Cannabis-Legalisierung bis 2030 „unrealistisch“: Hanf-Lobbyist rechnet mit Lauterbach ab

Die Berliner Zeitung sprach im Interview mit DHV-Sprecher Georg Wurth über den Gesetzentwurf der Regierung, warum eine echte Legalisierung noch dauern wird und die Stimmung im Land in Bezug auf Cannabis.

Erst danach soll es um die zweite Säule gehen, das regionale Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten. Für Wurth ist das aber noch kein Grund zum Feiern: „Meine Freunde fragten mich, als die ersten Pläne von Lauterbach im Oktober 2022 bekannt wurden, ob ich die Sektkorken schon knallen lasse.“ Einen Grund zum Feiern gibt es für den Cannabis-Befürworter erst, wenn die Gesetze wirklich verabschiedet wurden.

„Mit dem Gesetzentwurf rückt die Cannabis-Legalisierung näher“, sagt Wurth, der sich seit mehr als 20 Jahren genau dafür einsetzt. Unter einer tatsächlichen Legalisierung versteht der Gründer und Inhaber des Deutschen Hanfverbandes allerdings eine vollständige Regulierung des Marktes, inklusive Verkaufsmöglichkeiten. „Ein legales Produkt darf man auch verkaufen, doch das ist im Entwurf nicht vorgesehen“, sagt er. Mit der ersten Säule seien zwar Besitz, Konsum und Eigenanbau von bis zu 25 Gramm legal, aber für den Verbandschef ist das längst überfällig. Die frühzeitige Festlegung einer Freimenge im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) hätte Hundertaussende Strafverfahren gegen Cannabis-Konsumenten verhindern können. 

Um tatsächlich den Schwarzmarkt zu bekämpfen, brauche es niedrigschwellige Fachgeschäfte für den Erwerb von Cannabis. Eine Mitgliedschaft im Hanf-Klub hält der 50-Jährige eher für Vielkonsumenten für sinnvoll. „Für Menschen, die aber nur gelegentlich Cannabis konsumieren, ist das unrealistisch“, sagt Wurth als erster deutscher Lobbyist für die Cannabis-Legalisierung. Im Jahr 1996 hat er sich sogar selbst wegen des Besitzes von vier Gramm Marihuana angezeigt, wollte damit die Ungleichbehandlung deutlich machen: „Mein Nachbar durfte so viel Bier und Schnaps horten, wie er wollte, doch bei mir musste die Polizei kommen, die Drogen holen“ – dies sei ein Aufwand, der nirgendwo hinführe.

Er habe aufgrund der geringen Menge eigentlich mit der Einstellung des Verfahrens gerechnet, doch es kam anders. Der Richter habe ihm 200 Mark Geldstrafe auf Bewährung auferlegt, aber Wurth wollte das nicht einsehen, schließlich bekäme auch sein Nachbar keine Verwarnung für den Besitz von Alkohol. Deshalb zog er mit seinem Fall bis vor das Bundesverfassungsgericht, das das Urteil des Richters bestätigte. Doch von dem Misserfolg ließ sich der Westfale nicht einschüchtern, er leitete diverse Arbeitsgruppen und gründete schließlich im Jahr 2002 den Hanfverband. Man könnte also meinen, der jetzige Gesetzentwurf sei ein großer Erfolg für den Verband, ein Meilenstein, oder nicht? 

Den Gesetzentwurf der ersten Säule könne man genau wie die zweite Säule, die in der zweiten Jahreshälfte 2024 als Gesetzentwurf vorgelegt werden solle, zwar als Meilenstein bezeichnen – doch laut Wurth reicht das nicht aus. „Selbst wenn die zweite Säule erfolgreich ist, handelt es sich lediglich um einzelne Regionen, die die Regulierung des Cannabis-Marktes vorsehen – eine Art Insel-Legalisierung“, sagt der Hanf-Experte. Nur eine vollumfängliche Marktregulierung sei die Lösung. Doch darauf könne Deutschland noch lange warten.

Der ursprüngliche Plan sei zielführender gewesen, sah die Einführung von Cannabis in Geschäften für Erwachsene in ganz Deutschland vor – mit anderen Worten: dass man es auf einem legalen Markt verkaufen darf. „Das verstehe ich tatsächlich unter Legalisierung“, sagt Wurth und kritisiert damit den aktuellen Gesetzentwurf, der lediglich die Entkriminalisierung vorsehe. Lauterbach habe sein Vorhaben aufgegeben und das lediglich mit dem Verweis auf geheime und vertrauliche Gespräche mit der EU begründet, obwohl sich die EU-Kommission dazu noch gar nicht geäußert hatte. „Auf dieser Grundlage hat er die vollumfängliche Legalisierung für ganz Deutschland abgesagt“, sagt der Experte. 

Selbst wenn die Bundesregierung die zweite Säule, sprich den Entwurf der auf fünf Jahre befristeten Modellprojekte, zügig vorlege, würde das frühestens 2025 starten. Deshalb ist sich der Gründer des Verbandes sicher: „Bis 2030 ist keine Cannabis-Legalisierung in Deutschland abzusehen.“ Die Mission sei noch nicht erreicht, der Verband sei „noch lange nicht fertig“. 

Der Deutsche Hanfverband führt per Infratest Dimap jährlich repräsentative Umfragen zur Meinung der Deutschen zur Cannabis-Legalisierung durch. Eine mögliche Legalisierung von Cannabis ist demnach bei den Bundesbürgern nach wie vor umstritten. Die eine Hälfte (49 Prozent) präferiert die Beibehaltung des Verbots, die andere Hälfte (46 Prozent) könnte sich damit anfreunden, wenn Cannabis in Deutschland legal und reguliert erhältlich wäre, wie aus der Verbandsumfrage im Jahr 2022 hervorgeht.

Bei der ersten Befragung im Jahr 2014 sahen die Zahlen noch anders aus: Die Zustimmung war mit 30 Prozent bei den Deutschen deutlich geringer. Dennoch erschwere das aktuelle Verhältnis die Umsetzung des Projekts: „Es ist eine Gratwanderung und nicht verwunderlich, dass Lauterbachs erstes großes Ziel erst mal aufgegeben wurde.“

Doch woher rührt die Zurückhaltung bei den Deutschen? Vielleicht aus dem Argument, dass Cannabis eine Droge ist und von daher nicht frei zugänglich sein sollte? „Es ist weniger gefährlich als Alkohol, da wird niemand widersprechen“, meint Wurth.  Laut dem Gesundheitsministerium gehen Analysen von jährlich etwa 74.000 Todesfällen in Deutschland durch Alkoholkonsum allein oder bedingt durch den Konsum von Tabak und Alkohol aus. „Bei Cannabis gibt es keine Todesfälle“, sagt Wurth. Einer Länderabfrage zur Anzahl der Rauschgifttoten zufolge wurden im Jahr 2020 in Deutschland zwar insgesamt 1581 drogenbedingte Todesfälle verzeichnet, wie der Deutsche Bundestag schreibt. Jedoch wurde bei keinem der Fälle der Konsum von pflanzlichem Cannabis als Ursache erfasst.