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Wie die Rechtslage Problemkonsumenten schafft

“600.000 Personen in Deutschland weisen einen missbräuchlichen oder abhängigen Cannabiskonsum auf” schreibt die Bundesdrogenbeauftragte Mortler auf ihrer Website. Grundlage für diese Zahl ist der Epidemiologische Suchtsurvey (ESA). Hierbei wurde die erwachsene Bevölkerung nach ihrem Drogenkonsum und Problemen befragt. Ein Missbrauch oder eine Abhängigkeit wird anhand der Kriterien des DSM-IV festgestellt, allerdings alleine auf Grundlage eines Fragebogens und nicht aufgrund eines Gespräches mit einem Fachmann. Dies sollte auch im Fortfolgenden bei Begriff “Diagnose” bedacht werden. Basierend auf den Zahlen von 2012 wurden folgende Schätzungen für die Zahl der Erwachsenen (18-64 Jahre) mit einer Abhängigkeit oder einem Missbrauch hochgerechnet:

  • Medikamente: 6.920.000
  • Tabak: 5.580.000
  • Alkohol: 3.380.000
  • Illegale Drogen: 602.000

davon

  • Cannabis: 401.000
  • Amphetamin: 121.000
  • Kokain: 80.000

Bei anderen Substanzen wurden keine Fragen hinsichtlich möglicher Probleme gestellt. Diese Zahlen sind Schätzungen, die Forscher nennen für die Zahl 602.000 (bei einem Konfidenzintervall 95%) eine Ungenauigkeit von ca. +/- 25%. Da es keine Untersuchungen zur Anzahl problematischer Cannabiskonsumenten unter 18 Jahren gibt, bleibt schleierhaft, wie Frau Mortler auf die Zahl von 600.000 kommt.

Die Zahl 600.000 alleine für Cannabis ist im Bericht nicht zu finden, entweder meinte die Drogenbeauftragte alle illegalen Drogen oder sie nutzte die veraltete Zahl aus dem Jahr 2009 – auf ihrer Website findet sich nur ein Link zum ESA 2009.

Im Bericht zum ESA 2012 wird weiter aufgeführt:

Ein Missbrauch nach DSM-IV liegt vor, wenn mindestens eines der folgenden Kriterien im Zusammenhang mit dem Gebrauch einer Substanz in den letzten 12 Monaten vor der Befragung erfüllt ist:
(1) erhebliche Probleme in Haushalt, Familie oder Schule,
(2) Substanzgebrauch in gefährlichen Situationen,
(3) Probleme mit dem Gesetz infolge des Substanzgebrauchs,
(4) soziale und zwischenmenschliche Probleme.

Es darf nicht zeitgleich eine Abhängigkeit von derselben Substanz vorliegen.

Bemerkenswert ist hier Punkt 3 – alleine aufgrund einer Strafanzeige würde ein Konsument – falls er diese als Problem mit dem Gesetz ansieht – nach diesen Kriterien zu einem Problemkonsumenten mit Missbrauchsdiagnose. Die Zahl der Menschen mit einem missbräuchlichen Konsum beziffert der Bericht auf schätzungsweise 202.000 bei Cannabis und 81.000 bei Amphetaminen. Erwachsene Tatverdächtige gab es laut Polizeistatistik im Jahr 2013 für die Straftat “Allgemeiner Verstoß mit Cannabis und Zubereitungen” 86.919 und bei “Allgemeiner Verstoß mit mit Amphetamin/Methamphetamin und deren Derivaten” sind es 32.114. Damit könnten alleine die Strafanzeigen der Polizei 43% der Missbrauchsdiagnosen bei Cannabis erzeugen und 39,6% der Diagnosen bei Amphetaminen. Natürlich könnten die Betroffenen auch noch weitere Probleme haben, die ebenfalls für eine Diagnose ausreichen. Auch könnte eine Strafanzeige zur weitergehenden Diagnose “Abhängigkeit” anstelle von Missbrauch entscheidend beitragen. Insgesamt erhielten alleine im Jahr 2013 19,8% der 602.000 “Problemkonsumenten” illegaler Drogen eine Strafanzeige.

Die Qualität der Zahlen des ESA und die Sinnhaftigkeit der DSM-IV-Kriterien, insbesondere bei Cannabis, sowie die Bedeutung der Zahl der Menschen mit einer Missbrauchs- oder Abhängigkeitsdiagnose für die Drogenpolitik sind eine eigene Diskussion wert, dies geht aber über den Rahmen dieses Artikels hinaus.