Straßenverkehr kann Menschen, die Cannabis konsumieren, der Führerschein über das Verwaltungsrecht entzogen werden. Setzen Sie sich für eine Gleichbehandlung mit Alkoholkonsum bei der Auslegung der Fahrerlaubnisverordnung ein?
Der bereits erwähnte Gesetzentwurf der GRÜNEN Bundestagsfraktion zu einem Cannabiskontrollgesetz enthält auch für das Fahrerlaubnisrecht Regelungen, welche die bisher benachteiligenden Regelungen im Verhältnis zur Straßenverkehrsteilnahme unter Alkoholeinfluss ändern würden. Danach soll zur bisherigen 0,5 Promillegrenze für Alkohol in § 24 a I StVG ein weiterer Grenzwert von 5,0 ng/ml für aktives THC im Blut angefügt werden. Das Verordnungsrecht soll so abgeändert werden, dass die alleinige Anwesenheit von Cannabis-Wirkstoffen und -Abbauprodukten im Blut nicht mit einer Einziehung der Fahrerlaubnis geahndet werden kann. Entsprechend des Beschlusses der Bremer Bürgerschaft (April 2016) wollen wir prüfen, ob dies bereits nach geltender Rechtslage auch in Schleswig-Holstein verkehrsaufsichtsrechtlich möglich ist.
9. Viele drogenpolitische Maßnahmen betreffen eher Bundesrecht. Haben Sie vor, Ihre drogenpolitischen Positionen, beispielsweise über Bundesratsinitiativen, auch bundesweit zu vertreten?
Wir werden uns in denkbaren Koalitionsverhandlungen dafür einsetzen, dass Schleswig-Holstein Initiativen im Bundesrat ergreift bzw. unterstützt, um das bisherige Prohibitionsdogma des Bundesrechts zu beenden.
10. Welche drogenpolitischen Initiativen gab es von Ihrer Landespartei und Landtagsfraktion in der aktuellen Legislaturperiode?
Bereits im Koalitionsvertrag der Küstenkoalition 2012 wurde vor allem auf Initiative der GRÜNEN vereinbart, die Umsetzung von 3 Maßnahmen zu prüfen: Erhöhung der geringen Mengen im Bereich von § 31a BtmG, Erprobung von Maßnahmen zum Drug-Checking, rechtliche Absicherung von Drogenkonsumräumen. Die Umsetzung mit den sozialdemokratischen Koalitionspartnern verlief nicht befriedigend. Darum fasste ein kleiner Parteitag am 30.11.2013 einen umfassenden Beschluss, mit dem die Leitlinien einer auf Prävention und Entkriminalisierung aufbauenden Drogenpolitik definiert wurden.
11. Welche drogenpolitischen Initiativen plant Ihre Partei und Fraktion für die kommende Legislaturperiode?
Auf Grundlage des beschlossenen grünen Wahlprogramms für die LT-Wahl am 07.05.2017 werden wir weiterhin alles unternehmen, um in Bund und Land eine auf Prävention und Entkriminalisierung setzende Drogenpolitik durchzusetzen. Die landesrechtlichen Spielräume wollen wir nach dem Vorbild des Beschlusses der Bremer Bürgerschaft aus April 2016 ausnutzen.
12. Es werden derzeit unterschiedliche Modelle für die Legalisierung weltweit diskutiert und teilweise erprobt. Die öffentliche Zustimmung für eine Legalisierung steigt derzeit rasant. Die Frage ist nicht mehr so sehr, ob wir legalisieren, sondern wie wir regulieren. Wie sollte Ihrer Meinung nach ein regulierter Markt für Cannabisprodukte aussehen?
Das grüne Cannabiskontrollgesetz aus dem Jahr 2015 weist den Weg: Volljährigen wird ein rechtmäßiger Zugang zu Cannabis als Genussmittel ermöglicht. Zugleich dient es dem Jugend- und Verbraucherschutz sowie der Suchtprävention. Zum ersten Mal ist in Deutschland ein vollständiges und theoretisch sofort umsetzbares Gesetz ausgearbeitet worden.
Der Entwurf erlaubt Erwachsenen einen mengenmäßig begrenzten Zugang zu Cannabis und Cannabisprodukten. Hierzu dürfen Erwachsene eine begrenzte Anzahl von Cannabispflanzen für den privaten Verbrauch anbauen sowie die Ernte dieser Pflanzen aufbewahren und konsumieren. Erwachsene können daneben Cannabis in sogenannten Cannabisfachgeschäften erwerben. Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren ist jeglicher Zugang zu Cannabis verboten. Zum Jugendschutz zählen neben Sicherungsmaßnahmen des Anbaus und der Aufbewahrung von Cannabis, ein Mindestabstand der Cannabisfachgeschäfte von Schulen und Jugendhilfeeinrichtungen, ein Werbeverbot sowie Zugangskontrollen mit Altersnachweis. Zuwiderhandlungen, die den Jugendschutz unterlaufen, ahndet das Gesetz mit Straf- und Bußgeldvorschriften sowie – bei Gewerbetreibenden – mit einem Widerruf der Gewerbeerlaubnis.
Zur Risikominimierung für die volljährigen Konsumenten ist ein umfassender Verbraucher- und Gesundheitsschutz durch Angaben über die Inhaltsstoffe, die Konzentration der Wirkstoffe, umfangreiche Beipackzettel, Warnhinweise und Qualitätsstandards vorgesehen. Für den Betrieb von Cannabisfachgeschäften verlangt der Gesetzentwurf spezielle Schulungen des Verkaufspersonals sowie die Erstellung eines Sozialkonzepts, das Maßnahmen hinsichtlich der Suchtprävention und des Jugendschutzes darlegt.
Die gesamte Handelskette für Cannabis (Anbau, Großhandel, Import/Export, Einzelhandel, Transport, Verarbeitung) wird streng reguliert. Jeglicher wirtschaftlicher Umgang mit Cannabis erfordert eine behördliche Genehmigung und unterliegt strengen behördlichen Auflagen und Kontrollen. Die staatliche Regulierung der Handelskette für jedes Glied der Handelskette an deren Ende das Cannabisfachgeschäft steht, ermöglicht eine effektive Trennung der Märkte und Kontrolle des legalen Cannabishandels. Auch die steuerrechtliche Behandlung des Genussmittels Cannabis wird geregelt, sowie die Fragen des Fahrerlaubnisrechts (s.o).