Antwort der Piratenpartei auf die DHV Wahlprüfsteine zur Europawahl 2014

Als Vorbereitung für unsere Wahlempfehlung zur Europawahl haben wir wieder unsere Wahlprüfsteine zum Thema Cannabis und Drogenpolitik an die Parteien geschickt. Hier die Antwort der Piratenpartei vom 21.Mai:

  • Halten Sie die Repression und die Kriminalisierung von Drogenkonsumenten für eine sinnvolle Säule der Drogenpolitik

Nein. Die Kriminalisierung hat keine erkennbaren Vorteile, dafür aber eine Menge Nachteile. Neben der sehr offensichtlichen Förderung von organisierter Kriminalität und mafiösen Strukturen kommen im illegalen Umfeld ungehindert verschmutze und gestreckte Substanzen in Umlauf, die – gepaart mit mangelhafter Aufklärung – häufig zu schweren Gesundheitsschädigungen führen. Die Piraten lehnen daher die Kriminalisierung von Konsumenten und repressive Ansätze grundsätzlich ab.

  • Wie stehen Sie zu einem Modellversuch für eine kontrollierte Veräußerung von Cannabisprodukten an Erwachsene?

Wir fordern einen Umgang mit Rauschmitteln inclusive Cannabis und Cannabisprodukten, der ausdrücklich eine legale Versorgung der Konsumenten zulässt. Sie dürfen dazu nicht, wie heute, zum Kontakt mit der organisierten Kriminalität gezwungen werden.

  • Wie stehen Sie zur Qualitätskontrolle von Drogen wie Cannabis?

Drogen müssen selbstverständlich den Regeln des Verbraucherschutzes unterworfen sein – wie andere Dinge, die man zu sich nimmt.
Das Wissen um Wirkstoff und Beimengungen ist Grundlage risikoarmen Drogengebrauchs. Umfassende, bedarfsgerechte Möglichkeiten zum Drugchecking sollen vor Ort ermöglicht werden.
Die Piratenpartei fordert die Einrichtung einer bundesweiten Online-Meldestelle für problematische Substanzen zur Risiko- und Schadensminimierung für Drogenkonsumenten. Diese Meldestelle erfasst schädliche Streckmittel, ungewöhnlich hohe Dosierungen oder Reinheitsgrade sowie den Verkauf von Substanzen unter falschem Namen. Als ersten Schritt werden wir die Resultate kriminaltechnischer Untersuchungen von beschlagnahmten Drogen für Jedermann verfügbar machen.
Den Piraten ist es unverständlich, wie die aktuelle Drogenpolitk in Deutschland und leider auch in vielen anderen Ländern viele Konsumenten unkalkulierbaren Risiken durch unkontrollierte Schwarzmärkte aussetzt, während zugelassen wird, dass gefährlichere Suchtstoffe wie Alkohol, Nikotin und eine Reihe von Medikamenten als Lifestyle-Produkte vermarktet werden.

  • Welche drogenpolitischen Initiativen gab es von Ihrer Partei und Fraktion in der aktuellen Legislaturperiode?

Piraten sind zur Zeit in vier Landtagen vertreten und setzen sich, neben anderen wichtigen Themen, für die drogenpolitischen Ziele der Piratenpartei ein. Aktuelles Beispiel ist der Antrag »Cannabis legalisieren – Drogenpolitik neu ausrichten« der Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen (1,2). Aber auch außerhalb der parlamentarischen Arbeit setzen sich viele Piraten aktiv und speziell für die Entkriminalisierung von Cannabis ein. Sie sprechen auf Kundgebungen wie dem GMM und reichen bei ihren Gemeinden Petitionen zur Einrichtung von Cannabis Social Clubs ein, etwa in Köln, Bochum, Rösrath, Dortmund, Würzburg, Dresden, Regensburg, Bamberg und Nürnberg.

1 – http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD16-5478.pdf
2 – http://www.piratenfraktion-nrw.de/2014/04/lukas-lamla-zur-legalisierung-von-cannabis/

  • Welche drogenpolitischen Initiativen plant Ihre Partei und Fraktion für die kommende Legislaturperiode?

Wir haben der Drogen- und Suchpolitik in unseren Programmen umfangreiche Kapitel gewidmet. Das Europawahlprogramm umfasst z.B. Forderungen zu den folgenden Aspekten:
Für Aufklärung und Schadensbegrenzung
Für Bekämpfung der Drogenkriminalität durch legale Bezugsmöglichkeiten
Für die Neubewertung internationaler Übereinkünfte
Für ein Europa, das Maßstäbe in der Drogen- und Suchtpolitik setzt

https://wiki.piratenpartei.de/Parteiprogramm#Neue_Drogenpolitik
http://wiki.piratenpartei.de/Bundestagswahl_2013/Wahlprogramm#Drogen-_und_Suchtpolitik
https://wiki.piratenpartei.de/Europawahl_2014/Wahlprogramm#Europ.C3.A4ische_Drogen-_und_Suchtpolitik

Im Rahmen unserer Möglichkeiten werden wir PIRATEN uns bemühen, diese Ziele auf europäischer und kommunaler Ebene umzusetzen – genau wie wir uns bereits jetzt auf der Ebene der Länderparlamente im Rahmen des dort möglichen Gestaltungsspielraums aktiv einsetzen.

  • Wie stehen Sie zu Cannabis Social Clubs nach dem belgischen oder spanischen Vorbild?

Cannabis Social Clubs können als genossenschaftliches Modell eine Reihe von Problemen lösen, die z.B. ein Coffeeshop-Modell nach niederländischem Muster hat. Daher werben wir in unserem Wahlprogramm zur Europawahl für einen offenen Umgang mit diesem Modell. Viele Piraten sind aber der Meinung, dass es in diesem Bereich keine eierlegende Wollmilchsau gibt: Man muss ausprobieren, welche Modelle in verschiedenen Gegenden und für verschiedene Konsumentengruppen »funktionieren« und diese dann umsetzen. Die Modelle müssen sich am Menschen orientieren und nicht umgekehrt.

  • Wie stehen Sie zur EU-Drogenstrategie für die Jahre 2013 bis 2020?

Die »Europäische Drogenstrategie« zielt zur Zeit auf Verbot und Abdrängung des Drogenkonsums in die Illegalität. Sie muss zu einer akzeptierenden und menschenwürdigen Europäischen Drogen- und Suchtpolitik umgestaltet und weiterentwickelt werden.
Besonders enttäuscht sind wir davon, dass aus den negativen Evaluierungsergebnissen der vorangegangenen Regelungsperiode 2005-2012 keine erkennbaren Lehren gezogen wurden. Stattdessen wurden die Erkenntnisse ignoriert und ein stumpfes »weiter so« zu Lasten der Menschen auf die Agenda gesetzt.

  • Wie stehen Sie zur Entkriminalisierung von Drogenkonsumenten in Portugal?

In Portugal wurde der Besitz geringer Mengen zum Eigenverbrauch aus der Kriminalität entlassen, wird nun als Ordnungswidrigkeit behandelt und kann zu einem Beratungsgespräch führen. Da gleichzeitig in Aufklärung, vor allem in der Schule, investiert wurde, zeigt sich inzwischen, dass das Risikobewusstsein steigt und die Anzahl regelmäßiger Konsumenten unter den Jugendlichen zurückgeht. Das ist erfreulich. Dennoch kann der Schritt von der Straftat zur Ordnungswidrigkeit nur ein Anfang sein, da die Vertriebswege in der Illegalität verbleiben und damit der Jugend- und Verbraucherschutz nicht gewährleistet werden kann. Das Austrocknen des Schwarzmakrtes ist in Portugal bis heute nicht erreicht worden.

  • Wie stehen Sie zur Europäischen Bürgerinitiative: Weed like to talk https://ec.europa.eu/citizens-initiative/REQ-ECI-2013-000023/public/index.do ?

Die PIRATEN stimmen mit den Zielen der Initiative überein. Die Piratenpartei hat z.B. über ihre Social Media Kanäle dazu aufgerufen, die Petition zu zeichnen.

  • Wie sollte Ihrer Meinung nach ein regulierter Markt für Cannabisprodukte aussehen?

Wie schon gesagt wünschen wir uns einen offenen Umagang mit dem Modell der Cannabis Social Clubs. Generell setzen wir uns für Modellversuche mit lizenzierten Fachabgabestellen ein, zu denen nur Erwachsene Zutritt haben und wo sie Tabak, Liquids für e-Zigaretten, Spirituosen, Cannabisprodukte und andere psychotrope Substanzen erwerben können. In diesem Vorschlag kommt zum Ausdruck, dass psychotrope Substanzen nach ihrem tatsächlichen Risikopotential bewertet werden sollten – einzelne davon zu kriminalisieren macht genausowenig Sinn, wie andere in einem einseitig positiven Licht darzustellen. Daher gehört auch ein Werbeverbot für alle psychotropen Substanzen zu unserer Vorstellung eines regulierten Marktes.

  • Welche Rolle sollte die EU in der Drogenpolitik ihrer Mitgliedsstaaten spielen? Wie stehen Sie zu nationalen Alleingängen wie in den Niederlanden?

Wir PIRATEN setzen uns für eine wahrhaft europäische Drogen- und Suchtpolitik ein. Wir wollen die unterschiedlichen Ansätze der europäischen Staaten auf hohem Niveau in eine gemeinsame, akzeptierende Europäische Drogen- und Suchtpolitik zusammenführen. Unsere Forderungen auf nationaler Ebene, insbesondere das Werbeverbot für alle Drogen, einschließlich Alkohol und Tabakprodukte, die freie medizinische Verwendbarkeit cannabinoidhaltiger Medikamente und des Echtstoffes und die hohen Maßstäbe, die an den Datenschutz anzulegen sind, übertragen wir daher auch auf die europäische Ebene.
Daneben ist der Verbraucherschutz ein natürliches Tätigkeitsfeld der EU – umso enttäuschender, dass sie diese Rolle zur Zeit nicht ausfüllt, sondern im Gegenteil einen wirkungsvollen Verbraucherschutz noch erschwert, indem sie den Mitgliedstaaten eine repressive Dorgenpolitik verordnet.

Grundsätzlich beurteilen wir aktives Vorspuren einzelner Mitgliedsstaaten positiv. Wir sehen aber auch die Probleme. Durch die Bindung an internationale Verträge werden nachhaltige Schritte, vor allem auch gegen die organisierte Kriminalität, nicht gemacht. Für angrenzende Staaten ergibt sich das Problem, dass »Importe« über grüne Grenzen auf unvorbereitete Konsumenten treffen, da die lokale Drogenpolitik dort ja noch in der Denkweise eines repressiven Systems verharrt. Beispiel dafür erleben wir zum Beispiel im deutschen Grenzgebiet zwischen den Niederlanden und Nordrhein-Westfalen und zwischen Tschechien und z.B. Bayern.

  • Welche Rolle sollte die EU in der Drogenpolitik weltweit spielen?

Internationale Abkommen müssen eine Entkriminalisierung von Drogenkonsumenten und die Bereitstellung legaler Bezugsmöglichkeiten erlauben. Nur so kann der organisierten Kriminalität wirksam begegnet werden. Abkommen, die dies nicht zulassen, sind zeitnah aufzukündigen und auch künftig nicht abzuschließen. Europa muss hier eine Vorreiterrolle einnehmen.

  • Welche Schlüsse ziehen Sie aus der DRUID-Studie?

Die Gefährdung des Straßenverkehrs unter Einfluss von Rauschmitteln kann nicht geduldet werden. Aber die automatische und pauschale Sanktionierung des Konsums von Drogen und Medikamenten durch die Führerscheinbehörde nehmen wir nicht hin:
Als Kriterium für den Entzug der Fahrerlaubnis müssen wissenschaftlich abgesicherte Grenzwerte für Wirkstoffkonzentrationen festgelegt werden, die eine akute Fahruntüchtigkeit nachvollziehbar definieren.
Es muss ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Konsum und dem Führen des Kraftfahrzeuges vorliegen.
Allein die Vermutung oder die Feststellung, dass eine Person Drogen oder Medikamente konsumiert oder konsumiert hat, lässt keine Rückschlüsse auf die aktuelle Fahrtüchtigkeit zu und rechtfertigt keinen vorbeugenden Entzug der Fahrerlaubnis.

  • Welche Schlüsse ziehen Sie aus dem Reuter-Trautmann Bericht (“A report on Global Illicit Drugs Markets 1998-2007”)?

Der Bericht zieht im Wesentlichen die selben Schlüsse, wie alle anderen Berichte, die sich einigermaßen ergebnisoffen und unter wissenschaftlichem Anspruch mit dem Thema »repressive Drogenpolitik« auseinandersetzen. »Enforcement of drug prohibitions has caused substantial unintended harms; many were predictable.« – »Die Drogenprohibition verursacht beträchtliche unerwünschte Schäden; viele davon waren voraussehbar. « Besser könnte man es kaum ausdrücken. Dennoch: Was gebraucht wird, ist nicht eine weitere Studie, sondern endlich substanzielle Schritte, die die Erkenntnisse umsetzen – ein weltweites Umdenken in der Drogenpolitik.

  • Welche Schlüsse ziehen Sie aus dem Catania-Bericht? (“Empfehlung des Europäischen Parlaments an den Rat und den Europäischen Rat zu der europäischen Strategie zur Drogenbekämpfung (2005-2012) (2004/2221(INI)”)?

Die Empfehlungen des Europäischen Parlaments gehen erfreulich weit. Leider wurde nichts davon umgesetzt. Stattdessen setzt die »Drogenstrategie« 2005-2012 unbeirrt den repressiven Weg fort. Wie zu erwarten war, erreichte diese »Strategie« die selbst gesetzten Ziele nicht, was ihr zum Abschluss des Zeitraumes in einem Assessment bestätigt wurde. Dennoch erleben wir gerade die Neuauflage dieses Vorgehens: Auch die Drogenstrategie für 2013-2020 ignoriert die Lehren der Vergangenheit und ist so zum – erneuten – Scheitern verurteilt. Die PIRATEN leiten daraus ab, dass die »Strategie« dringend in eine akzeptierende und menschenwürdige Europäische Drogen- und Suchtpolitik umgestaltet und weiterentwickelt werden muss. Leider fehlen dem Europäischen Parlament zur Zeit noch die Gestaltungsmöglichkeiten, hier formgebend eingreifen zu können. Die PIRATEN wollen dieses Problem an der Wurzel angehen und fordern die Weiterentwicklung des Europäischen Parlaments zu einem wirklichen Parlament mit mehr Rechten im Bereich der Legislative. Wir sollten das Europäische Parlament durch eine gute Wahlbeteiligung legitimieren und in seiner Bemühung unterstützen – und am Sonntag zur Wahl gehen.
 

Der Text des "MANIFEST FÜR SICHERE UND GESUNDE DROGENPOLITIK IN EUROPA" stimmt praktisch vollständig mit der drogen- und suchtpolitischen Programmatik der Piratenpartei überein. Unsere Kandidaten Julia Reda, Martin Kliehm, Patrick Schiffer und Gilles Bordelais haben das Manifest bereits unterzeichnet. Leider hat der Aufruf dazu wohl noch nicht alle unsere Kandidaten erreicht. Wir werden das nachholen – denn Drogenpolitik ist auch nach der Wahl ein Thema für die Piraten.